Literatur und Bildende Kunst

Zum Handbuch der Kunstzitate von Konstanze Fliedl, Marina Rauchenbacher und Joanna Wolf

Von Tobias KurwinkelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Tobias Kurwinkel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Texte, allen voran literarische, existieren nicht in Vakua: Sie nehmen Bezug auf andere Texte. Was bereits der antiken Rhetorik bekannt war, hat mit den Theoremen von Michail Bachtin und Julia Kristeva Ende der 1960er-Jahre Eingang in die Literaturwissenschaft gefunden. Dem Zitat als einfachste Form „effektiver Präsenz eines Textes in einem anderen Text“ hat sich Gérard Genette in „Palimpseste“ zu Beginn der 1980er-Jahre gewidmet – und damit die Voraussetzungen für den Begriff des Kunstzitats geschaffen, der im Mittelpunkt des von Konstanze Fliedl, Marina Rauchenbacher und Joanna Wolf herausgegebenen Handbuchs steht.

Bei der Begriffsbestimmung dieser intermedialen Verbindung von Text und Bild folgen die Herausgeber Heide Eilert. So wird der Terminus des Kunstzitats als „poetische ‚Umcodierung von nicht-literarischer (hier: Bildender) Kunst“ verstanden – als ein Oberbegriff, um Phänomene wie etwa die Ekphrasis, das Bildgedicht oder die Bildassoziation zu fassen. Gegenstand des Handbuchs sind derartige Zitate „realer“ Kunstwerke in der deutschsprachigen Literatur der Moderne, welche die Herausgeber ab etwa 1880 ansetzen. Eine herausragende Rolle spielen Malerei und Skulptur, die Fotografie nimmt eine nachrangige Position ein, was mit der „historischen Reihenfolge der ‚bildspendenden‘ Medien“ begründet wird.
Die Auswahl der 250 Autoren vollzog sich in verschiedenen Arbeitsgängen, wie die Herausgeber in der Einleitung schreiben. So wurden sowohl deutsche als auch österreichische und Schweizer Autoren berücksichtigt, deren Wahl wiederum durch eine „Erhebung ihres ‚kanonischen‘ Ranges“ durch Registervergleiche „maßgeblicher Literaturgeschichten“ erfolgte. Herangezogen wurden Autoren „im engeren Sinne“ – Ausnahmen sind Walter Benjamin, Sigmund Freud und Friedrich Nietzsche, die aufgrund ihrer literarischen Wirkungsgeschichte aufgenommen wurden.

Das Handbuch, welches das Resultat des Projekts „Kunst im Text“ an den Universitäten Salzburg und Wien von 2005-2009 darstellt, ist in zwei Bände angelegt: Der erste Band beinhaltet eine Einleitung und Autoren, die in alphabetischer Ordnung ihrer Nachnamen bis zum Buchstaben „K“ reichen. Der zweite Band schließt dort an und behandelt die übrigen Autoren; zudem enthält dieses Buch ein Bild- und Bildquellenverzeichnis sowie einen durch seine Nützlichkeit im Gebrauch vor allem wertvollen Register. Dieser erschließt die Autoren und ihre Werke sowie die von ihnen direkt oder indirekt zitierten Kunstwerke. Der Register lässt so schnell erkennen, welche Künstler und welche Kunstwerke von welchen Autoren zitiert werden. So ist zum Beispiel auf einen Blick ersichtlich, dass es immer wieder dieselben Bilder sind, die von den verschiedenen Autoren zitiert werden: Die „Mona Lisa“ von Leonardo da Vinci beispielsweise – oder „Guernica“ von Picasso.

Verfasst wurde der größte Teil der Beiträge von den Herausgebern sowie den weiteren Projektmitarbeiterinnen Michaela Nicole Raß und Katharina Serles. Zu einigen Autoren wurden aufgrund ihrer Expertise weitere Beiträger eingeworben; hier können unter anderen Walter Fanta für Robert Musil, Claudia Öhlschläger für W. G. Sebald oder Peter Sprengel für Gerhart Hauptmann genannt werden.

Die Beiträge bilden die Kunstzitate der Autoren exemplarisch ab, dabei gehen sie chronologisch vor. Der Aufbau der Texte folgt keiner schematischen Vereinheitlichung und ergab sich, wie die Herausgeber schreiben, aus „unterschiedlichen Parametern wie Werkchronologie, Gattungseinteilung oder eben der Funktionsweisen der Kunstzitate“. Jedem Beitrag ist am Ende ein Textkasten beigegeben, der die Primärliteratur listet; viele Beiträge weisen zudem einen Textkasten auf, der ausgewählte Sekundärliteratur aufführt. Einzelne Beiträge enthalten zudem die von den Autoren verwendeten Quellen, wie etwa historische Standardwerke.
Verbleiben auch manche Beiträge, wie etwa zu Erika und Klaus Mann, überwiegend im Deskriptiven, finden sich an anderer Stelle Artikel, die von hervorragender Qualität sind und auf wenigen Seiten nicht nur die verschiedenen Kunstzitate typologisieren, sondern sowohl analytische als auch interpretatorische Arbeit für die Erschließung des jeweiligen Gesamtwerks liefern. Dies gilt beispielsweise für den Beitrag von Imelda Rohrbacher zu Alfred Döblin.

In der Einleitung konstatieren die Herausgeber die „Merkwürdigkeit“, dass es bis dato „noch kaum ein adäquates Vokabular“ gebe, um Kunstzitate zu benennen und ihre Verweismöglichkeiten systematisch zu untersuchen. An dieser Stelle wäre ein umfassender Forschungsüberblick wünschenswert gewesen, der etwa aus Perspektive der Intermedialitätsforschung die Beziehung von Literatur und Bildender Kunst beleuchtet und zum Beispiel die Arbeiten von Irina O. Rajewsky und Werner Wolf anführt. Dies hätte zum Handbuch-Charakter des Werkes beigetragen, das in dieser Form mehr (Autoren-)Lexikon denn Handbuch ist. Dennoch erschließt das „Handbuch der Kunstzitate“ ein Forschungsgebiet, zu dem bislang nur in einzelnen wenigen Studien und Untersuchungen gearbeitet wurde; der Umfang, die Fülle an Material und die Dokumentation der unzähligen Zitate machen das Handbuch zu einer Referenz – und damit zu einem Standardwerk für die Erforschung von Text-Bild-Beziehungen.

Titelbild

Konstanze Fliedl / Marina Rauchenbacher (Hg.): Handbuch der Kunstzitate. Malerei, Skulptur, Fotografie in der deutschsprachigen Literatur der Moderne.
Herausgegeben von Johanna Wolf.
De Gruyter, Berlin 2011.
966 Seiten, 299,00 EUR.
ISBN-13: 9783110205008

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch