Eine Frau auf der Suche

Judith Kuckart will in ihrem neuen Roman „Wünsche“ zu viel

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Silvester in einer Kleinstadt. Alles ist wie immer. Auch bei Karatsch: Am Abend wird er wieder eine Party geben und dabei, wie jedes Jahr, den Spielfilm von 1977 zeigen, in dem seine Frau als Zwölfjährige die Hauptrolle spielt. Es gibt Sekt und Mettbrötchen, wie immer.

Nur ist dieses Jahr doch nicht alles wie immer. Vera geht am Nachmittag ins Hallenbad. Seltsamerweise vergisst sie ihren Hausschlüssel und ihr Handy, und als sie im Schwimmbad eine jüngere Frau trifft, mit vielen Sommersprossen, die ihr ansonsten ähnlich sieht, klaut sie ihren Pass und ihre Sachen und fährt nach London. Einmal ruft sie ihren Sohn noch an, um zu sagen, dass es ihr gut geht, danach hört man nichts mehr von ihr.

Judith Kuckart erzählt in ihrem neuen Roman die Geschichte einer Flucht und einer Suche. Aber suchen tun sie eigentlich alle: Vera ihre Freiheit und sich selbst. Karatsch seine Frau und seine einst glückliche Ehe. Und sein Freund Friedrich Wünsche? Der versucht die Welt zu verändern und fängt in seinem eigenen Kaufhaus, das er mit seiner Schwester Meret geerbt hat, damit an. Indem er die alte Drehtür wieder einbaut, die persönliche Beratung wieder intensiviert, das „Kaufhaus Wünsche“ wieder zu einem Treffpunkt werden lässt, mit Café und Atmosphäre, ganz altmodisch. Und seine Schwester Meret? Die weiß so gar nicht, was sie will, rutscht ab von der reichen Erbin mit wechselnden Geliebten zur Imbissbudenbedienung, wo sie sich Helga nennt. Auch Vera rutscht ein wenig ab, streunt durch London, beginnt zu stehlen, als sie kein Geld mehr hat, findet dann eine Arbeit in einem Krankenhaus und Unterschlupf bei einem Soldaten, mit dem sie eine kleine Affäre hat und ihn einmal sogar schlägt.

Nach und nach entblättert Kuckart die Beziehungen dieser Personen, ihre Freundschaften, ihre Entwicklungen, die sich überschneiden, trennen, wieder treffen. Erzählt von den Verrücktheiten, mit denen Meret zu provozieren versucht, von der heimlichen Liebe Friedrichs zu Vera, von den Wünschen, die ihr Sohn Jo hat. Zum Schluss wird alles gut: Karatsch, Jo und Wünsche finden Vera in London, sie kehrt zurück in die Kleinstadt, Meret arbeitet im Kaufhaus an Designermode. Aber Kuckart beschreibt keine Idylle: Karatsch hat einen Schlaganfall, und Vera weiß selber nicht, was sie gesucht und was sie gefunden hat.

Klug lässt Kuckart das alles in der Schwebe. Leider aber übertreibt sie auch ein bisschen, indem sie allzuviel in den Roman packt, zu viele Geschichten, zu viele Einzelheiten, zu viele Geheimnisse, zu viele Verrücktheiten. Und leider auch zu viele sprachliche Gewolltheiten. Was in früheren Büchern oft nebenbei einfloss, kleine Sätze und Wörter, die den Leser in eine neue Welt rissen, wird in „Wünsche“ zu sehr betont, und allzu oft passen die Vergleiche und Bilder nicht. Das ist schade, denn Kuckart zeigt sich auch in ihrem neuen Roman als scharfe und mitfühlende Beobachterin und zärtliche Beschreiberin des Kleinstadtalltags und der heimlichen Wünsche. Weniger wäre sehr viel mehr gewesen.

Titelbild

Judith Kuckart: Wünsche. Roman.
DuMont Buchverlag, Köln 2013.
302 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783832197056

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch