Der „rote Wagner“

Friedrich Dieckmanns Buch das „Liebesverbot und die Revolution“ deutet über Richard Wagner mehr an als es erklärt

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Es ist der rote Wagner, der hier in Sicht kommt“. So beginnt Friedrich Dieckmanns Buch über Wagner: „Das Liebesverbot und die Revolution“. Fünf Texte, die anderweitig bereits erschienen sind, hat er zu diesem Zweck zusammengeführt. Die Texte konzentrieren sich in chronologischer Folge auf jene Frühphase des Wagnerlebens, die 1843 in Dresden als königlich-sächsischer Hofkapellmeister beginnt und nach den missglückten Revolutionsaktivitäten 1848/1849 im Züricher Exil endet. Erst 1861 wird er wieder deutschen Boden betreten. Ein Jahr später ist man auch in Sachsen bereit, die revolutionären Aktivitäten nachzusehen und sie nicht weiter als Grund für polizeiliche Verfolgung zu betrachten. Ein sechster Text über „Wagner im Bilde“ vervollständigt den Band.

Der „rote Wagner“ also. Wer dessen Anteilnahme an den 1848er-Versuchen zur Demokratisierung der deutschen Fürstenlanden nur beiläufig kennt, wird zunächst erstaunen über das Maß der Beteiligung Wagners. Für die „Volksblätter“, seines Freundes Friedrich August Röckel, verfasste er regelmäßig Beiträge, mit dem russischen Revolutionär und Anarchisten Michael Bakunin wachte er nächtens auf dem Dresdner Kreuzkirchenturm, derweil die zur ,Beruhigung‘ der Lage heranrückenden preußischen Truppen ihn bereits unter Beschuss nahmen. Durch „steinbeschwerte Zettelwürfe“ informierte aus dem „Mastkorb der Revolution“ – Dieckmann neigt des Öfteren zu solch markanten Sprachbildern zur Pointierung bestimmter Schlüsselsituationen – Wagner die unten noch tagende Volksregierung über das, was er oben beobachtet. Nachdem die Preußen ihr Werk getan und der Aufstand niedergeschlagen war, floh Wagner aus Sachsen. Viele seiner Mitstreiter wurden zum Tode verurteilt oder gerieten in Festungshaft.

In Dieckmanns Interpretation ist das Revolutionsengagement Wagners kein Zufall, sondern eine konsequente „Fortsetzung des Kunstwerks mit anderen Mitteln“. In dieser Zeit entstand „Lohengrin“ und forderte nicht dieses Werk bereits in „mehr als einer Hinsicht“ die mutige Überwindung alter Konventionen – mithin eine neue Gesellschaft? „Wer das gerade durch- und zu Ende komponiert hat, neue Klangwelten erschließend, die die Sehnsucht nach Grenzüberschreitung in extremen Tonlagen und Klangverbindungen versinnlichen, der ist reif für den Umsturz“, schreibt Dieckmann. Wagner wendet sich aktiv der „radikalen Linken“ zu – genauso wie in vergleichbarer „sich zuspitzender politisch-sozialer Situation“ Bertolt Brecht es tat. Bertolt Brecht? Dieckmann entdeckt einen eklatanten „Revolutionsparallelismus der beiden deutschen Weltdramatiker“. Im Exil, Dieckmann gefällt seine Entdeckung, erhalten beide ihre „Revolutionserwartung noch ein Stück weit aufrecht“ und nach der Rückkehr aus dem Exil meint Dieckmann eine weitere Übereinstimmung feststellen zu können: Die Position, die Wagner gegenüber dem Bismarck-Reich einnimmt, sei zu vergleichen mit derjenigen, die „Brecht mit der DDR Wilhelm Piecks und Walter Ulbrichts verbindet“. Nun: am Ende erhalten beide ihr eigenes Theater…

Man kann die Berechtigung des „Revolutionsparallelismus“ oder gar die Gleichsetzung Brechts und Wagners als „Weltdramatiker“, für die Dieckmann im Übrigen auch keine weitere Begründung ausführt, aus gutem Grund hinterfragen. Lassen sich die historisch-politischen Rahmenbedingungen des 19. Jahrhunderts tatsächlich gleichsetzen mit der Situation ab 1933? Und wie ,politisch‘ ist Wagners Revolutionserwartung im Vergleich zu der Brechts? Am Ende jedenfalls kehrt sich bei Wagner die Sache wieder um, und die „Revolution der Oper“ ersetzt die Revolution der Gesellschaft. Im Festspielgedanken hat sich die Wagnerwelt dann endgültig von der realen Welt verabschiedet.

Überraschende Analogien finden sich einige in Dieckmanns Buch über den beinahe revolutionären Wagner. Sie erzeugen ein kurzfristiges Prickeln, das freilich schnell vergeht. Denn Dieckmann überprüft sie zumeist nicht auf ihre nachhaltige Bedeutsamkeit. In Weimar, um ein anderes Beispiel zu nennen, schwebte Franz Liszt, als er 1848 dorthin kam, im Zusammenwirken mit Wagner ein „silbernes Zeitalter“ vor – als Pendant zu Weimars großer Zeit mit Goethe und Schiller. Dass das Wort vom silbernen Zeitalter seine Berechtigung dadurch erhält, dass „man auf Lohengrin, den Silberritter, blickt“, wie Dieckmann beiläufig entdeckt, sei dahingestellt. In dem „Schaffensverbund der beiden Musiker“ sieht Dieckmann dann aber durchaus Großes entstehen: eine Erneuerung der „Symbiose der beiden Weimarer Poeten“. So wird Liszt zu Goethe und Wagner zu Schiller. Und mehr noch: Schillers „Wallenstein“, die „Trilogie, die sich im Laufe der Arbeit vom Ende her bis zu einem Vorspiel erweitert, ist das strukturelle Vorbild des vierteiligen „Rings“. Ein interessanter Gedanke, vielleicht. Aber um ihn bewerten zu können, braucht es etwas mehr Begründung.

Titelbild

Friedrich Dieckmann: Das Liebesverbot und die Revolution. Über Wagner.
Insel Verlag, Berlin 2013.
250 Seiten, 21,95 EUR.
ISBN-13: 9783458175698

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