Engagierte Wortkünstlerin
Katharina Kilzers Anthologie „In einer spanischen Herberge“ versammelt Essays der rumänischen Schriftstellerin Ana Blandiana
Von Anke Pfeifer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEinem Sprichwort zufolge verzehrt in einer spanischen Herberge jeder seinen eigenen Proviant. Die Rumänin Ana Blandiana zieht daraus Schlussfolgerungen hinsichtlich der komplexen Wirklichkeit, die von Menschen sehr unterschiedlich erlebt werden kann – das heißt, jeder „projiziert […] seinen eigenen Seelenschimmer auf seine Umgebung“.
Auf der Grundlage ihrer Erfahrungen und Erlebnisse hat sie dies in ihrem Leben umfassend und öffentlich getan, durch literarische Texte sowie durch Worte und Taten. Einem hohen moralischen Anspruch sich selbst und anderen gegenüber verpflichtet, mischte sie sich damit häufig direkt in politische Belange ein. Ana Blandiana, geboren 1942, gilt in Rumänien als eine der bekanntesten und beliebtesten Wortkünstlerinnen, die als Tochter eines orthodoxen Priesters schon in der Kindheit Ausgrenzung und Bestrafung Andersdenkender am eigenen Leibe erfuhr, die später wiederholt Publikationsverbot erhielt, aber dennoch bis 1990 eine Vielzahl von Veröffentlichungen vorweisen kann, denen bis heute fast jährlich weitere Bände, vor allem mit Gedichten und Essays, folgten. In den letzten zwei Jahrzehnten setzte sie sich darüber hinaus für die Einrichtung der Gedenkstätte Memorial Sighet im Norden Rumäniens ein.
Anlässlich des 70. Geburtstages der Dichterin, Essayistin und Streiterin für eine rumänische Zivilgesellschaft hat Katharina Kilzer diesen Band herausgegeben und möchte damit „die Vielseitigkeit der Schriftstellerin dokumentieren“. Von den 18 aufgenommenen Texten, übersetzt aus dem Rumänischen von Katharina Kilzer, Maria Herlo und Veronika Riedel sowie aus dem Französischen von Doris Tempfer-Naar, erschienen sieben bereits zwischen 1993 und 2010 in deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften und thematisieren Kategorien wie Freiheit – „die sich gleichermaßen als kreativ oder zerstörend“ erweisen kann –, Erinnerung – ist sie erlernbar? –, Menschenrechte, Gerechtigkeit. Ein weiterer Beitrag ist der Text eines an der Universität Cluj / Klausenburg im Jahre 2011 gehaltenen Vortrags über die Zensur im rumänischen literarischen Leben und Blandianas persönliche Erfahrung damit.
Für die Mehrzahl der Texte – möglicherweise ihren Essaybänden entnommen – hätte man sich schließlich ebenso genauere Quellenangaben gewünscht, nicht zuletzt, um sie zeitlich einordnen zu können. Tatsächlich liegt der Schwerpunkt der Texte also auf der Auseinandersetzung mit der jüngsten rumänischen Vergangenheit und Gegenwart, die dabei stets autobiografische Bezugspunkte aufweisen. Ihre Argumentation nimmt auch die in Rumänien umstrittene These vom Widerstand durch Kultur in der Ceauşescu-Ära auf, für die sie lebhaft und überzeugend plädiert. Für sie selbst war das Schreiben Durchhalten und Lebensbewältigung in schwierigen Zeiten, und die Reaktionen ihrer Leser, die Abschriften ihrer verbotenen Gedichte bei sich trugen, bewiesen ihr die Sinnhaftigkeit ihres Schreibens. Ana Blandiana schreibt: „…so war das Gedicht Ersatz für Religion, Geschichte, Philosophie (weil dem Gedicht Metaphern zur Verfügung stehen, Vergleiche, in denen ein Vergleichsteil fehlt, der vom Leser ausgefüllt, erfunden, erdacht, erahnt wurde und auf diese Weise die Zensur austrickste).“
Teilweise haben die Essays auch einen unmittelbaren zeitgenössischen politischen Anlass, wie Blandianas Erörterung der Lage in der Republik Moldau im März 2002. Andere Beiträge stellen das Projekt der Gedenkstätte für die Opfer des Kommunismus in Sighetu Marmaţiei vor, den Anspruch und die Ziele dieser Einrichtung, die Erfolge bei der Umsetzung des Projektes als Museum, Bildungs- und Forschungseinrichtung. Somit ist der Band tatsächlich eine Ergänzung zu ihren bereits in deutscher Übertragung vorliegenden Prosabänden „Kopie eines Alptraums“ und „Die Applausmaschine“ sowie den vier Gedichtbänden „EngelErnte“, „Sternenherbst“, „Die Versteigerung der Iden“ und „Uhren auf Schienen“.
Wunderbar anregend sind vor allem ihre zeitlos-philosophischen Erörterungen über das Dasein, wie „Ein spitzer Winkel“, und über das Lesen und Schreiben, wie „Eis-Architektur“. Das sind – für Ana Blandiana typisch – kleine Sprachkunstwerke, in denen sie ihren Gedanken freien Lauf lässt und die den Leser in ihren Bann ziehen, zum Innehalten verleiten. Von Texten dieser Art hätte man sich noch weitere in dem Band gewünscht.
Der zweite Teil der Anthologie gibt zunächst aus einem Gespräch zwischen Ana Blandiana und Joachim Gauck aus dem Jahre 1999 zwei Auszüge wieder, die ziemlich unvermittelt nebeneinander stehen; geht es doch in Gaucks Passage um die Vergangenheitsaufarbeitung, in Blandianas Passage darum, dass sie das Dichterdasein einer Politikerlaufbahn vorgezogen hat.
In den folgenden drei Beiträge legen Kilzer, Herlo und Müller-Enbergs, die alle drei auch aus ihrer persönlichen Bekanntschaft mit Ana Blandiana schöpfen, ihre Impressionen und Würdigungen in Bezug auf die Autorin und deren Werk dar. Zuzustimmen ist Maria Herlo, die in Ana Blandiana vor allem die Dichterin sieht, deren Gedichte begleiten, überraschen, begeistern, Zauber ausstrahlen, Halt geben im Zweifel, sich wissend „dem Nichtsagbaren“ nähern, in denen man sich selbst erkennt. Katharina Kilzer spürt im Heimatdorf der Großeltern von Ana Blandiana stimmungsvoll den Ursprüngen nach und integriert, wie schon Herlo, einige Gedichtzeilen der Lyrikerin. Nachzufragen bei Helmut Müller-Enbergs bliebe, warum der Band „Kopie eines Alptraums“ 1988 in der DDR „zur Unzeit“ erschien? Der angemerkte tiefschwarze Umschlag kündete mitnichten plakativ vom Schrecken der Diktatur, wie hier vielleicht suggeriert werden soll, sondern war markantes Kennzeichen der Spektrum-Reihe des Verlages Volk und Welt, die die Grenzen des Machbaren in Bezug auf Veröffentlichungen auszuschöpfen bestrebt und insofern sehr nachgefragt war. Und so zeugt die Publikation dieser wunderbar subversiven Texte engagierter literarischer Auseinandersetzung mit rumänischen Katastrophen gerade in jenem Jahr, als Ana Blandiana in Rumänien mit erneutem Publikationsverbot belegt und ihre Werke aus den rumänischen Bibliotheken und Buchläden entfernt wurden, von wachen und ebenso engagierten Fachleuten, die solche Veröffentlichungen für eine gewisse Zahl ebenso wacher und sensibler Leser in der DDR durchzusetzen vermochten. Übrigens erschienen bereits Mitte der 1970er-Jahre etliche ihrer Gedichte in einer Anthologie rumänischer Gegenwartslyrik im selben Verlag. Gewiss ist ein guter Schriftsteller, eine gute Schriftstellerin mehr als nur „Zeuge der Welt“, jemand, der diese lediglich betrachtet. Ana Blandiana und ihr bisheriges Lebenswerk beweisen es.
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