It’s a man’s world

Mit seinen Romanen „Letzte Fischer“ und „Ich, dann eine Weile nichts” verfasst Volker Harry Altwasser den Schwanengesang einer gefährdeten Spezies

Von Jens ZwernemannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jens Zwernemann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Keine Frage: Im Zuge der zunehmenden Feminisierung – wenn nicht gar Effemination – der Gesellschaft ist das Konzept ‚Männlichkeit‘ zunehmend ins Wanken geraten (wahrscheinlich wird es auch dadurch überhaupt erst zu einem ‚Konzept‘). Während sich dies einerseits gerade auf dem Gebiet modischer Trends noch relativ harmlos in androgynen und metrosexuellen Erscheinungsformen à la David Beckham niederschlägt, hat es auf anderen Gebieten sicherlich durchaus schwerwiegendere Folgen: So stellte eine britische Studie unlängst fest, dass scheinbar als Gegenreaktion zur eigenen Marginalisierung immer mehr Männer in Großbritannien gewaltbereiter und aggressiver zu sein scheinen als jemals zuvor. Wie sehr man als Mann mittlerweile um seine Rolle zu kämpfen hat, führt Volker Harry Altwasser in seinen beiden Romanen „Letzte Fischer“ und „Ich, dann eine Weile nichts“ vor.

In „Letzte Fischer“ macht bereits der Titel deutlich, dass es sich bei den Protagonisten nicht nur um die letzten Vertreter ihres Berufsstandes handelt, sondern wohl auch um die letzten ihrer Art, deren beständiger Kampf um ihre Männlichkeit auch ein zentrales Thema des Romans ist. Dabei mag bereits der Anblick des mit rund 500 Seiten doch durchaus umfangreichen Bandes vielleicht schon so manchen Leser (oder natürlich so manche Leserin) abschrecken. Wer kennt das nicht – da liegt ein voluminöses Buch vor einem, und man fürchtet sich fast davor, es aufzuschlagen. Mühsam kämpft man sich durch die ersten – sagen wir – 50 Seiten und hat auch danach noch keine Ahnung, worum es eigentlich geht; 50 Seiten später ist die Progression des Lesezeichens noch immer nicht wirklich erkennbar, und die Handlung beginnt eigentlich auch erst jetzt an Fahrt zu gewinnen, und es dauert weitere 100 Seiten, bis man sich endlich in den Roman hineinfindet, um ihn dann (hoffentlich) mit Genuss lesen zu können.

Bei Altwassers Roman ist es genau umgekehrt: Es ist ein geradezu fulminanter Auftakt, den der Autor dem Leser da präsentiert. Man befindet sich an Bord eines sogenannten „Fang- und Verarbeitungsschiffes“ namens Saudade auf hoher See; der Protagonist Robert Rösch ist eigentlich ein gescheiterter Student, der nach elf Semestern Studium in seinem Examen glorios scheiterte, als er die (wissenschaftlich wenigstens fragliche) Theorie des „Peter-Pan-Syndroms“, das sich vor allem in einem Mangel an Verantwortungsbewusstsein bei erwachsenen Männern manifestiere, seinen darob wenig amüsierten Dozenten näherzubringen versuchte. Nun fängt Rösch „Kurznasenseefledermäuse“ (Gibt’s die wohl wirklich? Mag sich da so manch zoologisch wenig beschlagener Rezipient fragen, um nach einem Griff zu Brehms Tierleben festzustellen: nicht wirklich). Die Tätigkeit ist für die gesamt Mannschaft ausgesprochen wertvoll, da besagter Flugtiere Häute ausgesprochen wertvoll sind und somit gutes Geld bringen.

Der Protagonist wird zu seinem Kapitän gerufen, und es wird bald deutlich, dass ihn etwas bedrückt, ein dunkles Geheimnis gar, das mit seiner offenbar unglücklichen Gattin zusammenhängt, in deren Vergangenheit etwas Einschneidendes passiert sein muss, das sie insbesondere im Mai immer merkwürdig agieren lässt. Ein echter page turner würde man anglisierend sagen – doch dann passiert’s: Die Crew des Schiffes wird en detail vorgestellt, wobei alle durchaus launige und vor allem sprechende Seemannskünstlernamen haben wie etwa Filigraner, Uralter Richard, Opernsänger oder gar Langer Finger. Bald schon stellt sich dann allerdings – sicherlich zur Konsternation des unbedarften Lesers – heraus, dass so echte Männer vor allem eins sind: redselig. Dabei kommen sie leider (hier werden Gender Stereotype wenigstens einmal konsequent auf den Kopf gestellt) selten auf den Punkt, und die Dialoge werden schon bald langatmig und phrasendrescherisch: „Alle vierzehn Starkstromscheinwerfer des Fangdecks flackerten und Robert Rösch brüllte mitten in den Sturm hinein: ‚Wozu Licht, wenn unsere Frauen uns leuchten!‘ ‚Ein Sturm verebbt, Treue niemals‘ brüllte der neuseeländische Windenfahrer zurück, und Rösch nickte ihm grinsend zu“. Fast noch schlimmer ist allerdings die Tatsache, dass sie auch nicht sonderlich gut darin sind, Witze zu erzählen: „Zwei Kannibalen essen einen Clown. Meint der eine: Der schmeckt aber komisch!“ Zuweilen befleißigt sich der Autor auch gerne einer eigenwilligen Syntax, die wohl das besonders Markig-Maskuline der Situation zum Ausdruck bringen soll: „Und aus brach der Jubel auf dem gesamten Hochseeschiff!“ Das wiederum kann freilich auch auf der Handlungseben trefflich dargestellt werden: „Und auch Robert Rösch schrie den Takt lauthals mit, die Hände fest um den Vierkant der Reling. Er ließ sich die Worte von den Lippen reißen, ließ den Sturm sie zerfetzen, schrie ununterbrochen Sätze heraus, von denen er plötzlich im Überfluss hatte, Sätze, die zum Dialog wurden. In denen alles ausgesprochen wurde, was einem Hochseefischer wichtig war; Sätze, die in zwei Worte passten: ‚Hiev? – Up!‘ Kein Zweifel: It is a man’s world!

Nach derlei nützlichen Lebensweisheiten, humoristischen Einlagen und actiongeladenen Szenen wird auch bald klar, warum die Männlichkeit ganzer Generationen auf der Kippe steht – es mangelt den Jungen an positiven Vorbildern, männlichen insbesondere. Das mag sogar zutreffend sein, die didaktische Verve, mit der Altwasser diese Erkenntnis kommuniziert, ist allerdings auf Dauer doch etwas enervierend. So sieht Luise, Röschs Stieftochter, dessen Jugend klar vor sich: „Dabei habe doch Robert auch eine so harte Kindheit hinter sich gehabt. Wie er denn überhaupt noch freundlich habe sein können? Ohne Vater und ohne männliche Bezugspersonen bei einer verrückten Großmutter und einer gefühlstauben Mutter aufzuwachsen, die sich aller Annäherung entzogen habe, für Luise klang dies grausam.“ Dementsprechend nimmt sich Mathilde, Röschs Frau, die, wie der Leser nun nach und nach erfährt, sich im Mai immer unberechenbar verhält, da hier die Erinnerung an ihren ersten, gewalttätigen Gatten besonders präsent ist, eines offenbar luxusverwahrlosten Sechsjährigen an, um ihn zu einem guten Menschen (oder sollte man sagen ‚Gutmenschen‘?) zu erziehen. Zu diesem Behufe gelingt es ihr, das ziemlich kluge aber auch patzige Kerlchen davon zu überzeugen, dass das Anfertigen von Scherenschnitten im Hinblick auf die Charakterbildung deutlich wertvoller sei, als das Spielen von elektronischen Ego Shooters: „‚Einen Scherenschnitt. Das ist eine Kunstform, bei der du alles wegschneiden kannst, was dich stört. Dann bleibt nur das übrig, was du auch wirklich dahaben willst.‘ ‚Das klingt gut, wie beim Computerspiel. Da ballere ich auch weg, was stört.‘ ‚Aber das Ausschneiden ist viel besser. Weil du da selbst etwas tust. Du kannst deinen eigenen Schnitt machen! Theodor Maximilian, du kannst selbst etwas hinbekommen, anstatt nur einen Plan zu erfüllen.‘“

Die Tochter Luise wiederum, ihrerseits relativ burschikos, war die erste ausgebildete Kampfschwimmerin der DDR und arbeitet nun für eine nautische Sicherheitsfirma, die Schiffe vor Angriffen wahlweise von Umweltaktivisten oder Piraten schützt. Letztere sind es dann schließlich auch, die die Saudade kapern; doch (wer hätte es gedacht?) es sind nicht irgendwelche Captain Hook-Piraten, die sich da seeräuberisch betätigen, sondern (horribile dictu!): Frauen. Es kommt somit zum Geschlechtershowdown auf dem Hochseetrawler, bei dem zunächst die fies kampfenden Frauen die Oberhand zu behalten scheinen: „Weil er es einfach nicht mehr für sich behalten konnte, sprach Kroatischer Riese die Demütigung endlich aus, die ihn schon die ganze Zeit quälte. Leise sagte er: ‚Mich haben zwei weibliche Piraten fertiggemacht! […] Was für eine Welt ist das nur geworden?‘ ‚Eine Welt, in der wir keinen Platz mehr haben‘, sagte Opernsänger.“

Die männliche Besatzung wird in den „Frischwasserbunker“ eingesperrt, wo sie – einer nach dem anderen – von den dort aufbewahrten Thunfischen genüsslich verspeist wird. Doch was ist nun der einzige Ausweg der schließlich wenigen verbleibenden Männer? Die einzige Rettung ihrer Männlichkeit? Genau: Selbstzerstörung: „Sie kämpften lange. Es war ein erbitterter Kampf. Der stark geschwächte Mann von ‚verbrauchtem Schrot und Korn‘ bekam die durchtrainierte und flinke Frau von ‚frischem Mut und Können‘ nicht unter Kontrolle. Aber auch sie gewann nicht die Oberhand. Es war mehr als der Kampf zweier Menschen. Es war ein Kampf zweier Zeiten. […] Uralter Richard konnte sich lange nicht rühren, er wollte diesen Moment des Wechsels nicht unterbrechen. Er sah den kämpfenden Gewalten fasziniert zu; endlich habe sich der feige Moby-Dick dem Kapitän Ahab zum Kampf gestellt! Doch schließlich drehte er sich auf die Seite holte die Pistole aus dem Hosenbund, lud sie mit Leuchtmunition, schob eine Metallplatte weg und zielte. Er zielte lange, während Kroatischer Riese stöhnte. Dann drückte er ab.“

Die Moral von der Geschicht’? Die gibt der Autor in einem Epilog gerne an: „Nun sind alle männlichen Figuren tot, die weiblichen aber haben überlebt.“ Aha. Insgesamt krankt „Letzte Fischer“ an einem Zuviel – zu sehr werden Hochseeabenteueroman, pseudo-psychologische Spekulation über die Verantwortungslosigkeit von Männern und psychologisch-soziologische Mediationen über die gesellschaftliche Rolle derselben vermischt. Das Resultat ist schließlich langatmig, leider häufig vorhersehbar und sprachlich an mehr als einer Stelle unnötig pathetisch-schwülstig. Weniger wäre hier sicherlich mehr gewesen.

Ganz anders dagegen „Ich, dann eine Weile nichts“. Auch hier geht um einen Mann, einen historischen diesmal, nämlich den letzten Herzog von Pommern, Bogislaw XIV., der seinerzeit dafür verantwortlich war, dass sein Land zunächst von Wallensteins Truppen, später von den Schweden unter Gustav II. Adolf besetzt wurde. Als „Theaterroman“ bezeichnet der Klappentext das Werk, ein völlig neues Genre sei dies, ja hier werde „literarisches Neuland“ beschritten, wie ebenfalls stolz verkündet wird; dabei handelt es sich bei diesem Werk – ganz ehrlich – eigentlich nur primär um einen langen Dialog diverser Figuren mit längeren Einschüben, in denen die Gedanken der Hauptfigur präsentiert werden. Eine Methode, wie sie etwa Christa Wolf in „Medea“ anwandte und, das bereits jetzt gesagt, noch dazu fraglos deutlich erfolgreicher als Altwasser. „[T]olldreist gereimt“ sei die „rhythmische Reflexionssuada über die Macht, die Schwäche und über die Macht der Schwäche“ – so erneut der Klappentext – konkret heißt dies: Völlig divergente Sprachebenen werden hier vermischt und mäandern schließlich zwischen historisch glaubwürdig und fragwürdig hipp-aufgepimpt. So stellt etwa Bogislaw bei der Ankunft Wallensteins fest: „Hoch her geht’s dieser Tage, jetzt kommt auch noch der Wallenstein! / So lange blieb verschont vom Krieg mein Herzogsland: / So lange Pfälzer Wein! […] Ach, hätte ich gestern nur nicht gesoffen, / heute könnte ich dann noch hoffen!“ und Wallenstein selbst wird das ‚tolldreist gereimte‘ Bonmot „Halt die Fresse, / sonst singt man dir die Messe!“ in den Mund gelegt. Angereichert wird der Text durch eine Vielzahl von Zitaten aus – wenig überraschend – Shakespeares „Hamlet“ und „Macbeth“, Schillers „Wallenstein“ und – dies allerdings ist eine echte Trouvaille – Gedichten von Sybilla Schwarz, der „pommersche[n] Sappho“. Dabei wird eine die Jahrhunderte überspannende Intertextualität und eine tatsächliche Geschichtskenntnis für die Figuren selbst zum bewussten Spiel. So vermag etwa Christian Schwarz den Tod seiner Tochter vorauszusagen („[…] Diesen Floh nennt man die pommersche Sappho! / Und doch stirbt sie in nicht mal zehn Jahren den schwarzen Tod.“) und auch den Wallensteins: „Durchlaucht, bedenkt, in knapp fünf Jahren ist der Wallenstein getötet, / ermordet als Hochverräter von seiner eigenen Meute“; Wallenstein selbst kann sich auf seine zukünftigen Biografen berufen: „Große Taten brauchen große Worte, so spannt man an! / Ich hab sogar noch Golo Mann!“ Bogislaw XIV. wiederum ist sicherlich auch ein Beispiel für das in „Letzte Fischer“ postulierte Peter-Pan-Syndrom, ist er doch unfähig, Entscheidungen zu treffen, und dadurch bedingt auch nicht in der Lage, Verantwortung für sein Land zu übernehmen. Sein unermesslicher Egozentrismus wird durch das sich leitmotivisch durch den gesamten Text ziehende Titelzitat „Ich, dann eine Weile nichts“ eindrücklich demonstriert; so eindrücklich, allerdings, dass es in manchen Passagen am Ende eines jeden Absatzes gebetsmühlenartig wiederkehrt – eine Technik, die zunächst noch faszinieren mag, bald aber nur noch entnervend ist.

Es treten verschiedene Figuren auf, die teils real, teils nur als Ausgeburten seiner Phantasie, auf den Pommernherzog einreden und ihn unterschiedlich zu beeinflussen suchen. Altwassers Roman mag für Geschichtsenthusiasten sicherlich einen gewissen Reiz haben, doch während „Letzte Fischer“ durchaus nicht nur am Anfang Leser auch für sich einnehmen kann, ist „Ich, dann eine Weile nichts“ insgesamt viel zu gewollt artifiziell, um ein wirklich anregendes Lesevergnügen bieten zu können. Altwasser zeigt sich somit zwar als ein durchaus experimentierfreudiger Autor mit einem großen sprachlichen wie formalen Repertoire, die ihm wirklich gemäße literarische Form scheint er aber noch nicht gefunden zu haben.

Titelbild

Volker H. Altwasser: Letzte Fischer. Roman.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2011.
503 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-13: 9783882215540

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Titelbild

Volker Harry Altwasser: Ich, dann eine Weile nichts. Theaterroman.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2012.
170 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783882219876

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