Von Norddeutschland nach Klagenfurt
Nikola Anne Mehlhorns Texte eröffnen den Lesern alles andere als heile Welten
Von Esther Kalb
Geht man die Liste der diesjährigen Nominierten für den Ingeborg Bachmann-Preis durch, fällt auf, dass fast die Hälfte der Autoren aus Berlin stammt. Die Autorin Nikola Anne Mehlhorn jedoch reist aus Heidgraben bei Hamburg an. Diese starke Verwurzelung in Norddeutschland wird in ihren Texten immer wieder deutlich. In ihrer Kindheit hat sie die Welt kennengelernt, heute jedoch lebt sie wieder in ihrer ursprünglichen Heimat, deren ständige Präsenz ihre Erzählungen zum Leben erweckt.
Wer die Texte von Nikola Anne Mehlhorn liest, spürt den Wind förmlich auf der Haut und meint das Salz der Nordsee zu schmecken. Die drei Erzählungen „Brachmond“, „Sternwerdungssage“ und „Salzflut“ erinnern an die windigen, kargen Landschaften Norddeutschlands, die immer wieder unterschwellig zum Thema der Texte werden und deren lakonische Beschreibung stark zum pessimistischen Charakter der Werke Mehlhorns beiträgt: „Ich ging langsam, durch den strömenden Regen, in die Kirche. Die kleine Kirche der Insel Häwenslood, die mit hohem Turm über Warften und Wiesen bis hin zum grauen Meer blickte, empfing mich kühl.“
Neben der norddeutschen Landschaft, ist der ständige intertextuelle Bezug auf die Bibel, auf Mythologie und Mystik, aber auch auf Geschichten und Parabeln ein prägnantes Merkmal der Texte. Fast collagenhaft wirken sie, da die Handlung immer wieder durch Bibelzitate oder Lebensweisheiten unterbrochen wird.
Wer jedoch liest, um sich in eine heile Welt zu flüchten, wird an den Erzählungen Nikola Anne Mehlhorns keine Freude haben. Die namenlosen Protagonistinnen ihrer Geschichten sind unzufrieden mit ihrem Leben und vom Pech verfolgt. Ganz besonders was ihre Beziehung zu Männern angeht. Im Erstlingswerk „Brachmond“ (1998, Rospo) läuft die Protagonistin, die bereits frühreif mit Brüsten und Schamhaaren geboren wird, als junges Mädchen mit einem Mann davon, der sie schwängert und nach zwei Wochen wieder verlässt. In „Sternwerdungssage“ (2002, Frankfurter Verlagsanstalt) geht es um eine junge Frau, die sich mit einem Sanitäter verlobt, der sie ausnutzt, betrügt und noch vor der Hochzeit sitzen lässt. Im Mittelpunkt des dritten Werks „Salzflut“ (2010, Nachttischbuch-Verlag) steht eine ungläubige Pastorin, deren Zwillingsschwester ihr den Geliebten, Amadé, vor der Nase weggeschnappt hat.
Die ausgebildete Hornistin beschäftigt sich mit großen Themen wie Glaube, Judentum, Homosexualität und Liebe. Ihre Geschichten kippen jedoch aufgrund ihrer knappen und assoziationsreichen Sprache nicht ins Pathetische. Nie wird sie erklärend, sondern stellt die trockenen Sätze lieber unkommentiert nebeneinander. Ihre Beschreibungen sind kurz, aber pointiert und lebendig: „Gemeindebüro. Seelsorger-Sprechstunde. Die alte Frau Knudsen, Mutter von Heinrich und Sören. Ein Drachen. Mit breiten Schultern und kleinen Augen. Zwei Stunden Jammer. Altbekannt, unerträglich. Ich legte im Geiste die Beine hoch auf den Schreibtisch.“
Für ihre Wortkunst, die immer wieder von Rezensenten gelobt wird, ist die Autorin schon mehrfach ausgezeichnet worden. Beispielsweise mit dem Hamburger Literaturförderpreis oder Stipendien des Literarischen Colloquiums Berlin. Nun hat sie Juri Steiner zum Wettlesen in Klagenfurt eingeladen. Die Erfüllung eines Lebenstraumes, wie sie auf ihrer Internetseite schreibt. Und das gerade noch rechtzeitig, denn wer weiß, wie es um die Zukunft des Preises bestellt ist.
Dieser Text gehört zu einer Serie von Artikeln von Studierenden aus Duisburg-Essen zum Bachmannpreis 2013.