Eine multikulturelle Malerei

Emil Noldes Figurenstillleben in einem von Karsten Müller herausgegebenen Text-Bild-Band

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein weniger bekanntes Kapitel in der Malerei Emil Noldes sind seine Stillleben mit Figuren, Puppen, Masken und Idolen, denen er sich, selbst passionierter Sammler von kunstgewerblichen Gegenständen aus aller Welt, Jahrzehnte lang in Intervallen gewidmet hat. Das Malen nach Objekten, seien es nun museale Zeugnisse der Volks- und Hochkulturen Nord- und Südamerikas, Ostasiatika, der Stammeskunst aus Afrika und Ozeanien oder Objekte aus der eigenen Figuren-, Puppen- und Maskensammlung, machte ihm immer wieder Freude. Ideenreich experimentierte er mit Farben und Formen, Ornamenten und Strukturen, subtil balancierte er die unterschiedlichen Spannungsverhältnisse der Skulpturen und Objekte aus. Aus der Vielfalt der Formen und Materialien sollte wieder ein multikultureller Zusammenklang, aus der Polarität wieder ein Dialog hervorgehen. Indem er die Dinge mit koloristischer Raffinesse magisch durch seine Malerei belebte, sie wie auf einer Bühne agieren ließ, sie zu ungewöhnlichen, mitunter surrealen und grotesken Verabredungen zusammenführte, erweiterte er den traditionellen Begriff des Stilllebens und schuf so etwas wie eine multikulturelle Malerei.

Anlässlich einer Ausstellung, die 2012 im Ernst Barlach Haus Hamburg und in der Stiftung Ahlers Pro Arte / Kestner Pro Arte in Hannover stattfand und gegenwärtig in der Berliner Dependance der Nolde Stiftung Seebüll läuft (bis 20. Oktober 2013) ist eine Publikation von Karsten Müller, dem Leiter des Ernst Barlach Hauses – Stiftung Hermann F. Reemtsma in Hamburg, „Emil Nolde – Puppen, Masken und Idole“ mit reichem Abbildungsmaterial erschienen. Dem Band hat Christian Ring, der kommissarische Direktor der Nolde Stiftung Seebüll, einen speziellen Beitrag über die Bedeutung der Stillleben mit exotischen Objekten für das freie Figurenbild bei Nolde hinzugefügt. Eine Biografie des Malers, ein Abbildungs- und Literaturverzeichnis sind im Anhang untergebracht.

Noldes künstlerische Beschäftigung mit exotischen Figuren setzte 1910/11 ein, als er nach Skulpturen im Berliner Völkerkundemuseum zeichnete. Hier konnte er die Formensprache ferner Kulturen eingehend studieren, und zugleich beflügelte sie seine Imagination.

Diese Studien dienten ihm dann als Vorlage für seine noch vor der Südseereise 1913/14 geschaffenen Stillleben-Bilder mit exotischen Figuren, Fetischen und bizarren Masken. In dem Stillleben „ Exotische Figuren II“ (1911) wird eine Kachinafigur der Hopi-Indianer aus Arizona von einem flächig gemalten Katzenpaar mit furchteinflößenden Fangzähnen misstrauisch beäugt, während die auf wenige kubische Elemente reduzierten, kantigen Formen der afrikanischen Figuren in „Mann, Frau und Katze“ sowie „Mann, Fisch und Frau“ von 1912 durch das jeweilige Tiermotiv miteinander verbunden sind. In „Mann, Frau und Katze“ hat Nolde ein Motiv aus dem Thron des Königs Njoya aus Bamum im Nordwestkameruner Grasland verwendet, aber die Katze geht auf eine ebenfalls im Berliner Völkerkundemuseum befindliche Schnitztür aus Nigeria zurück. Nolde interessierte nicht die originalgetreue Wiedergabe der außereuropäischen Objekte, sondern der Ausdrucksgehalt, den er durch seine Farbwahl, das Arrangement, die Kombination beziehungsweise die Synthese der Skulpturen verstärken wollte.

Im Anschluss an einen Atelierbesuch bei dem belgischen Maler James Ensor in Ostende entstanden mehrere Maskenstillleben; das erste (1911) zeigt in einer diagonal in die Tiefe führenden Anordnung fünf an Schnüre aufgehängte Faschingsmasken, deren unterschiedlicher mimischer Ausdruck die Skala menschlicher Gefühle von hämischer Freude, grimmiger Heiterkeit, ungläubigem Erstaunen, mürrischer Skepsis bis hin zu blankem Entsetzen umfasst. Dabei erinnert die mittlere, in Rottönen gehaltene Physiognomie unverkennbar an Edvard Munchs epochales Werk „Der Schrei“. „Der Missionar“ (1912) wiederum, eine Karikatur auf den Kolonialismus, gibt eine Tanzmaske der Bongo aus dem Sudan, eine nach einer kleinen Skulptur der Yoruba aus Nigeria modellierte Mutter mit ihrem Kind auf dem Rücken und einen im Original riesengroßen Wegegott aus Chemulpo in Korea wieder; in letzteren hat Nolde einen missionierenden Europäer unter einer grässlich blutroten Maske versteckt, der die verängstigte Afrikanerin von ihrer angestammten Gottheit entfremdet und zum christlichen Glauben bekehrt. Wollte er zunächst ein Kaleidoskop von Formen und Typen zwischen Figur und Maske schaffen, setzte der Künstler ab 1915 Figuren aus aller Welt neben Blumen aus dem eigenen Garten. Durch Verfremdungs- und Verkehrungseffekte verloren die Stillleben zusehends ihr dramatisches Pathos und das Anekdotische zugunsten einer stilleren Zusammenschau.

An die Stelle der multiethnischen Gruppendynamik trat das Wechselspiel von Kultur und Natur. Die „Urvölkerkunst“ verband Nolde zunehmend mit seiner nordischen Fantastik, er bezog „biblische und Legendenbilder“ mit ein und ging schließlich vom Stillleben ganz zum freien Figurenbild über. Diese „Ausflüge ins Traumhafte, ins Visionäre, ins Phantastische“ (Nolde) zeigen seine faszinierende Meisterschaft in Farbtemperatur und Lichtregie, in Korrespondenzen oder Asymmetrien.

Titelbild

Emil Nolde: Emil Nolde - Puppen, Masken und Idole.
Herausgegeben von Karsten Müller.
CORSO, Hamburg 2012.
191 Seiten, 26,90 EUR.
ISBN-13: 9783862600427

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