„Ein Roman von abweichender Art“

Eine Neuausgabe von Robert Musils „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“ mit einem Kommentar von Oliver Pfohlmann

Von Redaktion literaturkritik.deRSS-Newsfeed neuer Artikel von Redaktion literaturkritik.de

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Als Robert Musil im März 1905 das Manuskript der „Verwirrungen des Zöglings Törleß“ Verlagen anbot, beschrieb er sein Debütwerk als „einen Roman von abweichender Art, der einer neuen Weise zu schreiben zustrebt“. Allerdings versteckte der Dichter seinen avantgardistischen Anspruch so erfolgreich, dass sich das Buch nicht nur gut verkaufte, sondern dass von den meisten Lesern, teilweise bis heute, nur das Bekannte wahrgenommen wurde – der Realismus und die Psychologie einer Pubertäts- und Internatsgeschichte. Dass sich hinter der Maske der mit Skandalthemen wie Sadismus und Homosexualität gewürzten Kadettengeschichte ein kühner philosophischer Roman verbirgt, erkannten nur wenige.

Schon in Musils Erstling sind Plot und Form nur Transportvehikel für geistige Gehalte. Im „Törleß“ spiegelt sich der von Friedrich Nietzsche präludierte Epochenumbruch in Erkenntnistheorie und Humanwissenschaften um 1900 wider, der heute mit Namen wie Albert Einstein oder Sigmund Freud verbunden wird. In dem vergleichsweise schmalen Roman lassen sich erstaunlich viele der Themen und Motive der intellektuellen Debatten um 1900 finden: darunter die Grundlagenkrise der Mathematik und die unmöglichen Räume der modernen Geometrie, Sprachskepsis, der Tod Gottes, das neu entdeckte Unbewusste und der boomende Spiritualismus. „Ein Genuß für Menschen mit intellektuellen Neigungen (und andere zählen ja doch nicht)“, wie Musil nach Fertigstellung seines Romans – ein frühes Beispiel für mehrfachcodierte Literatur – selbstbewusst schrieb.

Die Neuausgabe des Romans in der Reihe „SuhrkampBasisBibliothek“ folgt, unter Berücksichtigung sämtlicher Besonderheiten in Orthografie und Interpunktion, der Ausgabe letzter Hand von 1931 (in Zweifelsfällen wurden die Erstausgabe von 1906 herangezogen) – erstmals kann Musils Roman damit wieder in seiner ursprünglich intendierten Strukturierung (darunter Strichlinien sowie die Einteilung in 29 Kapitel) gelesen werden. Ein ausführlicher Kommentar erschließt diesen „Roman von abweichender Art“.

O.P.

Anmerkung der Redaktion: literaturkritik.de rezensiert grundsätzlich nicht die Bücher von regelmäßigen Mitarbeiter / innen der Zeitschrift sowie Angehörigen der Universität Marburg. Deren Publikationen können hier jedoch gesondert vorgestellt werden.

Titelbild

Robert Musil: Die Verwirrungen des Zöglings Törleß.
Kommentiert von Oliver Pfohmann.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013.
296 Seiten, 6,00 EUR.
ISBN-13: 9783518189306

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch