Weder „dark continent“, noch „Garten Eden“
Dirk Göttsche beleuchtet in seiner jüngsten Monografie die Wiederentdeckung Afrikas in der deutschen Gegenwartsliteratur
Von Rolf Löchel
Bei deutschen LiteratInnen, so Dirk Göttsche, lasse sich eine erneute Faszination für Afrika ausmachen, eine produktive Interaktion mit der Wiederentdeckung des Kolonialismus als integriertem Bestandteil der deutschen Geschichte. Ihr geht er in seiner soeben in englischer Sprache erschienenen Monografie zur Wiederentdeckung des Kolonialismus in der deutschen Gegenwartsliteratur nach. Doch sind nicht alle ehemaligen Kolonialgebiete des Deutschen Reiches gleichermaßen in der Literatur vertreten. Die Werke der letzten ein, zwei Jahrzehnte konzentrieren sich vor allem auf Süd-West-Afrika, während weit weniger Publikationen zu den ostafrikanischen Kolonien vorliegen und Kamerun oder Togo sogar ganz vernachlässigt werden.
Göttsche bietet eingangs seiner Untersuchung einen Überblick über die Kontinuitäten und Veränderungen im deutschsprachigen literarischen Diskurs seit der Aufklärung. Anhand eines alles andere als homogenen Untersuchungskorpus von rund 50 historischen Romanen verortet und untersucht er die Entwicklung literarischer Erinnerungen an die Kolonialgeschichte von der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart, spürt dem Auftauchen wiederkehrender Themen nach, unterstreicht Kontinuitäten und Veränderungen in der Erinnerungspolitik.
Um umfassend darlegen zu können, wie heutige deutsche LiteratInnen die Beziehung zwischen der kolonialen Vergangenheit und der postkolonialen Gegenwart darstellen, reflektieren und redefinieren, stellt er historische Romane ins Zentrum seiner Untersuchung, in der er die ganze Bandbreite des Erbes an kolonialem Gedankengut sowie offensichtlichen und verborgenen Beispielen der Kontinuität zwischen dem kolonialen Diskurs über Afrika und AfrikanerInnen und deren postkolonialen VertreterInnen ausmisst. Allerdings oszillieren zahlreiche der untersuchten Romane zwischen dem Klischee des „dark continent“ und dem des afrikanischen „Garten Eden“.
Ins Auge sticht zudem, dass die von den AutorInnen auf eine Reise in die ‚exotischen Welten Afrikas‘ geschickten ProtagonistInnen insbesondere in den Jahren um den Jahrtausendwechsel zumeist weiblichen Geschlechts sind. Etliche Romane verquicken die Emanzipation der Frau mit der Figur einer weißen Protagonistin als Mentorin der afrikanischen Entwicklung. Während sie Rassismus kritisieren, stärken sie zugleich den Diskurs über vermeintliche afrikanische Unter- und europäische Überlegenheit, wobei der Paternalismus der weißen ProtagonistInnen durch die Loyalität und Freundschaft der AfrikanerInnen belohnt wird.
Die Kritik am deutschen Imperialismus ist um das Jahr 2000 zwar schon seit geraumer Zeit zur Norm erhoben, doch bewegen sich die AutorInnen dieser Zeit nicht selten auf einem schmalen Grad zwischen wohlmeinender Neugierde und Paternalismus, zwischen Empathie und „victimzation“. Auch schützt eine solche postkoloniale Kritik nicht davor, selbst der erneuten Faszination von kolonialen Tropen und Mythen zu erliegen. Hier sei nur ein Beispiel aus Göttsches umfangreichem Fundus genannt: Monika Czernins unter dem Titel „Jenes herrliche Gefühl der Freiheit“ erschienener historischer Roman über „Frieda von Bühlows Sehnsucht nach Afrika“. Bei der Protagonistin handelt es sich keineswegs um eine (rein) fiktive Figur. Vielmehr war sie eine zu ihrer Zeit durchaus bekannte Autorin und Feministin. Letzteres hinderte sie nicht daran, mit der Schriftstellerin Lou Andreas-Salomé befreundet gewesen zu sein, die zumindest von Hedwig Dohm den Antifeministinnnen zugerechnet wurde. Und es hinderte sie auch nicht daran, einige Jahre mit dem Schopenhauerianer Carl Peters liiert zu sein, der sich allerdings keineswegs an der Mitleidsethik seines philosophischen Lehrers orientierte, sondern ganz im Gegenteil einige – allerdings unglückliche – Berühmtheit als besonders brutaler, ja mörderischer Kolonialherr erlangte, während seine Arbeit zu Schopenhauer aus guten Gründen längst vergessen ist.
Wie Göttsche zeigt, porträtiert Czernin Bühlow nicht so sehr als Autorin, sondern als eine jener starken modernen Frauen, die in Afrika auf Abenteuersuche gehen, und greift so ein Standardthema zeitgenössischer Populär-Literatur über Afrika auf. Ihr Roman nimmt Göttsche zufolge nicht nur eine bloß pseudo-feministische Perspektive ein, sein postkoloniales Potential sei zudem ernsthaft durch die „keenness“ der Erzählinstanz kompromittiert, die Unterschiede zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart zu minimieren, indem sie Bühlows Afrika-Aufenthalte mit den eigenen „research trips“ überblendet. Der Roman versuche eher, den kolonialen „mindset“ mithilfe von Empathie und imaginiertem historischem Tourismus zu verstehen, als dass es ihm gelänge, ein „critical engagement with colonial and exoticist discourse“ aufrechtzuerhalten.
Göttsche hat ein instruktives Buch zum Thema vorgelegt. Möge sich seine Hoffnung erfüllen, mit seiner englischsprachigen Monografie die Tür zur Erforschung der deutschen Afrika-Literatur durch die internationalen Postcolonial Studies zu öffnen.
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