Privatdetektiv Pepe Carvalhos dritter Fall

Manuel Vázquez Montalbáns Krimi „Carvalho und der einsame Manager“ handelt vom Spanien der Zeit des demokratischen Übergangs

Von Almut OetjenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Almut Oetjen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwischen 1972 und 2000 schrieb der 1939 in Barcelona geborene Lyriker, Essayist, Kolumnist und Romancier Manuel Vázquez Montalban dreiundzwanzig Romane um seinen katalanischen Privatdetektiv und Amateurkoch Pepe Carvalho. Davon erschien „La muchacha que pudo ser Emmanuelle“ zunächst als Fortsetzungsroman vom 3. bis 30. August 1997 in der Zeitung „El País“ und wurde erst 2011, acht Jahre nach Montalbans Tod, in Buchform veröffentlicht.

Die Handlung von „Carvalho und der einsame Manager“ beginnt in der Franco-Zeit, als Carvalho noch CIA-Agent ist. Auf einem Flug von Las Vegas nach San Francisco lernt er Antonio Jaumá kennen, Topmanager von Petnay, einem der größten multinationalen Konzerne. Beide Männer verstehen sich auf Anhieb wegen ihrer gemeinsamen linken Vergangenheit, ihrer Herkunft aus Barcelona, der Vorliebe für gutes Essen und Frauen. Gemeinsam mit Jaumás befreundetem Kollegen, dem Petnay-Generalinspekteur Dieter Rhomberg, feiern sie und trinken auf den baldigen Sturz Francos.

Jahre später, Franco ist seit zwei Jahren tot und Spanien befindet sich im Übergang von der Diktatur zur Demokratie: Carvalho arbeitet als Privatdetektiv in Barcelona, Jaumá wird erschossen aufgefunden. Die Polizei glaubt an eine Abrechnung im Rotlichtmilieu, denn in seiner Tasche steckt ein Damenschlüpfer, seine Unterhose fehlt und er riecht nach einem Damenhygienewässerchen. Seine Witwe Concha Hijar zweifelt das polizeiliche Ergebnis an und engagiert Carvalho. Die Recherchen im Zuhältermilieu und in der Familie ergeben nichts, doch Indizien führen Carvalho zu Petnay. Carvalho kontaktiert Rhomberg, der auf dem Weg zu ihm spurlos verschwindet.

Carvalho fällt ein Amateurfoto aus dem Jahr 1950 in die Hände. Es zeigt Jaumá mit fünf Freunden, alles Jurastudenten und Angehörige des Widerstands gegen Franco. Auch der Fotograf gehört zu diesen so genannten „Unzertrennlichen“, die sich trotz unterschiedlicher Entwicklung bis heute treffen: ein Staranwalt, ein Spezialist für Arbeitsrecht, ein Philosoph, ein Schriftsteller, ein Regisseur, ein Joghurthersteller – und eben der Manager Jaumá. Einem von ihnen vertraute Jaumá seine Entdeckung an, dafür bezahlte er mit dem Leben.

Je mehr sich Carvalho dem Mörder nähert, desto gefährlicher wird es für ihn. Ein Toter taucht auf, ein Zuhälter legt ein falsches Geständnis ab, die Witwe zieht den Auftrag zurück und ein Buchhalter beklagt den Verlust seiner Unterlagen. „Carvalho und der einsame Manager“ ist der dritte Roman der Carvalho-Reihe. Die spanische Originalausgabe erschien 1977 unter dem Titel „La soledad del manager“, die deutsche Erstausgabe 1993 bei Rowohlt unter dem Titel „Carvalho und der tote Manager“ in der Übersetzung von Bernhard Straub und Günter Albrecht. Die vorliegende Fassung erschien 2013 bei Wagenbach, neu überarbeitet von Bernhard Straub und inklusive eines Glossars.

Pepe Carvalho hat sein Büro an den Ramblas in Barcelona und lebt in einem Haus in Vallvidrera. Er ist ein Einzelgänger, misstrauisch und zynisch, der eine Art Ersatzfamilie um sich herum gebildet hat: die Prostituierte Charo ist seine Geliebte, der Autonarr und Ex-Häftling Biscuter bekocht ihn und hütet sein Büro, der Schuhputzer und Ex-Fremdenlegionär Bromuro versorgt ihn mit Informationen von der Straße und der Nachbar und Verwalter Fuster feiert mit ihm spontane nächtliche Fressorgien. Außer Fuster sind sie alle Menschen mit Vergangenheit, unangepasst und im bourgeoisen Sinne Gescheiterte, die das Gefängnis von innen oder das Leben auf der Straße kennen. Ihnen ist Freiheit und Selbstbestimmung und damit ihre Würde wichtig, einigen auch gutes Essen, guter Sex, guter Wein. Es sind die elementaren, die immer wahren Dinge; der Rest ist große Oper. Wohl auch deshalb wird ein Toilettengang Carvalhos im Detail geschildert. Was als scheinbare Rücksichtslosigkeit des Autors anmutet, ist Ausdruck seiner Rigorosität.

Natürlich hatte auch Carvalho seine „Utopien, aber heute sind nur ein paar Verdauungsorgane übrig, von denen ich sehr guten Gebrauch mache.“ Mit Genuss verbrennt er seinen Lefebvre und Naville, Ostrowskij und Sacristán, damit sie ihren Auftrag erfüllen und „Nahrung für realere Feuer“ werden. Ideologen und Kulturmenschen schildert Montalban mit tiefschwarzem Humor und ätzender Kritik, wie den „Unzertrennlichen“ Núñez, der sich als Märtyrer der Franco-Zeit feiern ließ und in dieser Pose zum Denkmal der Widerstands erstarrt ist. Oder der „Unzertrennliche“ Argmeí, der berühmte Joghurtproduzent, der sich als großen Schriftsteller sieht und seine posthume Laudatio samt eigens verfasster Autorenbiografie für Lexika und Enzyklopädien vorbereitet hat. Montalban entlarvt beide Männer gnadenlos als Zyniker und Karikaturen ihrer selbst.

Absichern kann Carvalho seine Unabhängigkeit nur mit Geld. Also nimmt er fast jeden Auftrag an. Man kann ihn zwar bezahlen, aber man kann ihn nicht kaufen. Als man Carvalho den Fall entziehen will und viel Geld dafür bietet, nimmt er den Scheck und ermittelt trotzdem weiter. Selbst als man Charo und ihm zwei brutale Schläger auf den Hals hetzt, hört er nicht auf. Er will die Wahrheit herausfinden, für sich, die Kinder der Opfer, die sonst mit dem Erbe der gefälschten Geschichte über den Tod des Vaters weiterleben müssten, und für den Leser. Er findet den Mörder, die Verhaftung und Bestrafung liegt jenseits seiner Möglichkeiten. Denn schlimmer als die früheren Linken, die zu lächerlichen Philosophen oder gescheiterten Menschen ohne Einfluss geworden sind, sind die Faschisten, die sich nach der Wende eingerichtet haben, oder die Karrieristen, die zur Erreichung ihrer Ziele über Leichen gehen und ein engmaschiges Netz zwischen Wirtschaft und Politik geflochten haben. Die Verhältnisse ändern kann weder ein Privatdetektiv noch ein Schriftsteller, aber er kann dem Mörder die Maske des rechtschaffenen Bürgers vom Gesicht reißen und die hässliche Wahrheit dahinter sichtbar machen.

Montalban vergleicht die Situation Spaniens in der Zeit unmittelbar nach Francos Tod mit einem Dampfdrucktopf. In der Geschäftswelt wimmelt es von Glückrittern, Gangstern und Emporkömmlingen, Industrie- und Finanzwelt drängen an die Schalthebel der politischen Macht, um ihre bislang vom Diktator gesicherten Interessen auch in der neuen Demokratie sicherzustellen.

In seinem vielschichtigen und anspielungsreichen, literarisch anspruchsvollen Kriminalroman schildert Montalbán kritisch und unerbittlich die sozialen, politischen und ökonomischen Entwicklungen des demokratischen Übergangs und ist dabei erfrischend aktuell: er trifft das heutige globale Zeitalter ins Herz.

Titelbild

Manuel Vázquez Montalbán: Carvalho und der einsame Manager. Ein Kriminalroman aus Barcelona.
Neu überarbeitet von Bernhard Straub.
Übersetzt aus dem Spanischen von Bernhard Straub und Günter Albrecht.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2013.
264 Seiten, 10,90 EUR.
ISBN-13: 9783803127013

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