Auf den Spuren Michail Bulgakows
Bei Cordula Simon geht es um Absurdes und Existentielles
Von Stephanie Wolke
Mit ihren 27 Jahren ist die gebürtige Grazerin Cordula Simon die jüngste Teilnehmerin beim diesjährigen Wettlesen in Klagenfurt. Im Unterschied zu vielen anderen Bewerberinnen um den Ingeborg-Bachmann-Preis hat sie aber bereits literarisch debütiert: Seit letztem Jahr ist ihr erster Roman im Buchhandel erhältlich. Doch es ist noch nicht allzu lange her, dass sie – sozusagen hauptberuflich – ein wissenschaftliches Interesse an Sprache und Literatur beschäftigte. In ihrer Heimatstadt Graz sowie im ukrainischen Odessa studierte sie noch bis 2011 deutsche und russische Philologie. Sie schloss ihr Studium mit einer Arbeit über Werke der russisch-deutschen Schriftstellerin und Psychoanalytikerin Lou Andreas-Salomé ab.
Ob Cordula Simon ihre Liebe zur Hafenstadt am Schwarzen Meer erst während ihres Auslandssemesters entdeckte, oder ob sie Odessa schon zuvor erlag, muss an dieser Stelle offen bleiben. Im Hinblick auf (persönliche) biografische Details hält sich die junge Autorin der Öffentlichkeit gegenüber bedeckt. Außer Frage steht allerdings, dass Odessa eine zentrale Bedeutung für ihr Leben und Schreiben zukommt. Die Österreicherin hat die ukrainische Stadt nicht nur zu ihrer aktuellen Wahlheimat erkoren, sondern sie dient ihr auch als Handlungsschauplatz für ihre Geschichten.
Spätestens im Jahr 2009 ist Cordula Simon einem breiteren deutschen Publikum bekannt geworden, denn damals gewann sie den ersten Platz beim „ZEIT Campus“-Literaturwettbewerb. Schon ihr damaliger Gewinnertext, der den Titel „Die Vorlesung“ trägt, spielt in Odessa. Eng verbunden mit der Ukraine im Allgemeinen und Odessa im Besonderen ist auch Cordula Simons Debütroman, „Der potemkinsche Hund“, der 2012 im Wiener Picus Verlag erschien. Bereits der Titel des Buches verweist auf die ukrainische Hafenstadt, nämlich auf die so genannte potemkinsche Treppe, das prominente Wahrzeichen Odessas.
Im Gegensatz zur preisgekrönten Kurzgeschichte, handelt es sich bei ihrem Roman um einen fantastischen Text, der schon jetzt mit den Erzählungen des großen russischen Satirikers Michail Bulgakow verglichen wird. Im Zentrum der Geschichte stehen die zwei jungen Ukrainer Irina und Anatol. Eigentlich sind sie nur flüchtige Bekannte, zugleich aber untrennbar miteinander verbunden und doch finden sie nicht zueinander: Als Anatol unerwartet stirbt, setzt seine Nachbarin Irina alles daran, ihren geliebten Anatol, auf den sie aus der Ferne all ihre Beziehungssehnsüchte projiziert hat, zurück ins Leben zu holen. Privat verspricht sie sich davon die überfällige Eroberung ihrer großen Liebe. Beruflich wird die Chemikerin in die Weltgeschichte eingehen, wenn ihr Vorhaben glückt. Doch als Anatols Leiche zunächst leblos bleibt, lässt die enttäuschte Irina einen verwirrten Auferweckten auf dem Friedhof zurück, der später in Begleitung eines streunenden Hundes durch die Ukraine irren wird.
„Der potemkinsche Hund“ ist ein Streifzug durch das alltägliche Leben in der postsowjetischen Ukraine. Dabei zeichnet Cordula Simon – wie sich aufgrund ihrer offensichtlichen Liebe zu diesem Land vermuten ließe – aber kein verklärendes Bild. Sie thematisiert auch ein Land, in dem soziale Ungerechtigkeiten allgegenwärtig sind. Stets ist Korruption der gängige Weg, um ans Ziel zu gelangen. Das gilt für Behördengänge genauso wie für Krankenhausaufenthalte.
Besonders beeindruckt ihr Erstling durch die Tatsache, dass man sich sofort auf ihn einlassen kann, vielmehr einlassen muss, obwohl er mit einem Ereignis einsetzt, das der ansonsten realistischen Verortung des Romans zuwiderläuft. So skurril die Auferweckungsszene zunächst anmuten mag, schon nach den ersten Seiten erscheint die Auferstehung eines Toten völlig selbstverständlich. Die vielen verschiedenen Figurenperspektiven, aus deren Sicht erzählt wird, geben diesem Roman um zwei junge einsame Menschen seinen besonderen Reiz. So gelingt es, schwer zu Vereinbarendes mit Leichtigkeit nebeneinander zu stellen: absurde, witzige Szenen und existentielle Probleme.
Dieser Text gehört zu einer Serie von Artikeln von Studierenden aus Duisburg-Essen zum Bachmannpreis 2013.