Herrschaft und Vernunft

Peter Hacks bearbeitet Shakespeares „Heinrich IV.“

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jedes Theater erstellt heutzutage vor jeder Shakespeare-Inszenierung eine Strichfassung. Das Publikum ist zu ungeduldig und viel zu müde für Aufführungen, die fünf oder sechs Stunden dauern; vor allem braucht man die Zeit für diese vielen lustigen Regieeinfälle.

Es muss also gute Gründe geben, die Fassung, die Peter Hacks von „Heinrich IV.“ 1964 für Wolfgang Langhoff und das Ostberliner Deutsche Theater erarbeitet hat, eigens zu drucken – zumal es an Versuchen, die zwei Teile für einen Abend zusammenzufassen, nicht fehlt. Bereits die deutsche Erstaufführung von Shakespeares Werk 1778 war eine solche verkürzte Version. Die Gründe finden sich leicht, es sind die folgenden.

Zum einen besitzt Hacks’ Text eine beachtliche dramaturgische Qualität. Die beiden Shakespeare-Dramen haben zwei hauptsächliche Handlungen: Der König Heinrich IV. wehrt sich erfolgreich gegen feudale Konkurrenten; sein Sohn, der spätere Heinrich V., treibt sich mit dem großsprecherisch-betrügerischen Suffkopp Falstaff und dessen Kumpanen herum und entwickelt sich dennoch zum brauchbaren Thronfolger. Herausforderung nun war, diese beiden Linien auch mit sehr viel weniger Text nachvollziehbar und in ihrem Zusammenhang zu gestalten.

Hacks löst das Problem, indem er nicht allein kürzt, sondern auch vielfach Szenen oder Szenenteile umstellt. So vermeidet er es, von allem nur ein bisschen weniger zu geben und kurzatmig zu wirken. Vielmehr gewinnen die so gebauten Szenen den nötigen Umfang, um Entwicklungen herauszuarbeiten. Was in der Falstaff-Handlung an lustigen Wortwechseln und -verdrehungen vorkam, fällt diesem Verfahren teils zum Opfer; doch ist sogar davon genug erhalten, um einen Eindruck auch von dieser Ebene der Dramen zu vermitteln.

Auf der anderen Seite ist der sprachliche Zugewinn außerordentlich. Hacks hat auf der Grundlage der Übersetzung August Wilhelm Schlegels gearbeitet. Doch ließ er es nicht dabei bewenden, die Verse neu zusammenzukleben. Er sah auch die Übersetzung durch, brachte einige Korrekturen an, die den Sinngehalt verändern, und nahm einige behutsame Modernisierungen vor. Modernisierung heißt hier nicht Aktualisierung; zumeist sind Wendungen aus dem 19. Jahrhundert, die schon vor fünfzig Jahren allzu betulich klangen, durch frischere ersetzt. Viele kleinere Veränderungen betreffen den Versbau: In etlichen Fällen führen schon leichte Akzentverschiebungen dazu, dass Hacks weitaus sprechbarere Varianten findet.

An einigen Stellen aber hielt er es für nötig, die Dinge zu klären. So unterrichtet Heinrich IV. bei Schlegel über seine Verbündeten auf dem Weg zum Königsamt, die „durch gewaltsam Tun mich erst befördert“. Gerade darum hätten sie für ihn stets das Risiko dargestellt, auch ihn abzusetzen, „was zu vermeiden / Ich sie verdarb und nun des Sinnes war / Zum Heil’gen Lande viele fortzuführen“. Bei Hacks ist in dieser Passage von Freunden, „durch deren metzgermäßiges Werk“ Heinrich hochgekommen sei; das grobe Wort, das jedes Versmaß sprengt, verweist eben dadurch auf die grobe Sache. Weiter: „Und deren Macht mich wohl Furcht spüren läßt, / Gestürzt zu werden – zur Vermeidung wessen ich / Ich ein paar umbrachte und nun den Rest / Zum heiligen Land zu führn im Sinne hatt“.

Ein frommer Kreuzzug als Methode, potentielle Konkurrenten von den Heiden abstechen zu lassen: das berührt die Frage nach der Interpretation. Hacks’ Fassung ist nur viermal inszeniert worden: Nachdem Langhoff krankheitshalber seine Pläne nicht mehr verwirklichen konnte, fand 1970 eine Aufführung am Westberliner Schiller Theater statt, der 1978 Inszenierungen in Wien, 1986 in Rostock und 1989 in Leipzig folgten. Zumindest die beiden DDR-Versionen betrieben Machtkritik und scheiterten – soweit sich das an den Presseberichten ablesen lässt – ästhetisch auf ganzer Linie. In Leipzig rückte sogar Falstaff zum Sympathieträger auf.

Nur ist der bei Shakespeare und bei Hacks keine positive Gestalt und nicht geeignet, auf Brecht’sche Weise als Verkörperung plebejischer Lebenslust zu triumphieren. Er repräsentiert den heruntergekommenen Kleinadel, der seine gesellschaftliche Funktion verloren hat und nun seine Umgebung tyrannisiert. Es stimmt, Falstaff macht sich über kriegerische Ehre lustig. Nur tut er dies nicht als Pazifist, sondern als Kriegsgewinnler. Seinen Auftrag, Landsknechte zu mobilisieren, hat er so erfüllt, dass, wer immer Kraft und Geld hatte, sich bei ihm loskaufen konnte. Übrig bleibt ein elender Haufen der Ärmsten, die nicht ausgerüstet und nicht ausgebildet denn auch in der Schlacht zusammengehauen werden. 150 Mann hat Falstaff zum Kriegsdienst gepresst; von denen – konstatiert er ungerührt – leben noch ganze drei, und die müssen fortan als Invaliden am Stadttor um ihr Essen betteln.

Shakespeares Sympathien liegen nicht bei solchen Machenschaften, sondern beim Absolutismus. Sein Heinrich IV. zerschlägt die Rebellion der Adligen, die keine Zentralmacht wollen; der Sohn Heinrich V. erforscht in seiner Prinzenzeit das Volk, um es besser regieren zu können. Mit beidem lobt Shakespeare der Tudor-Absolutismus seiner Zeit, insbesondere die Herrschaft von Elisabeth I. Hacks hat in Diskussionen mit dem Shakespeare-Spezialisten André Müller die Grundlagen dieser Absolutismus-Konzeption erarbeitet und, in eigenen Dramen wie „Prexaspes“ oder „Numa“, fürs Verständnis auch von Verhältnissen im DDR-Sozialismus fruchtbar gemacht. Darum ist Shakespeare für ihn ein Zeitgenosse und kommt seine Bearbeitung von „Heinrich IV.“ ganz ohne billige Aktualisierungen aus. Abgesehen von einem Prolog ist jedes Wort von Shakespeare.

Am Ende des Bandes finden sich die Notizen, mit denen sich Hacks die Fabel klarmachte. Der Herausgeber Gunther Nickel hat zudem im Anhang die Entstehungs- und Inszenierungsgeschichte aufgearbeitet. Ebenfalls wird nachvollziehbar, wie Hacks die Anordnung der Szenen verschoben hat. Ein Verzeichnis von Umformulierungen wäre zu umfangreich geworden und hätte die Konzeption des Büchleins als Leseausgabe gesprengt.

Damit liegen vor: erstens eine Einführung in Hacks’ Arbeit an Shakespeare-Dramen und damit in seine Auseinandersetzung mit dem Absolutismus; zweitens wertvolle theatergeschichtliche Dokumentation; und drittes eine brauchbare Spielfassung, auf die hoffentlich die Bühnen, wenn sie in ferner Zukunft mal alle Romane der Weltliteratur aufgeführt haben, zurückgreifen werden.

Titelbild

Peter Hacks: Shakeseares König Heinrich IV. Für einen Abend bearbeitet und teilweise neu übersetzt.
Herausgegeben von Gunther Nickel.
Eulenspiegel Verlag, berlin 2012.
160 Seiten, 9,95 EUR.
ISBN-13: 9783359025252

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch