Ein Professor und sein Lebensmensch
Erstmals wurde die Korrespondenz zwischen August Wilhelm Schlegel und seiner Bonner Haushälterin vollständig ediert
Von Jochen Strobel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSelbst der einsiedlerische Gelehrte, weltfremd und ganz seinen Studien ergeben, bedurfte eines Gesprächspartners, eines Helfers in alltäglichen Belangen. Die klassische Amtsbezeichnung hierfür war wohl die der Haushälterin, deren Aufgabenspektrum vom ganz profanen Putzen und Kochen bis hin zur Intimkommunikation sehr vieles umfassen konnte. Nicht selten dürften Briefe getauscht worden sein, wenn der Hausherr auf Reisen war und sich vergewissern wollte, ob zu Hause alles seinen geregelten Gang gehe. Weniger häufig werden sich solche Briefe erhalten haben, ganz selten dürften sie in textkritisch anspruchsvollen und gut kommentierten Ausgaben vorliegen. Eine solche, zudem: gewichtige, Ausnahme präsentieren nun Ralf Georg Czapla und Franca Victoria Schankweiler mit dem Briefwechsel zwischen dem Romantiker August Wilhelm Schlegel (1767-1845) und der Bonnerin Maria Löbel. Schlegel hatte seit der Gründung der Bonner Universität 1818 eine Ästhetik-Professur inne, auf der er sich vor allem der Indologie, also der Sanskrit-Philologie, widmete und zu einem ihrer Begründer in Deutschland überhaupt wurde. Nach unruhigen Wanderjahren im Dienste der Madame de Staël konzentrierte sich der gefeierte wie umstrittene Kritiker, Übersetzer und Literaturhistoriker auf seine universitäre Tätigkeit und verbrachte die letzten knapp drei Jahrzehnte in der damals so idyllischen Stadt am Rhein.
Die Briefe gewähren Einblicke in Schlegels Hausstand, besonders die Gastfreundlichkeit seiner Haushaltung und die für den Empfang immer neuer Gäste notwendigen Zurüstungen. Als er 1823 in London weilt, sagt er zu, zwei noch sehr junge Engländer, die Söhne des Indologen Henry Thomas Colebrooke und des in Ceylon tätigen Kolonialbeamten und Richters Sir Alexander Johnston, bei sich aufzunehmen. Sie lebten dann zwei Jahre lang in seinem Haus.
Schreibanlässe sind Schlegels wissenschaftliche Reisen zu den großen Indologen seiner Zeit nach Paris und London Anfang der 1820er-Jahre. 1827 hält er in Berlin mit großem Erfolg literaturgeschichtliche Vorlesungen, 1841 sucht er erneut die preußische Residenzstadt auf, um sich an der Herausgabe der Schriften Friedrichs II. zu beteiligen. Der Hausherr ist dann jeweils monatelang unterwegs und möchte regelmäßig erfahren, was im Haus und in der Stadt vor sich geht.
Die nicht nur durch Heine überlieferte Charakterisierung Schlegels als eitler Geck relativiert sich bei der Lektüre dieser Briefe ein weiteres Mal: Gebrauchte er die siebenarmigen Kerzenleuchter in seinen Vorlesungen vielleicht weniger zur Prachtentfaltung als seiner schwachen Augen wegen? Waren die Auftritte an den europäischen Höfen, die Einladungen bei Politikern, Wissenschaftlern und Künstlern nur Ausdruck der Eitelkeit oder einfach einem Willen zu modernem Networking geschuldet, das im 19. Jahrhundert eben im besten Fall an Fürstenhöfen, noch nicht auf Tagungen stattfinden konnte? Dass Schlegel seit 1815 den Familienadel wieder angenommen hatte, besagt vor diesem Hintergrund nicht mehr und nicht weniger, als dass der Adelstitel ihm mehr Türen öffnete als dickleibige Publikationen.
Um die Sache selbst ging es ihm allemal: in Paris sorgte Schlegel bei einem Schriftgießer höchstpersönlich dafür, dass ihm in Zukunft in Deutschland die Möglichkeit offen stehen würde, Sanskrit-Texte drucken zu lassen. Mit seinen kritischen Editionen der Bhagavad Gita und des Ramayana hat er seine ehrgeizigen Pläne dann auch verwirklichen können.
Die Korrespondenz zeigt also beide Briefpartner bei der Arbeit, und zumindest Schlegel lässt immer wieder durchblicken, dass er seine Angestellte vermisst, dass es ihm nicht nur darum geht, von den kleinen und den größeren Katastrophen des Bonner Alltags zu erfahren. Löbels Briefe sind allerdings weitgehend verschollen, von den 62 abgedruckten sind ganze acht von ihrer Hand. Sie berichtet vom Ärger mit den Handwerkern, dem Wohlergehen von Schlegels Pferden, von Besuchen und auch von akademischen Neuigkeiten. So schreibt sie 1827 dem in Berlin Weilenden über seinen Meisterschüler Christian Lassen: „H. laßßen ist heute Brumufirt worden.“
Löbel war keine gebildete Frau. Dass die Beziehung zwischen Schlegel und ihr von großer Herzlichkeit geprägt war, verraten nicht nur Schlegels besorgte Nachfragen nach ihrem Wohlergehen, sondern besonders die Erzählungen von seinem regelrechten Zusammenbruch, als sie einen Schlaganfall erlitten hatte und wenige Monate darauf starb – zwei Jahre vor ihm, dem um ein Jahrzehnt Älteren.
Aussagekräftig ist eine Tagebuchnotiz des preußischen Regierungsbeamten Philipp Joseph von Rehfues, der mit Schlegel gut bekannt war: „Welche Macht übt das Gemüth in den wichtigsten Verhältnissen! Diese Person stand in Geist und Bildung, in jeder Art von Verhältniß tief, unendlich tief unter einem der gebildetsten Männer der Zeit und vielleicht aller Jahrhunderte. Aber ihr Herz, ihre Treue hatte sie zu ihm emporgehoben und wäre sie seine Gattin gewesen, er hätte sie nicht mit tieferem Schmerz betrauern und ehren können.“
Es ist nicht zu hoch gegriffen, wenn die Herausgeber Maria Löbel mit einem Wort Thomas Bernhards als Schlegels ‚Lebensmenschen‘ bezeichnen; dass sie ihn zum Katholizismus geführt hätte, ihm „Jungfrau und reine Magd […] auch und vor allem im religiösen Sinne“ gewesen sei, wie es in der informativen Einleitung heißt, geht aus den Briefen freilich nicht hervor.
Davon abgesehen sind Findigkeit und Kommentierungsfreude der Herausgeber hoch zu loben. Der sehr ausführliche Sachkommentar präsentiert tatsächlich ein gutes Stück bildungsbürgerlicher Alltagskultur in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das Unprätentiöse in den Briefen des sonst so unnahbaren Gelehrten macht, zusammen mit den wenigen erhaltenen Antworten seiner treuen Hausangestellten, den Charme dieses Buches aus, das schon einmal an den bevorstehenden 250. Geburtstag Schlegels wie auch an den 200. Gründungstag der Rheinischen Friedrichs-Wilhelms-Universität denken lässt.
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