Ein Jahrtausend dramatischer Kriegsgeschichte

Der Bielefelder Althistoriker Raimund Schulz liefert ein fundiertes und facettenreiches Panorama des antiken Heerwesens von den Heroen der Archaik bis zu den Hunnen Attilas

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Von den Messenischen Kriegen Spartas bis zu den letzten Schlachten des untergehenden römischen Westreiches spannt der Bielefelder Althistoriker Raimund Schulz den Bogen über ein dramatisches Jahrtausend antiker Kriegsgeschichte. Nicht einmal das spätere Christentum, dem der Verfasser sogar ein eigenes Kapitel widmet, vermochte die tiefe und allgemeine Wertschätzung der soldatischen Virtus zu schmälern, welche jahrhundertelang die verblüffendsten Leistungen von Feldherren und Armeen provoziert und begleitet hatte. Nachdem erst einmal die Kriegführung aus den Händen lokaler Adelscliquen in die Verantwortung professioneller Kriegsherren wie Militiades, Marius, Sulla oder Pompeius übergegangen war, marschierten antike Heere über ganze Kontinente und überquerten Hochgebirge wie die Alpen oder den Hindukusch. Sie kämpften wie bei Alesia oder Pharsalos in gewaltigen Feldbefestigungen und belagerten scheinbar uneinnehmbare Bollwerke wie Tyros oder Massada. Mit imponierenden Flotten sicherten wiederum griechische Poleis ihre lebenswichtige Getreideversorgung aus Ägypten oder von der Krim und beherrschten Dank kunstvoller maritimer Manöver und einer erstaunlich komplexen Schiffstechnik beinahe unangefochten den östlichen Mittelmeerraum für fast ein Jahrhundert.

Im Zentrum seiner Betrachtung von Marathon bis zu den Katalaunischen Feldern steht allerdings die uralte Schild an Schild gefügte tiefe Schlachtordnung der Infanterie, die Phalanx der Hopliten oder später die Kohorte aus römischen Bürgersoldaten, die Schulz beide als ein Wesensmerkmal der griechischen und lateinischen Stadtkultur ausmacht. Je nach Bedarf und Gegner ergänzten die Feldherren Griechenlands und Roms diesen noch oft variierten Kern ihrer Truppen mit Hilfsformationen aller Art, so dass spätestens seit der großen Zeit der makedonisch-hellenistischen Heere das Gefecht der verbundenen Waffen mit Kavallerie, Kriegselefanten und Torsionsgeschützen die Regel war. Mit seiner geschickten Mischung aus chronologischer und systematischer Darstellung füllt Schulz fraglos ein Desiderat der modernen Historiografie, da es trotz vieler Detailstudien seit dem längst überholten Werk von Johannes Kromayer und Georg Veith (Heerwesen und Kriegführung der Griechen und Römer) keine alle Aspekte integrierende Darstellung der antiken Kriegführung mehr gegeben hat. Trotz des begrenzten Platzes gelingt es dem Verfasser, sogar einzelne, charakteristische Schlachten oder Feldzüge in ihren wesentlichen Grundzügen zu schildern und zu analysieren, ohne dabei den Gesamtkontext der jeweils Handelnden aus den Augen zu verlieren.

Auch wenn Schulz in seinem Panorama vornehmlich die griechische und römische Welt mit ihrer urbanen Bürgerkultur in den Focus nimmt, werden auch die taktischen und waffentechnischen Innovationen der Perser, Parther und Germanen an geeigneter Stelle in die Betrachtung einbezogen. Die Übernahme von kriegstechnischen Innovationen wie die aufwändigen Belagerungsparks der orientalischen Imperien oder die ausgefeilten Seekriegstaktiken der phönizischen Flotten im Dienste des Großkönigs seitens der Kriegsgegner war keine Ausnahme. Der Aufstieg Athens oder Spartas zu Großmächten wäre ohne Xerxes’ groß angelegten Angriff von 480 v. Chr. nie denkbar gewesen. Was immer auch die Griechen an Kunst und Kultur als eigenständige und staunenswerte Leistungen der Nachwelt überliefert haben, die Fähigkeit, großräumige militärische Operationen mit kombinierten Land- und Seestreitkräften durchzuführen und logistisch zu meistern, mussten sie mühsam von den Persern lernen. Sämtliche bedeutenden Kriegsherren der Antike von Alexander über Pyrrhos und Hannibal siegten oder scheiterten mit multiethnischen Armeen. In der Armee des römischen Kaiserreiches spielten später Auxiliarverbände eine immer größere Rolle und zeigten sich wiederholt imstande, die militärische Entscheidung noch vor dem Einsatz der Legions-Infanterie zu erzwingen. Trotz schließlich rapide abnehmender Truppenzahlen blieb bis in die spätantike Zeit die Bereitschaft der männlichen Bürger, das eigene Gemeinwesen mit der Waffe zu verteidigen die kaum hinterfragte mentale Konstante des antiken Heerwesens. Die Krisen des 3. Jahrhunderts meisterte die römische Armee überraschend gut und ging sogar gestärkt aus den Kämpfen gegen Goten und Sassaniden hervor, die laut Schulz nie wirkliche eine Bedrohung des Imperiums bedeutet hatten. Nicht die eher planlosen Züge der Westgoten oder die fränkische Infiltration Nordgalliens leiteten dann im 5. Jahrhundert den Untergang des Westreiches ein. Das Föderatensystem mit einem Kern römischer Truppen funktionierte sogar jahrzehntelang erstaunlich gut, wie der Verfasser am Beispiel des Hunneneinfalls von 451 belegen kann. Erst der Verlust der nordafrikanischen Kornkammer an die Wandalen brach dem Westreich das Genick, da der dadurch verursachte Steuerausfall unmittelbare Auswirkungen auf die verbleibende Armee hatte. Als entscheidende Niederlage Roms sieht Schulz dann auch das knappe Scheitern der letzten gemeinsamen römischen Flottenaktion vor Karthago im Jahre 468. Nur acht Jahre danach war das Westreich am Ende.

Ohne Frage hat Schulz ein neues Standardwerk vorgelegt, das politische, soziale und mentale Faktoren der antiken Kriegsgesellschaften zu einer eindrucksvollen Gesamtschau integriert, dabei noch eigene neue Befunde liefert und auf jeder Seite ein Lesevergnügen bereitet.

Titelbild

Raimund Schulz: Feldherren, Krieger und Strategen. Krieg in der Antike von Achill bis Attila.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2012.
629 Seiten, 32,95 EUR.
ISBN-13: 9783608947687

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