Der Kampf um Optimierung
Ein Nachbericht zur Lesung von Philipp Schönthaler beim Bachmann-Preis 2013
Von Sarah Gharib-Noureddine
Philipp Schönthaler sieht sein geisteswissenschaftliches Studium im Nachhinein als notwendige Bedingung für seine Schriftstellerexistenz an. Beim Wettlesen in Klagenfurt las er am zweiten Tag die Erzählung „Ein Lied in allen Dingen“. Eingeladen hatte ihn der Juror Hubert Winkels.
Schönthaler wurde 1976 in Stuttgart geboren und lebt derzeit in Essen. Er hat Anglistik und Kunst in Vancouver studiert. 2010 wurde er mit seiner Arbeit über die „Negation des Erzählers“, die sich mit Thomas Bernhard, W. G. Sebald und Imre Kertész beschäftigt, an der Universität Konstanz promoviert. Dort war er bis Juli 2011 als Postdoktorand und Lehrbeauftragter tätig. Seitdem ist Philipp Schönthaler freischaffender Autor, ein „gelehrter Dichter“ also. Er war Stipendiat der Autorenwerkstatt Prosa des Literarischen Colloquiums Berlin und wurde bereits mit einer Reihe von Auszeichnungen geehrt. In diesem Jahr erhielt Schönthaler für sein Debüt, den Erzählband „Nach oben ist das Leben offen“ im Matthes & Seitz-Verlag, den Clemens-Brentano-Preis.
Im Jury-Urteil heißt es, Schönthaler werfe „einen kalten Blick auf die Zwänge unserer verhaltensoptimierten Leistungsgesellschaft in sozialen Beziehungen, Konsum, Verkehr und Sport“. Er unternehme das „mit neusachlichen Mitteln und [lege] antiromantische Erzählungen auf der Höhe der Zeit [an]“.
Tatsächlich kritisiert Schönthaler den Erwartungsdruck unserer Gesellschaft, die ständige Forderung, die eigenen Grenzen zu überschreiten. Er konstruiert Figuren, die sich im öffentlichen Raum, am Arbeitsplatz, in der Universität oder in einer Shopping Mall bewegen. Er zeigt den heutigen Menschen in seiner Freizeit, in seiner höchsten Anspannung, aber auch in seiner tiefsten Verlassenheit. Schönthalers Figuren sind Körper-Freaks. Sie halten sich mit Sport und Esoterik fit, sei es mit Yoga, Feldenkrais-Übungen oder progressiver Muskelentspannung. Die Übungen dienen aber nicht der Entspannung, sondern zielen auf Selbstoptimierung. Die Körper stehen für Leistungswahn, ein Thema, das die Erzählungen miteinander verbindet. So wie der Körper ständig in Bewegung bleibt, bewegt sich auch die Syntax der Erzählungen:
„liste angenehmer aktivitäten: / Xaver geht gern ins kino / Vera bevorzugt die Mittagsvorstellungen / Gerda macht gern aerobik / Vera kauft gerne kleider / Xaver denkt gerne an frühere reisen…“, heißt es in der Erzählung „Das Schiff das singend zieht auf seiner Bahn“. Die Texte sind mit Diskursfragmenten aus der Waren- und Gedankenwelt durchzogen; sie beschäftigen sich mit der Beobachtung von Geräten, der Technik und mit der Mechanik der durch Körper und Dinge konstruierten Außenwelt. Die Innenwelt bleibt weitgehend ausgespart. Dem entspricht Schönthalers elliptisches Schreiben, eine eigenwillige Interpunktion und die unkonventionelle Groß- und Kleinschreibung.
Philipp Schönthaler setzt seine Figuren der gnadenlosen Dynamik ökonomischer Vorgänge und Appelle aus: „zur philosophie des hauses vorab nur soviel, erklärt der center-manager: ziel ist es, die anwesenden lange zu binden, das ist kein sportlicher ehrgeiz, sondern ökonomisches interesse“ (Auszug aus „Shopping Mall“).
Konsequenterweise inszeniert sich Schönthaler auch in seinem Videoporträt für den Bachmann-Preis vor dem gigantischen Einkaufscenter am Limbecker Platz in Essen.
Schönthaler las in Klagenfurt seine für den Wettbewerb konzipierte, neoromantische Virtuosen-Geschichte „Ein Lied in allen Dingen“ vor. Der Querflötenspieler Niklas Metnev gerät auf seiner Welttournee in „einen kafkaesken Todesapparat“ (Juri Steiner). Die minutiöse Beschreibung der technischen Details, in der SAP-Arena in Mannheim etwa, lässt keinen Raum für den freien Willen des Künstlers. Winkels konstatiert einen „unabwendbaren Countdown zur Implosion der Kunst in ihrem kommerziellen Korsett“. Die Kritik der Jury war jedoch nicht durchweg positiv. Paul Jandl beklagt die fehlende Dynamik des Textes, während Meike Feßmann die Botschaft der Novelle offenbar unklar war. Die Erzählweise, die Parallelen zu einer Gebrauchsanweisung aufweise (Hubert Winkels), spitzt Schönthaler auch inhaltlich zu: „Von Nicolet habe ich gelernt, dass die Musik eine Sprache ist, in der ich mich ausdrücken kann. Im Orchester kann man sich verstecken, nicht mit einer Solokarriere. Da muss man mit dem Publikum direkt in Kontakt treten können, mental und emotional. Ich sage es so: Wenn Du da vorne stehst, musst du eine packende Geschichte erzählen“.
Schönthalers Auffassung von packenden Geschichten lautet: „Mir geht es nicht darum, Geschichten zu erzählen, als vielmehr darum, bestehende Geschichten zu befragen. Dazu, was sie selbst an Gesellschaftsentwürfen transportieren oder vermitteln. Wir werden tagtäglich von einer ungeheuren oder auch inflationären Anzahl von Geschichten umgeben. Jedes Objekt, und sei es nur ein Müsliriegel, muss als Marketingprodukt seine eigene Geschichte erzählen.“ Auf die Shortlist der Jury in Klagenfurt hat er es unverdienterweise nicht geschafft.
Schönthalers Debütroman „Ein Schiff das singend zieht auf seiner Bahn“ wird im Juli 2013 erstmals im Matthes & Seitz-Verlag veröffentlicht und trägt damit den gleichen Titel wie eine seiner Erzählungen in dem Band „Nach oben ist das Leben offen“. Der Roman kann also als eine Fortführung dieser Erzählung gesehen werden. Schönthaler thematisiert erneut die zu hohen Ansprüche und Zumutungen unserer alltäglichen Arbeits- und Lebenswelt: „Jeder Tag ist ein Kampf um optimiertes Aussehen, optimierte Arbeitsziele, optimierte Arbeitsplätze, optimierte Berufseinstellungen“. Seine Erzählungen betreffen uns alle.
Dieser Text gehört zu einer Serie von Artikeln von Studierenden aus Duisburg-Essen zum Bachmannpreis 2013.