Ein schwarzer Tintenfleck an der Wand

„Was am Ende bleibt“ – Paula Fox’ großartiger Roman von 1970 in Neuauflage

Von Liliane StuderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Liliane Studer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

2013 wurde Paula Fox neunzig Jahre alt. Diesen runden Geburtstag nahm ihr deutscher Verlag C. H. Beck in München zum Anlass, ihren wohl besten Roman „Was am Ende bleibt“, erstmals auf Deutsch im Jahr 2000 erschienen, neu aufzulegen und mit dem bekannten Essay von Jonathan Franzen „Anleitung zum Alleinsein“ zu ergänzen. Der amerikanische Autor spielte bei der Wiederentdeckung der literarischen Werke von Paula Fox eine wichtige Rolle – das war 1996 –, und dieser Essay trug wesentlich dazu bei, auch wenn er sich nur am Rande mit dem gelobten Roman beschäftigt.

Im Mittelpunkt von „Was am Ende bleibt“ steht das Ehepaar Sophie und Otto Bentwood, beide Anfang vierzig, kinderlos, er arbeitet als selbständiger Anwalt, sie ist Übersetzerin. Sie haben sich in den späten 1960er-Jahren ein Haus in Brooklyn gekauft und nach ihren Vorstellungen eingerichtet, doch nach vorne und nach hinten öffnet sich der Blick auf Gehsteige, wo die Randständigen leben. Zwischen den Bentwoods und diesen Leuten sind Welten. Dies erlebt Sophie in aller Deutlichkeit, als die Katze, die sie versucht hat, freundlich zu begrüßen und ihr mit Milch ihre Zuneigung zu zeigen, sie in die Hand beißt. Sophie hält den Schrei zurück, denn sie will nicht, dass Otto, der die Katze als „grässliches Mistvieh“ bezeichnet hat, etwas von dem Überfall mitbekommt.

Es ist zwar nur ein Katzenbiss, doch bringt er den Ehealltag der Bentwoods tüchtig durcheinander. Es bricht die ganze Fassade auseinander, die mit aller Mühe und Gewalt aufrechterhalten wird. Wie Paula Fox dieses Paar beschreibt, die Ehe, die Langeweile des Alltags und das Nichtverständnis füreinander, liest sich auch mehr als vierzig Jahre, nachdem sie den Roman geschrieben hat, aktuell und von heute. Und dies, obwohl die späten Sechziger des letzten Jahrhunderts sehr deutlich als Kulisse erkennbar sind. Es ist die Verzweiflung (im Original heißt der Roman auch „Desperate Characters“) der Ehefrau zu spüren, die eigentlich alles hat, materiell, in deren Leben jedoch das Entscheidende fehlt, nämlich Gefühle, Wärme, Liebe, Zuwendung, Anerkennung. Otto, dem Anwalt, geht es auch nicht besser, am selben Tag, wie die Katze Sophie beißt, hat er seinen langjährigen Compagnon Charlie zum Teufel gejagt, so richtig erleichtert fühlt er sich trotzdem nicht.

Dieser Biss einer herumstreunenden Katze führt nicht nur bei Sophie zu Existenzängsten, denen sich zu stellen sie zu sehr bedroht. Als die Wunde sich entzündet und die Hand immer mehr anschwillt, weiß auch Sophie, dass sie zum Arzt gehen sollte, zumindest eine Tollwutimpfung wäre dringend erforderlich, doch sie lässt es bleiben, schiebt es hinaus, will nichts wissen von Katzenkrankheiten, die sich auf den Menschen übertragen könnten. Vielmehr verleiht ihr dieser Biss neue nicht gekannte Energien, und sie macht sich auf, nachts, um zu erkunden, was sie bis dahin nie näher anzuschauen getraut hätte.

Es ist wenig, was am Ende bleibt: die (fehlende) Gewissheit, dass die Katze nicht tollwütig war, Otto, der ganz gegen seine Gewohnheit mitten am Vormittag nach Hause kommt, weil er sich (echte) Sorgen um Sophie macht, Sophie, der erst jetzt eingefallen ist, „dass ich meiner Mutter schreiben sollte. Ich habe mir überlegt, was ich ihr erzählen könnte.“ Und Charlie, der anruft und seine Verzweiflung in den Telefonhörer schreit. Dieses Kreischen ist unerträglich. „Sein (Ottos) verwirrter Blick fiel plötzlich auf das Tintenfass auf Sophies Schreibtisch. Blitzartig packte er es und warf es mit voller Wucht gegen die Wand. Sophie ließ das Telefon auf den Boden fallen und lief zu ihm. Sie schlang ihre Arme so fest um ihn, dass er sich einen Moment lang nicht mehr rühren konnte.“ Nach einer Weile des Verharrens lösen sich ihre Arme „von seinen Schultern, und beide drehten sich langsam zur Wand, drehten sich, bis sie beide sehen konnten, wie die Tinte in schwarzen Linien zum Boden hinunterrann“. So endet der Roman – und es bleiben ,desperate characters‘.

Titelbild

Paula Fox: Was am Ende bleibt. Roman.
Mit einem Essay von Jonathan Franzen; Übersetzt aus dem Amerikanischen von Eike Schönfeld.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Sylvia Höfer.
Verlag C.H.Beck, München 2013.
256 Seiten, 18,95 EUR.
ISBN-13: 9783406647116

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