Todesvögel oder verspielte Tiere?

Cord Riechelmann gibt in einem schönen, kleinen Buch Auskunft über die Krähen

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Krähen sind verspielte Biester. Im Winter kann man sogar beobachten, dass sie sich auf Autodächer setzen, die verschneite Windschutzscheibe runterrutschen, fröhlich keckern und mit den Flügeln schlagen und dann wieder hochfliegen. Und dann noch einmal rutschen und noch einmal.

Rabenvögel, zu denen die Krähen gehören, sind äußerst intelligent, sie spielen gerne miteinander, und sie sind wohl die besten Flieger der Welt: Kolkraben können sogar auf dem Rücken fliegen. Gemeinsam jagen sie auch gerne Raubvögel, auch größere, die sich dem frechen Gehacke und Generve manchmal nur noch durch Flucht entziehen können. Krähen sind in der Lage zu lernen und können ihre Aktionen im Voraus planen. In vielen Versuchen wurde immer wieder festgestellt, dass sie, vor die Aufgabe gestellt, Futter aus einem engen Gefäß zu holen, kurz überlegen und sich dann einen Draht so zurechtbiegen, dass sie das Futter herausfischen können. Und das, ohne es vorher zu probieren – allein durch Beobachten und Nachdenken. Sie können sich übrigens auch im Spiegel erkennen, was sonst nur für Menschen ab einem bestimmten Alter, Elefanten, Schimpansen und Delfinen nachgewiesen war.

Der Biologe und Philosoph Cord Riechelmann, Lehrbeauftragter für das Sozialverhalten von Primaten und für die „Geschichte biologischer Forschung“, Stadtnaturreporter für die FAZ, hat eine kleine Natur- und Kulturgeschichte dieser klugen Vögel verfasst, ein dunkelgrau eingebundenes, schönes kleines Buch mit rabenschwarzem Einband und einer Rabenprägung vorne drauf – ein handwerkliches Meisterstück.

Ein wenig unsystematisch, aber sehr anregend und kenntnisreich erzählt er von diesen interessanten und unterschätzten Vögeln, von der Biologie, dem Verhalten, aber auch von den zahlreichen Mythen, die die schwarzen Vögel seit Jahrtausenden begleiten: „Jeder kennt sie, kaum einer mag sie“, schreibt er ganz am Anfang. Todesvögel seien sie, selbst in der Literatur, in Edgar Poes „The Raven“ ist das Titeltier fast mehr als unheilschwanger. Als Begleiter Odins (Beiname Hrafnáss – Rabengott) flüstern die Raben Hugin und Munin ihm alles ins Ohr, was sie tagsüber gesehen haben, und Hugin trinkt als Rabe des Schlachtfelds Sigurds Blut. Nicht umsonst hat Hitchcock sich für seine „Vögel“ Krähen ausgesucht, die die Kinder attackieren, und in vielen Filmen ist der unheimliche Nebel untrennbar mit Rabengekrächze verbunden.

Ursprünglich stammen sie aus Neuguinea, wie der Paradiesvogel und der Laubenvogel, die jetzt beide vom Aussterben bedroht sind. Nicht die Krähen, die sind anpassungsfähig und haben sich über die ganze Welt verbreitet, selbst in den Städten wohnen sie und bauen inzwischen aus Drähten und Kleiderbügeln ihre Nester, weil sie nicht genug Äste und Zweige finden. Außerdem sind sie auch auf anderem Gebiet fortschrittlich: Da die Männchen die Weibchen nicht durch Schönheit oder besonderen Gesang beeindrucken können, haben sie sich von Machos zu gleichberechtigten Partnern entwickelt, helfen beim Nestbau, verteidigen es, ernähren die brütenden Weibchen und ziehen gemeinsam die Kleinen groß. Da waren sie uns voraus. Und in München sind sie es noch auf einem weiteren Gebiet: Da lebt inzwischen jedes zweite Weibchen mit zwei Männchen zusammen.

Krähen sind sonst normalerweise monogam und bleiben auch lebenslang in einem Paar zusammen, sie bilden aber auch Trupps und spielen gemeinsam, helfen und lernen voneinander. So haben die Krähen in Tokyo damit angefangen, Nüsse auf die Straßen zu werfen, wenn die Ampeln rot sind, bis zur nächsten Rotphase zu warten und dann die von den Autos „geöffneten“ Nüsse aufzusammeln. Außerdem sagen sie es anderen Krähen, wenn sie Nahrung gefunden haben, und sie merken sich penibelst genau tausende Verstecke von Samen und graben sie stets dann aus, bevor die Samen zu keimen beginnen.

So hat wohl jeder auch viele Geschichten zu erzählen über den Spieltrieb und die soziale Kompetenz der schwarzen Vögel und ihre Intelligenz, die denen von Primaten (zu denen auch wir Menschen gehören) in nichts nachsteht. Das macht auch Riechelmann, der sein schönes, kleines Buch bescheiden „Ein Portrait“ nennt. Denn wir alle kennen Krähen. „Wo immer du gehst, zeigen sich früher oder später Krähen, und von allen Krähen mag ich den Kolkraben am liebsten“, schrieb der US-Biologe George Schaller: „Du bist in Alaska, am Ende der Welt, nirgendwo ein Zeichen von Leben – und auf einmal ist da der Rabe.“ Selbst im Himalaya, auf 7.000 Meter Höhe, fliegt plötzlich ein Rabenpaar mit den Bergsteigern mit. (Achja, der Name: Mal heißen sie Raben, mal Krähen, es ist sehr verwirrend, und laut dem „Handbook of the Birds of the World“ gibt es 123 Arten und 24 Gattungen, die zur Familie der Corvidae zählen – es gibt keine letztliche Klarheit darüber, selbst Riechelmann gibt keine.)

Dass immer wieder Vorurteile über sie im Schwange sind, liegt wahrscheinlich an ihrer schwarzen Farbe, dem unheimlichen (wenn auch, wenn man genau hinhört, sehr differenzierten) Gekrächze und ihrer Allgegenwart. Dass es Singvögel sind, mag man kaum glauben, und dass sie 1979 vom Europäischen Parlament unter Schutz gestellt wurden, hat viele Jäger und Bauern entsetzt, die ihre Felder und Wälder am liebsten rabenfrei haben wollen.

Titelbild

Cord Riechelmann: Krähen. Ein Portrait.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2013.
128 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783882210484

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