Der Traum vom Unmöglichen

Ingvar Ambjørnsen lässt in seinem Roman „Eine lange Nacht auf Erden“ einen abgetakelten Journalisten nachdenklich werden

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ingvar Ambjørnsen hat ein feines Händchen für komische Typen. Sein liebenswerter Elling ist legendär. Verglichen mit diesem sanften Spinner setzt Ambjørnsens neuester Held Claes Otto Gedde einen Kontrapunkt. Wirkt Ellings tiefe Melancholie erheiternd komisch, entpuppt sich Geddes laute Komik als Produkt einer tiefen Melancholie. Doch auch Gedde sehnt sich nach einer Pause in seinem Leben, nicht wie Elling in der Anstalt, sondern in der Berliner Wohnung der verstorbenen, älteren Lebensfreundin Margot Breivik. Auf die sechzig zugehend, möchte er hier den Winter verbringen und in einer „langen Nacht“ Ruhe und Besinnung finden.

Gedde ist kein unbeschriebenes Blatt. Einst ein berühmt-berüchtigter TV-Journalist hat er es allmählich mit allen verdorben, so dass er vor längerem schon die Heimat Norwegen verlassen hat und in der Welt umher tingelt. Jüngst ist in einem Kleinverlag sein Buch „Die alte belgische Küche“ erschienen, ein Rezeptbuch, das sich Gedde zusammen geschummelt und aus dem Internet abgeschrieben hat. Dass es kaum mediale Aufmerksamkeit genießt, kränkt den Autor und macht ihm zugleich klar, dass nun unweigerlich das Alter, die Gebresten, der Tod über ihn kommen werden. Der Besuch auf der Frankfurter Buchmesse ist ernüchternd komisch, und in Berlin, wohin er danach reist, erhält er von Margot Breiviks Sohn, aller Abmachungen zum Trotz, keinen Schlüssel für die leer stehende Wohnung. So verschafft er sich auf andere Weise Zutritt.

Der Roman erzählt von Geddes Eskapaden und den sie begleitenden Ängsten. Zwischen diesen beiden Mühlsteinen droht er zermalmt zu werden. Einerseits möchte er ein neues Leben beginnen, weniger trinken, dafür mehr schlafen und nachdenken, andererseits schafft er es doch nicht, seine Unrast zu bezähmen und zu Hause still zu sitzen. So geht er um Mitternacht doch noch schnell in den „Fisch“ auf einen Wein, oder zwei. Und wenn er getrunken hat, zerrt er mutwillig die alten Geschichten wieder ans Tageslicht, um über alle und alles zynisch herzufallen. Gedde ist wider Willen unverbesserlich. Er hegt Träume vom Unmöglichen und tappt zielsicher in die eigenen Fettnäpfchen.

Ambjørnsen hat mit ihm eine Figur geschaffen, die nervt und zugleich bitter komisch wirkt. Vor allem die gewundenen Selbstgespräche in Geddes Kopf fängt der norwegische Autor mit feinem Gespür ein, diese rastlose Unruhe, die scheinbar nur zum Stillstand kommt, wenn er betrunken darnieder liegt.

Das Buch spannt sich gewissermaßen zwischen zwei Anekdoten auf. In der ersten fragt ein isländischer Übersetzer danach, wie das norwegische Wort für „Gemütlichkeit“ übertragen werden könnte mangels eines adäquaten Begriffs. Die erfolglose Suche verärgert ihn zunehmend, so dass ihm je länger desto ungeschminkter Ressentiments über diese deutsche Lebenskultur hochkommen, die ein„Schwulenwort“ kennt, das bestenfalls „Ausdruck für Verfall und Dekadenz“ ist. Die zweite Anekdote erzählt aus Geddes ernsthafter Journalistenkarriere. Vor Jahren schrieb er für die Zeitschrift „Samtiden“ über den „größtmöglichen Zustand der Langeweile“. Gedde unterzog sich selbst dem Experiment und bezog eine Woche lang Logis im Hotel des Frankfurter Flughafens, um die „Leere, Tristesse, Langeweile und chronische Paranoia“, die die westliche Welt heimsucht, am eigenen Leib zu erfahren.

Ingvar Ambjørnsen besitzt ein feines Sensorium für diese unterschwellige Gefühlslage, die moderne Menschen in ihrem Elend des Wohlstands und Wohlergehens kränkt. Ähnlich wie in den Elling-Romanen erhält diese abgründige Melancholie auch hier eine höchst komische Note.

Gedde ist eines der Opfer, mit 60 Jahre an der Pforte des Alterns und somit des Todes angelangt. Bevor es aber ganz zuende ist, lässt er sich noch zu neuen Plänen hinreißen. In der Wohnung von Margot Breivik findet nach und nach eine skurrile Schar von Leuten zusammen, die trinken, tratschen und irgendwie alle an einem neuen Kochbuch über die alte preußische Küche beteiligt sein möchten. Es geht lustig zu und her, doch Gedde bleibt misstrauisch, vor allem sich selbst gegenüber. Er spürt unwillkürlich, dass das alles ein Missverständnis sein muss, in dem er festsitzt und sich nur lächerlich macht.

Titelbild

Ingvar Ambjornsen: Eine lange Nacht auf Erden. Roman.
Übersetzt aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs.
Rotbuch Verlag, Berlin 2012.
250 Seiten, 18,99 EUR.
ISBN-13: 9783867891738

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