Keine neuen Ideen über den Körper

Michela Marzano schreibt über die Philosophiegeschichte des Leibs

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

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Neue Brüste, neue Nase, neuer Hintern: An Menschen wird herumgeschnippelt, rausgeschnitten, angeklebt – eine wohlfunktionierende Modellierindustrie hat sich längst etabliert. Aber neben den Chirurgen basteln auch wir selbst an uns herum: Die Männer müssen groß und gestählt aussehen, dicke Muskeln und mindestens einen Sixpack haben, die Frauen möglichst dünn sein und sportlich. Ob das gesund ist, danach fragt niemand, die ständigen Muskelspannungen, die verkrampften Bäuche, das Hohlkreuz. Dieses einseitige, nur auf den Körper reduzierte Männer- und Frauenbild ist durch die Werbung allgegenwärtig, und in den Frauenzeitschriften wird immer wieder über Magersucht geklagt und aufgeklärt, und auf der nächsten Seite kommen die nächsten Diätvorschläge. „Heute scheint der Körper nur dann akzeptabel, wenn er vollkommen beherrscht wird. […] Einen vollkommen beherrschten Körper zur Schau zu stellen, wird zum Ausweis der Fähigkeit eines Individuums, Kontrolle über sein Leben auszuüben“, schreibt die italienische Philosophin Michela Marzano.

Das haben wir nun von der Aufklärung: Bei Descartes (übrigens auch schon bei Platon) haben Körper und Seele nichts miteinander zu tun, ja, sie behindern sich sogar gegenseitig: „Cogito ergo sum“ – vom Körper war da nicht die Rede. Eine Maschine soll er sein, der Körper, der funktioniert wie eine Uhr. In Homers Epen dagegen gab es nicht einmal ein Wort, das den Körper getrennt von der Seele beschreibt.

In einer kurzen, sehr fasslichen Abhandlung erzählt Marzano von der Philosophiegeschichte des Körpers. Wie haben Philosophen ihn wahrgenommen, was bedeutete er für sie (und sie meint, wie fast alle Autoren, die westliche Philosophie, andere Systeme werden bei uns wohl immer noch nicht wahrgenommen)? In einem flotten Streifzug geht ihr Buch von Platon und Spinoza über Nietzsche und die Phänomenologie bis in die Gegenwart.

Und es scheint an der Zeit zu sein, dass auch der Westen sich diesem Problem wieder neu widmet. Ein Ankerpunkt in der Philosophiegeschichte ist dabei Friedrich Nietzsches Satz „Der Glaube an den Leib ist fundamentaler als der Glaube an die Seele“, der einen neuen Ansatz für die Beschäftigung mit dem Körper bot: „Denn hinter jedem Gedanken steht für ihn ein Affekt. Daher muss jede Erkenntnis von den Sinnen ausgehen.“ Auch Husserl hat von einer „Philosophie des Fleisches“ gesprochen, und Merleau-Ponty kennt gar keine Grenzen mehr zwischen Körper und Welt. Sie geht allerdings auch auf die, oft brutalen, Irrwege ein, Entmenschlichungen von Opfern bei de Sade oder in Konzentrationslagern, in denen es nicht mehr um Menschen ging – schon lange hatte man zuvor Juden zu Nicht-Menschen erklärt, zu Ungeziefer.

Leider bleibt Marzano bei der Geschichte stehen. Sie hat keine neue Idee, wie dem Körper gedanklich beizukommen wäre, ihre Argumente werden da sehr schwach. Dabei hat sie schöne Geschichten zu erzählen und beobachtet die Gegenwart sehr aufmerksam, bis hin zu Körper-Künstlern und (Sex-)Dating-Plattformen im Internet, einer Welt ohne Körper (allerdings mit sehr hohen, sehr präzisen Anforderungen an den Kontakt – gerade die Frauen wünschen sich oft ganz bestimmte Körper).

Titelbild

Michela Marzano: Philosophie des Körpers.
Übersetzt aus dem Französischen von Elsiabeth Liebl.
Diederichs Verlag, München 2013.
144 Seiten, 14,99 EUR.
ISBN-13: 9783424350807

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