Precht, die Bildungsdebatte und ein schwaches Buch

„Anna, die Schule und der liebe Gott“ liefert nicht die von Richard David Precht versprochenen Ideen zur Bildungsrevolution

Von Malte Wehr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hochrot und überdimensioniert prangt der Autorenname auf dem Buchdeckel. Nach mehreren absatzstarken Büchern wird Richard David Precht bei Goldmann nun als Marke gehandelt. Das Ergebnis steht allerdings dem Produktversprechen diametral entgegen.

„Ein bisschen intelligenter“ (Precht über das Schreiben eines Sachbuchs in Elke Heidenreichs „lesen!“ im Dezember 2008) hat der Autor nun in seinem Buch „Anna, die Schule und der liebe Gott“ für Schüler, Eltern, Lehrer und Bildungspolitiker, kurzum für die ganze Gesellschaft nachgedacht. Die Kinder – so erfahren wir im Untertitel – seien von einem zum Subjekt mutierten Bildungssystem verraten worden. Das auf der Buchrückseite abgedruckte Credo fordert dann folgerichtig in roten Lettern: „Wir brauchen keine weitere Bildungsreform, wir brauchen eine Bildungsrevolution!“ Schon vor der Lektüre macht das Buch unter der Last seiner überambitionierten Agenda einen fragwürdigen Eindruck.

So übersichtlich sich das Inhaltsverzeichnis dann aus den beiden Teilen „Die Bildungskatastrophe“ und „Die Bildungsrevolution“ präsentiert, so wenig wird dieses Versprechen eingelöst. Die Kapitel bieten inhaltlich nichts Neues: Reformpädagogische Ansätze, PISA- und Föderalismus-Kritik – alles das gibt es schon in Form guter Publikation wie dem unerreichten, bei Reclam in der gelben Reihe erschienenen Büchlein „Bildung: Europas kulturelle Identität“ von Manfred Fuhrmann und Paul Konrad Liessmanns gelungener Polemik „Theorie der Unbildung“.

Anstelle klar formulierter Argumentationen, verirrt man sich schon nach wenigen Seiten in einem Wust von Zitaten. Precht handelt hier gegen sein mehrfach postuliertes Verständnis von Bildung als einem dialektischen Prozess von Wissensverarbeitung und verkürzt es mittels seinem Namedropping zu einer fragwürdigen Wissensaggregation. Wird der Verdienst von Philosophen Liessmann durch einmalige Nennung im Buch lediglich in die Bedeutungsmarginalität verbannt, so ereilt den Didaktiker Wolfgang Klafki ein ganz anderes Schicksal: Er wird von Precht auf die Aussage reduziert, man könne „Schülern nur dann erfolgreich etwas beibringen, wenn das Wissen für sie einen Wert hat“ – das klingt nicht nur nach Unfug, sondern ist derart verkürzt von Klafki mit Sicherheit nie behauptet worden. Nachprüfen lässt sich Prechts Behauptung leider nicht, da es sich um eine jener vielen Stellen im Buch handelt, die nicht mit einem Literaturhinweis versehen wurde.

Wie erwartet finden sich dann im Teil über die Bildungsrevolution keine Lösungsvorschläge. Die von den Bildungsgewerkschaften schon seit Jahren an die Politik herangetragenen Forderungen gegen zu viel Föderalismus und das überholte dreigliederige Schulsystem sind schon längst Klassiker auf der Reformagenda, und bezüglich der Abschaffung von Noten vergisst uns Precht seine Alternative zum Auswahlverfahren des Numerus clausus zu verraten. Innovativ und originell ist sie nicht, die vermeintliche Marke Precht, und ein „Hessischer Landbote” ist sein Buch schon gar nicht.

Auch das Lektorat des Buchs ist ein Armutszeugnis: Inhaltliche Doppelungen po- tenzieren den Mangel an Stringenz im Buch, und mit zu viel Konjunktiven lassen die Goldmänner zu, dass Precht sich selbst die Glaubwürdigkeit eines Baron Münchhausen verschafft. Man sollte sich die knapp 20 EUR sparen und gleich zum ‚Fuhrmann‘ greifen.

Titelbild

Manfred Fuhrmann: Bildung. Europas kulturelle Identität.
Reclam Verlag, Stuttgart 2002.
111 Seiten, 2,60 EUR.
ISBN-10: 3150181828
ISBN-13: 9783150181829

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Konrad Paul Liessmann: Theorie der Unbildung. Die Irrtümer der Wissensgesellschaft.
Piper Verlag, München 2008.
176 Seiten, 8,99 EUR.
ISBN-13: 9783492252201

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Richard David Precht: Anna, die Schule und der liebe Gott. Der Verrat des Bildungssystems an unseren Kindern.
Goldmann Verlag, München 2013.
352 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783442312610

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