Die Stimme der Dinge

Toni Schwabes zu Unrecht lange vergessener Roman „Die Hochzeit der Esther Franzenius“ neu aufgelegt

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Toni Schwabe ist eine jener zahlreichen Autorinnen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die zu ihrer Zeit zu Recht hochgelobt wurden, heute jedoch ebenso zu Unrecht längst vergessen sind. Der Autorenkollege und spätere Nobelpreisträger Thomas Mann etwa pries einen ihrer Romane nicht nur als „ungewöhnlich gut und schön“, sondern erhob ihn in den Olymp der „auserlesenen Kunst“. Manns Hymnus galt dem 1902 erschienenen Roman „Die Hochzeit der Esther Franzenius“ der damals gerade einmal 25-jährigen Autorin.

Nachdem Schwabes wunderbares kleines Buch allzu lange vergriffen war, hat Jenny Bauer den Roman nun neu herausgegeben und zudem mit einem Anhang versehen, in den auch dankenswerter Weise Manns Rezension aufgenommen wurde. Bauer selbst, die unlängst bereits mit einem klugen Aufsatz über die Autorin und ihr Werk auf sich aufmerksam gemacht hat, glänzt in einem informativen Nachwort mit einer plausiblen Interpretation des Werkes, dass die Ehe noch „radikaler“ in Frage stelle, als dies zuvor schon Hedwig Dohm, Gabriele Reuter oder Helene Böhlau taten. Denn Schwabe  schildere „Verliebtheit zwischen Frauen“ ebenso selbstverständlich und häufig wie „Verliebtheit zwischen Frauen und Männern“. Der homoerotische, genauer gesagt lesbische Subtext leuchtet tatsächlich mehr als deutlich aus dem Text hervor.

Selbstverständlich lassen sich noch zahlreicher weitere Argumente für die Lektüre des Romans ins Feld führen. Weder Mann noch Bauer versäumen, sie zu nennen, so dass dem Rezensenten hier kaum mehr bleibt, als einige von ihnen zu wiederholen.

Zwar mag er den Inhalt des kleinen sprachlichen Wunderwerks nicht in eigenen Worten zusammenfassen, die dem feinen Sprachgespürs der Autorin nur grobschlächtige Gewalt antun könnten. Doch kommt man in einer Besprechung, die Schwabes Werk gerecht werden möchte, schwerlich umhin, das aus scheinbar schlichten Sätzen gesponnene überaus zarte Sprachgewebe zu erwähnen, das die Autorin zu einem wundervollen Roman gewirkt hat, dessen naturgesättigte und gefühlsstarke Bilder tief berühren. Schwabe behauptet nicht etwa schlicht, dass „alle Dinge“ zu Esther sprechen, ihr feines Sprachempfinden lässt deren Stimme nachgerade ans Ohr der Lesenden selbst klingen, während sie von einfühlsamen Metaphern gleich ins „leichte Gewand der Melancholie“ gekleidet werden.

Die „kahlen und dürftigen Gegenstände“ in einer schäbigen Unterkunft wirken auf Esther, „als seien unzählige verschwiegene Sorgen in sie gebettet“, und scheinen „ein kraftloses Grauen auszuströmen“, heißt es einmal. Empfindsamer und zugleich eindringlicher lässt sich eine Stimmung kaum aufrufen.

Schwabe hat ein nahezu vollkommenes Sprachkunstwerk geschaffen. Allenfalls, dass der Name einer Nebenfigur allzu sprechend ausfällt – wie etwa der von „Fräulein Doktor Obenauf“ – oder die Autorin sich ganz ausnahmsweise einmal allzu nahe an die sprachlichen Klippen pathetischen Kitsches wagt. Meist jedoch manövriert sie mit nachgerade schlafwandlerischer Sicherheit durch alle Meerengen im weiten Ozean der Metaphern und Metonymien, um zielsicher das Zauberwort anzusteuern, das gewährt, eine Stimmung nicht nur einzufangen, sondern zu schaffen.

Auf den letzten Seiten des Romans, soviel sei noch gesagt, „lächeln Tod und Liebe einander in die Augen“ und Esther wird von eben den „zärtlichen, starken, hochzeitlichen Armen“ liebkost, die Kate Chopins Protagonistin Edna bereits drei Jahre zuvor am Ende ihres Weges umfingen. Dies ist hier ebensowenig ein kitschiges Ende wie dort. Im Gegenteil. Denn auf Esthers Hochzeit folgt kein liebestötender Ehealltag, den ein happy end verschweigen könnte.

Titelbild

Toni Schwabe: Die Hochzeit der Esther Franzenius.
Herausgegeben von Jenny Bauer.
Igel Verlag, Hamburg 2013.
145 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783868155730

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