Friede den Hütten! Krieg den Palästen!

Über Georg Büchner und die Herkunft des „Hessischen Landboten“ aus Darmstadt, Straßburg, Gießen, Butzbach und Marburg

Von Burghard DednerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Burghard Dedner

Bekanntlich wurde Ende Juli 1830 in Paris die Monarchie gestürzt, und die drei Tage, die diese Revolution brauchte, vergleicht ein überenthusiastischer Italiener in Thomas Manns Zauberberg mit den sechs Tagen der Weltschöpfung. Das ist sicher übertrieben. Richtig aber ist, dass diese drei Tage einen „Europäischen Frühling“ und eine Eurobellion einläuteten, die nach Frankreich fast ganz Europa, nämlich Polen, Italien, Österreich, die Schweiz, Belgien, England, Spanien, Portugal und Deutschland, erfasste. Die bekanntesten Auswirkungen in Deutschland waren landesweite Unruhen im Herbst 1830, das Hambacher Fest Ende Mai 1832 und der Sturm auf die Frankfurter Hauptwache, ein studentischer Putschversuch vom 3. April 1833. Zwei Jahre zunehmender Repression folgten, und dann herrschte in Deutschland und Europa wieder Friedhofsruhe, bis 1848 die nächste große Eruption erfolgte. Der Hessische Landbote, um den es im folgenden geht, wurde 1834, verfasst und gedruckt. Im engeren Sinne gehört er also in die Endphase des kurzen Europäischen Frühlings, im weiteren Sinne gehört er in eine Geschichte demokratischer und sozialer Bewegungen, deren Ende noch nicht abzusehen ist.

Dichten, so hat einmal ein holländischer Poet gesagt, ist so schwer, das kann einer nicht alleine, und deshalb schreiben die großen Dichter von einander ab. Büchner war ein Meister in der Kunst des produktiven Abschreibens und auch in seiner großen politischen Flugschrift orientierte er sich an mehreren Gedankensystemen, denen  hier der Anschaulichkeit halber Ortsnamen zugewiesen werden. Büchner besuchte bis 1831 das Gymnasium in Darmstadt und wurde dort unter anderem mit Strömungen des frühen deutschen Republikanismus und Nationalismus bekannt. So kam eine südwestdeutsch-darmstädtische Schicht in die Flugschrift. Zwischen 1831 und 1833 studierte er in Straßburg, im Land der Revolution, wo er – einer Aussage zufolge – „Mitglied der Gesellschaft der Menschenrechte“ war und „deren Grundsätze eingesogen“ hat.[1] Die „Gesellschaft der Menschenrechte“, die „Société des droits de l’homme“, war damals die am weitesten verzweigte und mitgliederreichste sozialrevolutionäre Vereinigung Frankreichs. Sie stand in der Tradition der Französischen Revolution und des Jakobinismus. Jeder, der ihr beitrat, verpflichtete sich zu zwei Aktivitäten: zu Vereinsbildung und politischer Propaganda. Beiden Verpflichtungen kam der Student Büchner 1833/34 in Gießen auch nach. Er gründete im März 1834 eine Sektion der „Gesellschaft der Menschenrechte“, und zwar vor allem mit Studenten und Handwerkern, die in den schon genannten Frankfurter Wachensturm verwickelt waren. Ebenfalls im März 1834 schrieb er den Hessischen Landboten. Geradezu als Straßburger Duftmarke gab er ihr das aus den französischen Revolutionskriegen stammende und noch heute gern zitierte Motto: „Friede den Hütten! Krieg den Pallästen!“

Gute Texte schreiben, wie gesagt, kann einer nicht alleine; bei der Produktion und Distribution politischer Texte ist Kooperation vollends unabdingbar. Man braucht Zugang zu einer Druckerpresse, Verbindungen, Freunde an verschiedenen Orten. In dem Butzbacher Rektor Friedrich Ludwig Weidig, fand Büchner den geeigneten Mann, zugleich freilich auch einen Mann mit eigenen politischen Ideen, der deshalb eine Recht auf Mitverfasserschaft beanspruchte. So kommen wir zu einer Butzbacher Schicht in der Flugschrift. Und als schließlich der Hessische Landbote im November 1834 eine zweite Auflage in Marburg erfuhr, beanspruchte auch Leopold Eichelberg, der Marburger Beteiligte, ein Recht auf Mitverfasserschaft. So kommen wir schließlich zu einer Marburger Schicht.

Schauen wir jetzt nach den Spuren dieser vielfachen Ortsbindung im Inhalt der kleinen Flugschrift. Ich beginne mit südwestdeutsch-republikanischen – sagen wir also: Darmstädter – Textelementen und komme dann zur Straßburger Schicht, wobei ich zugleich erläutere, wie Butzbach und Marburg auf diese Textschichten reagierten.

Die Flugschrift erläutert zunächst in vielen Einzelheiten die skandalöse steuerliche Auspressung der armen Leute in Hessen und spricht diese danach direkt so an:

Das alles duldet ihr, weil euch Schurken sagen: „diese Regierung sey von Gott.“ Diese Regierung ist nicht von Gott, sondern vom Vater der Lügen. Diese deutschen Fürsten sind keine rechtmäßige Obrigkeit, sondern die rechtmäßige Obrigkeit, den deutschen Kaiser, der vormals vom Volke frei gewählt wurde, haben sie seit Jahrhunderten verachtet und endlich gar verrathen. […] – Doch das Reich der Finsterniß neiget sich zum Ende. Ueber ein Kleines und Deutschland, das jetzt die Fürsten schinden, wird als ein Freistaat mit einer vom Volk gewählten Obrigkeit wieder auferstehn. Die heilige Schrift sagt: Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist. Was ist aber dieser Fürsten, der Verräther? – Das Theil von Judas![2]

Pfarrer waren gehalten, in regelmäßigen Abständen über den Satz aus dem Römerbrief des Paulus zu predigen: „Es gibt keine Obrigkeit außer von Gott.“ Diese Pfarrer, so erfahren die Leser der Flugschrift, sind Schurken; die Regierung ist „vom Vater der Lügen“, also vom Teufel. Die wahre Obrigkeit sei ein „vom Volke frei gewähl[er] Kaiser“. Ihn hätten die Fürsten verraten. Der Text prophezeit weiterhin die bevorstehende Rückverwandlung Deutschlands in eine demokratische Republik, und die Bestrafung der Fürsten. Sie erwarte das Schicksal des Judas, also der Strick in dieser und die Hölle in der andern Welt.

Das politische Ziel des Landboten ist damit deutlich bezeichnet. Zu erläutern ist noch die Begründung. Wann wurden die Fürsten zu Verrätern? Was soll die Rede von der Volkswahl des Kaisers? Büchner orientierte sich hier an verbreiteten und für verbürgt gehaltenen historischen Erzählungen, zum Beispiel an der über die Königswahl im Jahr 1024. Die Dynastie der Ottonen war in diesem Jahre erloschen. Deshalb versammelte sich das deutsche Volk in der Nähe Darmstadts, im Rheintal zwischen Worms und Mainz, und wählte den neuen König. Tatsächlich verständigten sich die dort eingetroffenen warlords und teilten die Entscheidung ihren in Masse anwesenden Kriegern mit. Und das Volk? Das Geschichtsbuch berichtet quellengetreu: „von dem umstehenden Volke aber erscholl einmüthiges Geschrei.“[3] Das war Wahl durch Akklamation, also immerhin Wahl. Ähnliches lässt sich für andere Daten auch anderen Quellen entnehmen. Ergo: das deutsche Volk war im Mittelalter der Souverän, der seine Gewalt an den König oder Kaiser übertrug. Die Fürsten waren königliche Beamte. Sie raubten aber, so wurde vor allem nach 1830 weiter erzählt, dem Volk seine Rechte und schlossen sich nach 1806 dem napoleonischen Rheinbund an, womit sie den Kaiser, ihren Herrn, verrieten. Also waren sie Räuber, Verräter und Meineidige, also war kein Untertan ihnen zur Eidestreue verpflichtet, also musste jeder danach trachten, diesem „Reich der Finsternis“ ein Ende zu bereiten. Dies also zur Erklärung der zitierten Sätze und zur Rechtfertigung der Revolution aus der mittelalterlichen Geschichte. Diese Erzählung wurde ähnlich auch von Weidig verbreitet, sie war völlig in seinem Sinne und in dem der Marburger.

Kommen wir zur zweiten Schicht. Im Landboten heißt es:

Im Jahr 1789 war das Volk in Frankreich müde, länger die Schindmähre seines Königs zu seyn. Es erhob sich und berief Männer, denen es vertraute, und die Männer traten zusammen und sagten, ein König sey ein Mensch wie ein anderer auch, er sey nur der erste Diener im Staat, er müsse sich vor dem Volk verantworten und wenn er sein Amt schlecht verwalte, könne er zur Strafe gezogen werden. Dann erklärten sie die Rechte des Menschen: „Keiner erbt vor dem andern mit der Geburt ein Recht oder einen Titel, keiner erwirbt mit dem Eigenthum ein Recht vor dem andern. Die höchste Gewalt ist in dem Willen Aller oder der Mehrzahl. Dieser Wille ist das Gesetz“.[4]

Der erste Teil dieser Erzählung gilt Frankreichs Umwandlung in eine Republik. Grund war der Verfassungsbruch des Königs 1792. 1830, so wird später weiter erzählt, führte ein gleicher Verfassungsbruch wieder zum gleichen Ergebnis. Auch das war ganz in Weidigs Sinne.

Der zweite Teil der Erzählung ist amerikanisch-westeuropäischer Herkunft und behandelt das allgemeinere Thema unveräußerlicher Menschen- und Bürgerrechte. Über sie soll jeder einzelne Mensch von Natur aus verfügen. Sie seien aber, so die Erzählung, den Menschen geraubt worden und sogar in Vergessenheit geraten. Deshalb müsse man sie feierlich und öffentlich in Erinnerung rufen. Erstes Rechtsprinzip ist, dass alle Menschen frei und als Bürger in ihren Rechten gleich sind. Vorrechte aufgrund von „Geburt“ oder „Eigenthum“ sind unrechtmäßig. Büchner formuliert als Rechtsprinzip: „keiner erwirbt mit dem Eigenthum ein Recht vor dem andern“. Das heißt unter anderem: Gleiches Wahlrecht für alle.

Das war nicht unbedingt Weidigs Meinung. Er dachte nicht in der Kategorie von individuellen Menschenrechten, sondern von kollektiv ausgeübten Volksrechten, und er war nicht frei von Pöbelangst, also nicht frei von der Angst vor den Armen. Büchners Freund August Becker erinnerte sich an einen „Streit über Wahlcensus“. „Büchner meinte, in einer gerechten Republik, wie in den meisten nordamerikanischen Staaten, müsse jeder ohne Rücksicht auf Vermögensverhältnisse eine Stimme haben“. Weidig fürchtete dagegen, „daß dann eine Pöbelherrschaft, wie in Frankreich, entstehen werde“. Büchner sprach danach abschätzig vom „Aristokratismus des Weidig“.[5] Vielleicht machte diese Beschimpfung Eindruck auf Weidig; jedenfalls ließ er Büchners Sätze stehen.

Verfahren wir nicht zu streng mit Weidigs „Aristokratismus“. Auch in der Paulskirche wollte nur die Minderheit der Demokraten die Zensuseinschränkungen abschaffen. Die liberalen Gruppierungen konnten dagegen in Deutschland im 19. Jahrhundert mit dem Zensuswahlrecht gut leben. Es war Bismarck, der in der Reichsverfassung vom 16. April 1871 das gleiche Wahlrecht für alle einführte, nicht aus Liebe zu den Menschenrechten, sondern aus Kalkül. Bismarck vertraute darauf, dass die bäuerliche Bevölkerung mehrheitlich eher konservativ als bürgerlich-liberal stimmen werde.

Die politisch-revolutionären Inhalte dominieren den zweiten Teil der Flugschrift, die sozialrevolutionären Inhalten den ersten. Ein Freund hat vor dem Untersuchungsrichter zusammengefasst, was Büchner in dieser Hinsicht seinen Lesern, den Bauern und Handwerkern, eigentlich habe sagen wollen:

man muß ihnen zeigen und vorrechnen, daß sie einem Staate angehören, dessen Lasten sie größtentheils tragen müssen, während andere den Vortheil davon beziehen; – daß man von ihrem Grundeigenthum, das ihnen ohnedem so sauer wird, noch den größten Theil der Steuern erhebt, – während die Capitalisten leer ausgehen; daß die Gesetze, welche über ihr Leben und Eigenthum verfügen, in den Händen des Adels, der Reichen und der Staatsdiener sich befinden u.s.w. [6]

Das heißt in eigenen Worten und in drei Schritten, aber angelehnt an die Worte Büchners und der französischen Sozialrevolutionäre:

Erstens: Die Gesetzgebung lag im Großherzogtum Hessen „in den Händen des Adels, der Reichen und der Staatsdiener“. Aus diesen drei Schichten setzte sich das Parlament tatsächlich zusammen. Die erste Kammer war mit Adligen besetzt. Wählbar für die zweite Kammer waren nur die Wohlhabendsten im Lande, genauer gesagt: ein Prozent der Bevölkerung. Vom Berufsstand her waren das Kaufleute, Industrielle und hochstehende Beamte. Zusammenfassend konnte deshalb Büchner auch sagen: der Staat gehört den Reichen.

Zweitens: Der Staat war an sich schon eine Institution der Besitzenden. Er garantierte ihnen die sichere Verfügung über ihr Privateigentum, und eben diese Garantie galt bürgerlichen Staatstheoretikern seit John Locke als eigentliche Aufgabe und primäre Rechtfertigung des Staates. Hinzu kam, dass der Staat gerade im frühen 19. Jahrhundert die Infrastruktur zur Ausweitung der Warenproduktion und des Warenhandels schuf. Er bewirkte also, dass sich der Reichtum der Reichen vermehrte, und hierauf nahm die Gesetzgebung natürlich Einfluss. Die dritte vom Staat profitierende Gruppe sind die Staatsdiener, von denen Büchner sagt, sie würden am Ende ihres Leben „aufs Polster gelegt“.[7] Dass auch sie bei der Gestaltung der Gesetze an den eigenen Vorteil dachten, versteht sich.

Drittens: Das Staatsgebilde war kostspielig, und die Welt müsste auf dem Kopf stehen, wenn sich die Reichen selbst die Steuern zur Finanzierung der Kosten aufgehalst hätten. 40% der Staatseinnahmen beruhten auf indirekten Steuern. Das heißt: die 99% der Bürger, die wie gesagt keine vollen Bürgerrechte genossen, finanzierten damit bereits fast die Hälfte des Staates und von der andern Hälfte finanzierten sie den größten Teil über die Grund- und Personensteuer. Büchner wusste all dies aus einer Finanzstatistik des Großherzogtums Hessen, aus der er in der Flugschrift laufend die Summen der Steuereinnahmen und -ausgaben für die einzelnen Ressorts zitierte.

Dieses Steuersystem – so Büchner und die französischen Sozialrevolutionäre – machte aus dem Staat eine Auspress- und Transfusionsmaschine, die alle von den Armen etwa erwirtschafteten Gelder in die Taschen der Reichen, der Vornehmen und der Staatsdiener pumpte. Überkonkret stellte Büchner diese Umverteilung dar in Redefiguren von Körperverwertung: In Darmstadt stehen „stattliche Häuser, die aus den Knochen des Volks gebaut sind“; darin brennen „Lampen […], aus denen man mit dem Fett der Bauern illuminirt“. Deren „Schweiß ist das Salz auf dem Tische des Vornehmen“.[8] Die Sozialrevolutionäre favorisierten deshalb ein anderes Steuermodell. Alles lebensnotwendige Vermögen oder Einkommen müsse steuerfrei sein. Alle indirekten Steuern seien deshalb abzuschaffen. An ihre Stelle müsse eine progressiv berechnete Steuer auf „überflüssigem“ Vermögen, eine Reichensteuer also, treten. Büchner glaubte dieses Modell im Kanton Zürich verwirklicht. Dort habe man „um wenig Geld eine einfache, gute, rein republikanische Regierung, die sich durch eine Vermögenssteuer erhält, eine Art Steuer, die man bei uns überall als den Gipfel der Anarchie ausschreien würde“.[9]

Einen Eindruck von der Tonlage des Agitators Büchner vermitteln einige Sätze zur Kosten-Nutzenrechnung des Steuersystems aus der Sicht der armen Leute:

Für das Ministerium der Finanzen 1,551,502 fl./
Damit werden die Finanzräthe[,] Obereinnehmer, Steuerboten, die Untererheber besoldet. Dafür wird der Ertrag eurer Aecker berechnet und eure Köpfe gezählt. Der Boden unter euren Füßen, der Bissen zwischen euren Zähnen ist besteuert. Dafür sitzen die Herren in Fräcken beisammen und das Volk steht nackt und gebückt vor ihnen, sie legen die Hände an seine Lenden und Schultern und rechnen aus, wie viel es noch tragen kann, und wenn sie barmherzig sind, so geschieht es nur, wie man ein Vieh schont, das man nicht so sehr angreifen will.[10]

Hier geht es also um Ausgaben, die zu nichts dienen außer zum Erhalt der Staatsmaschine. Was ist der Gewinn für diese Ausgaben, etwa im Rechtssystem? Der Gewinn besteht im Recht auf Trivialklagen im Zivilbereich.

Die Justiz ist in Deutschland seit Jahrhunderten die Hure der deutschen Fürsten. Jeden Schritt zu ihr müßt ihr mit Silber pflastern, und mit Armuth und Erniedrigung erkauft ihr ihre Sprüche. Denkt an das Stempelpapier, denkt an euer Bücken in den Amtsstuben, und euer Wachestehen vor denselben. Denkt an die Sporteln für Schreiber und Gerichtsdiener. Ihr dürft euern Nachbar verklagen, der euch eine Kartoffel stiehlt; aber klagt einmal über den Diebstahl, der von Staatswegen unter dem Namen von Abgabe und Steuern jeden Tag an eurem Eigenthum begangen wird, damit eine Legion unnützer Beamten sich von eurem Schweiße mästen.[11]

Diese Ausfälle gegen das Steuersystem wurden von Weidig und danach von den Marburger Angehörigen des Oberhessischen Pressverein gebilligt. Doch es gab auch Gründe zu Missbilligungen und Überarbeitungen.

Weidig erhielt Büchners Flugschrift im Mai 1834 und reagierte mit der Bemerkung, sie „müsse vortreffliche Dienstethun, wenn sie verändert werde.“[12] Das tat er dann also.

Zunächst milderte er Büchners Kritik an den Landständen, also an den Parlamenten. Nach Büchners Auffassung war das Parlament des Großherzogtums zum einen eine Steuerverschwendungsmaschine, zum andern ein Machtinstrument der Reichen zur Durchsetzung ihrer Interessen. Er soll geäußert haben: „Sollte es diesen Leuten gelingen, […] die deutschen Regierungen zu stürzen und eine allgemeine Monarchie oder auch Republik einzuführen, so bekommen wir hier einen Geldaristokratismus wie in Frankreich, und lieber soll es bleiben, wie es jetzt ist.“[13] Besser also die noch halb absolutistische Monarchie als ein Staat in der Hand der Kapitalbesitzer! Weidig druckte zu dieser Zeit gerade eine illegale Flugschriftenserie zur Beeinflussung der gerade anhängigen Landtagswahlen. Er betrachtete die liberalen Landtagsabgeordenten als Bundesgenossen. Es versteht sich, dass er Büchners Ausfälle gegen diese Bundesgenossen rigoros tilgte.

Ein zweiter Punkt, an dem Weidig eingriff, betraf Büchners schon angedeutete Zuspitzung des sozialen Konflikts auf die Formel „Arme gegen Reiche“. Diese Formel und überhaupt die Rede von Arm und Reich waren traumatisch besetzt. Das Bürgertum hatte in der Französischen Revolution erklärt, es gebe nur drei Stände: den Adel, den Klerus und den dritten Stand. Dieser dritte Stand, also das Bürgertum, umfasse 24 Millionen Franzosen, also die Nation, und die gewählten Repräsentanten des dritten Standes seien die gewählten Vertreter der Nation. Kluge Vertreter des Adels erklärten dies für gefährlichen Unfug. Wenn man schon Zahlen heranziehe, so müsse man sagen: der Adel und das reiche Bürgertum umfassten zusammen etwa eine Million Menschen. Dieser Million gegenüber stünden 23 Millionen Arme, also Menschen, die nicht mehr hätten als das sogenannte Subsistenzvermögen, als das zum Überleben Notwendige. Diese Armen dürfe man in keine politische Rechnung einbeziehen, und wer es doch tue, riskiere einen „Krieg der Armen gegen die Reichen“. Damit haben wir die strittige Formel. Sie erregte seit je Angst und wurde in der Spätphase der Revolution noch furchterregender. Denn jetzt und auch in den 1830er Jahren begannen die Sozialrevolutionäre die Formel als eigenes Kampfprogramm zu verwenden. So besonders prominent der französische Sozialrevolutionär Auguste Blanqui, von dem Büchner viel gelernt hat. Blanqui sagte in einer Prozessrede, dass der gesellschaftliche Zustand ohnehin ein fortdauernder „Krieg zwischen den Reichen und den Armen“ („la guerre entre les riches et les pauvres“) sei und daß in diesem Krieg zukünftig auch die Armen die Waffen ergreifen werden.[14]

Büchner muss in seinem Manuskript etwas geschrieben haben, was Weidig an diese Formel erinnerte. Er änderte deshalb den Text mit dem Argument, Büchners Ausdrucksweise „werde die Wirkung stören, weil selbst in jedem Dörfchen der Unterschied zwischen arm und reich bestehe, man müße darum statt ‚Reichen‘ sagen: ‚die Vornehmen‘“.[15] So begegen jetzt in dem Text häufig Begriffe wie „der Vornehme“ oder „der Fürst und der Vornehme“. Das bedeutet: Weidig führte die sozialrevolutionäre Schrift zurück in die Bahnen des antiabsolutistischen Kampfes.

Außerdem fügte Weidig ein Thema hinzu, das ihm mehr am Herzen lag als Büchner: nämlich die Schaffung eines einheitlichen deutschen Staates. Das damalige Deutschland war bekanntlich ein Staatenbund, bestehend aus den zwei Großmächten Preußen und Österreich und 34 Mittel-, Klein- und Kleinststaaten. Von Büchner ist überliefert, dass er „sich mit dem ganzen Wesen die Einheit der deutschen Familie ersehnte“ („aspirant de tout son être à l’unité de la famille allemande“).[16] Das mag sein, aber das Thema war ihm nachrangig gegenüber dem einer demokratischen Republik. Für den Theologen Friedrich Ludwig Weidig war die Einheit Deutschlands dagegen das vorrangige Ziel seines politischen Kampfes und hatte den Rang eines religiösen Auftrags. Der einheitliche Leib Christi, der sich nach katholischer Auffassung bekanntlich in der einen katholischen Kirche wiederholt, wiederholte sich nach seiner protestantischen Auffassung in der Einheit des Volkes, wobei er Volk als Sprachgemeinschaft verstand. Die Leser, so heißt es gegen Ende des Landboten, sollen als Wahrheit erkennen und sich einprägen:

daß der Gott, der ein Volk durch Eine Sprache zu Einem Leibe vereinigte, die Gewaltigen die es zerfleischen und viertheilen, oder gar in dreißig Stücke zerreißen, als Volksmörder und Tyrannen hier zeitlich und dort ewiglich strafen wird, denn die Schrift sagt: was Gott vereinigt hat, soll der Mensch nicht trennen“.[17]

Und ganz am Ende heißt es: „Das deutsche Volk ist Ein Leib [,] ihr seyd ein Glied dieses Leibes.“[18] Schließlich erweiterte Weidig den Schluss des Textes durch eine Reihe alttestamentlicher Verheißungen. Auch Büchner griff freilich in seinem Text durchgängig auf biblische Anspielungen zurück.

Die Flugschrift lag zwischen Mai und Anfang Juli 1834 irgendwo im Heu einer Scheune in Butzbach; denn Weidig beabsichtigte, mit ihr eine groß angelegte publizistisch-revolutionäre Offensive zu eröffnen, die gut vorbereitet sein wollte. Weidig verfügte über gute Kontakte zu den Oppositionellen im Rhein-Main-Gebiet, so unter anderem zu der Geheimgesellschaft „Frankfurter Union“, die ebenfalls mit der französischen „Société des droits de l’homme“ kooperierte. So organisierte er ein überregionales Oppositionellentreffen in Wiesbaden und dann ein zweites regionales für den 3. Juli 1834 auf der Badenburg bei Lollar. Hauptanwesende waren er selbst, der Arzt Leopold Eichelberg aus Marburg und Büchner aus Gießen, außerdem eine Reihe weiterer Gießener und Marburger Oppositioneller: zwei Studenten, zwei Rechtsanwälte, ein Buchhändler, ein Arzt, ein Hutmacher. Mit ihnen gründete Weidig einen Oberhessischen Pressverein. Er erläuterte den Inhalt der Flugschrift und die Überarbeitungen, die er vorgenommen hatte. Büchner widersprach, und in der folgenden Debatte ging es um die eben besprochenen Punkte: um die Rolle der landständischen Opposition und den Konflikt zwischen Arm und Reich sowie um das Prinzip der Gleichheit.

Büchner zog offenbar den Marburger Hutmacher Kolbe auf seine Seite. Kolbe „fiel“ Büchner  mehrmals um den Halz und herzte ihn, er nahm ihn schwebend in die Höhe und trug den Büchner herum mit der Aeußerung: Anders könne es nicht gehn! er habe das Rechte gesagt!“[19] Einen positiven Eindruck gewann Büchner außerdem von dem Marburger Arzt Dr. Hess; jedenfalls bemerkte er später über die Marburger, dass „den Dr Hess allenfalls ausgenommen mit keinem etwas anzufangen sey.“[20] Hess flüchtete später rechtzeitig vor der Verhaftung nach Amerika. Leopold Eichelberg, der Führer der Marburger, fand bei Büchner dagegen keinen Gefallen. Eichelberg selbst urteilte abwägend: „Büchner schien mir die mit aller Vehemenz übersprudelnde jugendliche Kraft welche sich hier im Zerstören gefiel während sie sonst eben so leicht die ganze Welt liebend zu umarmen sucht.“[21] Insgesamt setzte sich Weidig auf der Badenburg mit seinen Abänderungen gegen Büchners Widerstand durch. So wurde die Flugschrift im Juli in Offenbach gedruckt und ab Mitte August in Darm- und Kurhessen verteilt.

Den Marburgern lag die Flugschrift ab Mitte August vorl. Sie verbreiteten Exemplare und Eichelberg war – so eine spätere Aussage eines Gießener Studenten – mit dem Erfolg der Flugschrift bei den Bauern zufrieden. In der Aussage heißt es:

Wir haben allerdings mit Verwunderung davon gesprochen, daß sich bei Leuten aus der gebildeten Klaße, und die überdieß zu der liberalen Parthie gehörten hie und da Mißbilligungen über den Landboten äußern könnten. Eichelberg hielt dieß für gleichgültig, grade weil der Landbote für Gebildete nicht, sondern für die Bauern bestimmt sey, und er sprach selbst von der guten Wirkung, die der Landbote unter den Curheßischen Bauern der Umgegend schon erzeugt habe. Er meinte, die habe man schon am Schnürchen.[22]

Vereinbart war, dass dieser ersten Nummer aus der anvisierten Reihe Der Hessische Landbote alsbald eine zweite folgen sollte. Eichelberg schrieb eine zweite Nummer, die aber in Gießen von den dortigen Studenten nicht akzeptiert wurde: „Das Manuscript soll sehr lächerlichen Inhalts gewesen und darin vorgekommen seyn, Christus sey auch ein Feuerkopf gewesen,“ so August Becker.[23] Schon früher hatte ein Gießener Student eine zweite Nummer geschrieben, die ebenfalls nicht gut ankam. Anscheinend war es schwer, etwas ähnlich Gutes zu schreiben. Also ermunterte Eichelberg den Doyen der Marburger Oppositionellen, den Staatsrechtsprofessor Sylvester Jordan, zu einem Beitrag. Jordan hatte sich negativ über die destruktive Wirkung des Landboten geäußert, und so schrieb er nicht eine zweite Nummer hierzu, sondern ein fünftes Heft in der von Weidig herausgegebenen Reihe illegaler Flugschriften, genannt Leuchter und Beleuchter.[24] In dieser Reihe ging es um den Wahlkampf im Großherzogtum Hessen. Büchner hielt die Befassung mit diesem Thema – wie schon gezeigt – für Unfug, Jordan, der selbst als Abgeordneter in Kassel mitgewirkt hatte, dagegen für sehr wichtig. So schrieb Jordan eine lange, aus zwei Teilen bestehende Flugschrift. Im zweiten Teil, der uns hier nicht interessiert, ging es um den Wahlkampf; im ersten um eine Kritik an Büchners Gleichheitsbegriff.

Büchner habe sich für die „Herbeiführung einer völligen Gleichstellung Aller“ eingesetzt, wurde später über ihn ausgesagt.[25] „Völlige Gleichstellung Aller“ – technisch gesagt also: Egalitarismus – konnte dreierlei bedeuten. 1. die Gleichstellung vor dem Gesetz, die nach Abschaffung der Standesprivilegien niemanden etwas kostete und also unumstritten war. 2. Die Gleichstellung in bürgerlichen Rechten, z.B. im Wahlrecht, die man, wie gezeigt, noch kontrovers diskutierte. Und 3. Gleiche Teilhabe an den Gütern der Gesellschaft, eine das Recht auf Privateigentum beeinträchtigende Spielart des Egalitarismus, die bekanntlich bis heute umstritten ist. Die „Société des droits de l’homme“ hatte für diesen heiklen Punkt Robespierres Definition des Eigentums vom April 1793 übernommen. Sie lautet: „Das Eigenthum ist das Recht, das jeder Bürger hat, nach seinem Belieben den ihm vom Gesetze verbürgten Antheil an Güternzu genießen und darüber zu verfügen.“[26] Was heißt das? Primär ist eine Gesamtmenge: das Nationalvermögen. Sekundäre Teilmengen davon sind die Privatvermögen. Das Gesetz garantiert Einzelnen ein Verfügungsrecht über diese Teilmengen. Es erhebt sich die Frage, ob das Gesetz diese Garantie auch aufheben kann. Ein Blick auf Artikel 14 Grundgesetz belehrt uns, dass das bis heute unklar ist . „1. Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet“. Das beruhigt. „2. Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Auch gut; Soll-Bestimmungen sind harmlos. „3. Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig.“ Hier hat der sozialistische Egalitarismus den Fuß in der Tür.

Anscheinend sprach Büchner auf der Badenburg von der sozialistischen Variante des Egalitarismus; Eichelberg kolportierte dies mit einiger Empörung, und so ergriff Jordan die Gelegenheit, um die Dinge wieder zurecht zu rücken. Das war eigentlich unnötig, denn die oberhessischen Leser konnten ja nicht wissen, dass Büchners etwas hatte verrücken wollen; aber wir Professoren sagen Sachen, nicht damit sie verstanden werden, sondern weil sie gesagt werden müssen. Jordan schrieb also:

Wenn z.B. Euch von obenherab gesagt wird, daß die Fürsten Tag und Nacht für Euer Wohl arbeiten, daß sie kein Opfer für dieses Wohl scheuen und sich nur in Eurem Wohlergehen glücklich fühlen; werdet Ihr es glauben, oder in solcher Versicherung eine bloße Redensart, ein leeres Compliment erblicken? Gewiß wird letzteres der Fall sein […]. Wenn Euch ferner von unten gesagt wird, reißt alle gesetzlichen Schranken ein und theilet Euch in das Vermögen der Reichen, und man Euch versichert, dieß sei Freiheit und Gleichheit; werdet Ihr es glauben? Gewiß nicht. […] Die Gleichheit bestehet wieder nicht darin, daß ein Jeder gleichviel besitze, gleichviel Vermögen habe; denn eine solche Gleichheit wäre gar nicht einmal möglich, weil ja nicht alle Menschen gleiche Talente, gleichen Fleiß, gleiche Sparsamkeit und gleiche Kräfte haben. Denkt Euch, alle Güter der Erde seien heute gleich vertheilt, – würden sie es morgen noch sein? Gewiß nicht […]. Die vernünftige Gleichheit besteht vielmehr darin, daß ein Jeder als Mensch gleiche Achtung vor dem Gesetze genieße […].

Es gibt eine französische Flugschrift von 1796, in der ein Reicher zu einem Armen sagt: „Ihr seid alle gleich vor dem Gesetz. Woran fehlt’s dir denn noch, Halunke?“[27] So fragte auch Jordan. Er wollte weitergehende egalitaristische Forderungen in Kurhessen per Flugschrift schon widerlegen, bevor sie noch jemand öffentlich erhoben hatte. Neben der ökonomischen Gleichheit verbat er sich auch die harmlosere Variante des gleichen Wahlrechts. Es zeigte sich, dass in dieser kleinen Gruppierung des Oberhessischen Pressvereins unvereinbare Gedanken aufeinander prallten. Weidig tat das pragmatisch Vernünftige. Er legte Jordans Text beiseite. So verblieb er bei Eichelberg und kam mit den übrigen Prozessakten ins Marburger Staatsarchiv.

Da es dem oberhessischen Pressverein demnach noch immer an einer Flugschrift fürs Volk mangelte, kam man überein, den Hessischen Landboten nachzudrucken. Den Druck übernahm wieder – wie schon beim 5. Blatt des Leuchter – Ludwig August Rühle ohne Wissen seines Arbeitgebers Noah Elwert. Eichelberg und Weidig vereinbarten einige Änderungen: der Vorbericht wurde gestrichen; auch das Wort „Vornehme“ wurde jetzt ersetzt, und zwar durch „Fürst“ und/oder „Beamte“. Die antistaatliche Stoßrichtung wurde also noch einmal verstärkt. An einigen wenigen Stellen wurde der Ausdruck gemildert. Einige Hinweise auf aktuelle politische Skandale scheint Weidig hinzugefügt zu haben. Vor allem bemerkenswert ist eine längere Hinzufügung, wie es scheint: aus der Feder von Leopold Eichelberg.

Eichelberg unterdrückte, wie schon angedeutet, die Pöbelangst, die er natürlich auch kannte, und unterstützte den Landboten. Jedoch schien ihm, dass dem eher destruktiv wirkenden Text eine positive Vision noch fehle. Also fügte er sie hinzu. Sie ist der wichtigste Marburger Beitrag zum Landboten,und ich zitiere sie in Gänze, um einen Eindruck von Eichelbergs Schreibart zu geben.

Weidig hatte gegen Ende des Landboten im prophetischen Stil des Alten Testaments geschrieben:

Aber wie der Prophet schreibet, so wird es bald stehen in Deutschland: der Tag der Auferstehung wird nicht säumen. In dem Leichenfelde wird sichs regen und wird rauschen und der Neubelebten wird ein großes Heer seyn.

Eichelberg schrieb im unmittelbaren Anschluss:

Dann wird der Hesse dem Thüringer, der Rheinländer dem Schwaben, der Westphale dem Sachsen, der Tyroler dem Baier die Bruderhand reichen. Die besten Männer aller Stämme des großen deutschen Vaterlandes werden, berufen durch die freie Wahl ihrer Mitbürger, im Herzen von Deutschland zu einem großen Reichs- und Volkstage sich versammeln, um da, wo jetzt die babylonische Hure, der Bundestag, nach dem Willen der 34 Götzen Recht und Wahrheit verhöhnet, christlich über Brüder zu regieren. Dann wird statt des Eigenwillens der 34 Götzen der allgemeine Wille, statt der Eigensucht einer Rotte von Götzendienern das allgemeine Wohl im deutschen Vaterlande walten. Dann wird das Joch vom Halse der Bürger und Bauern hinweggenommen und ein Volksgericht über die großen Diebe, die Deutschland landesfürstlich und königlich beraubten, wie über die kleinen Diebe gehalten werden, die bei solchem Umschwung der Dinge sich etwa bereichern wollten vom Eigenthum ihrer Brüder. Dann kehren die schuldlos Verbannten in die freie Heimath zurück und der Kerker der schuldlos Gefangenen öffnet sich. Dann blühen Kunst und Wissenschaft im Dienste der Freiheit, dann blühen Kunst und Ackerbau und Gewerbe im Segen der Freiheit, dann bildet sich ein wahrhaft deutsches Bundesheer, in welchem Tapferkeit und nicht Geburt – der Gehorsam der Freiheit und nicht der blinde Gehorsam und hündische Treue die Stufen der Ehre hinanführt.[28]

Weidigs Art, den Nationenbegriff christlich und eine Revolution alttestamentlich zu begründen, sind uns heute fremd geworden. Eichelbergs schöne Vision hat sich besser gehalten. Sie dominierte in der Bewegung, die zur Revolution von 1848 führte, und sie ist uns in Ton und Inhalt vertraut aus der bundesrepublikanischen Nationalhymne, sie ist also Teil unserer Staatsidee. Ich will diese Vision nicht gering schätzen. Jedoch geniere ich mich immer, wenn ich die Spieler der Fußball-Nationalelf die Hymne singen sehe. Die Wohlerzogenen oder entsprechend Instruierten bewegen die Lippen; aus vollem Halse und mit Überzeugung singt keiner. Teile von Büchners Landboten-Text scheinen dagegen überleben zu können. Jedenfalls können sich die Demonstrierenden von heute damit noch immer identifizieren. Das liegt zum einen an Büchners Gabe zu absolut drastischen, pointierten Formulierungen, an dem Anschein absoluter Ernsthaftigkeit und Wut, den er dem Text geben konnte, es liegt aber auch daran, dass die Geschichte die Einsichten und Forderungen, die sein Text enthält, noch nicht abgearbeitet hat.

[1] Aussage Adam Koch; zit. nach Georg Büchner: Sämtliche Werke und Schriften. Historisch-kritische Ausgabe mit Quellendokumentation und Kommentar (im Folgenden: MBA), Bd. II.1 u. II.2, hrsg. von Burghard Dedner unter Mitarbeit von Katja Battenfeld, Darmstadt 2013. Hier MBA II.2, S. 329.

[2] Zit. nach MBA II.1, S. 9.

[3] Carl Adolf Menzel: Die Geschichten der Deutschen. Bd. III, Breslau, S. 712.

[4] Zit. nach MBA II.1, S. 9.

[5] Aussage Becker, 1. November 1837; Noellner 1844, 425; hier zit. nach MBA II.2, S. 91.

[6] Aussage August Becker am 1. September 1837 in: Noellner 1844, S. 421; zit. nach MBA II.2, S. 87.

[7] MBA II.1, S. 7.

[8] Zit. nach MBA II.1, S. 9 u. 5.

[9] An die Eltern 20. November 1836; zit. nach MBA X.1, S. 110 f.

[10] MBA II.1, S. 7.

[11] MBA II.1, S. 6 f.

[12] Aussage August Becker; Friedrich Noellner: Actenmäßige Darlegung des wegen Hochverraths eingeleiteten gerichtlichen Verfahrens gegen Pfarrer D. Friedrich Ludwig Weidig […], Darmstadt 1844, S. 423; zit. nach MBA II.2, S. 88.

[13] Noellner 1844, S. 425; zit. nach MBA II.2, S. 90.

[14] Défense du citoyen Blanqui. In: Procès des quinze. Publié par la société des amis du peuple. Paris 1832, S. 78. Reprint in: La société des amis du peuple 1830–1832. Paris; zit. nach MBA II.2, S. 405.

[15] Aussage Gustav Clemm; STA Marburg, 266;vgl. Georg Büchner. Leben, Werk, Zeit. Katalog zur Ausstellung zum 150. Jahrestag des „Hessischen Landboten“. Bearb. v. Thomas Michael Mayer. Marburg 3. Aufl., 1987, S. 158; hier zitiert nach MBA II.2, S. 248.

[16] Aussage von Alexis Muston; zit. nach Heinz Fischer: Georg Büchner und Alexis Muston. Untersuchungen zu einem Büchner-Fund, München 1987, § 249.

[17] Zit. nach MBA II.1, S. 11 f.

[18] Zit. nach MBA II.1, S. 13.

[19] Aussage Clemm; Inst. für Stadtgeschichte Frankfurt a. M., Criminalia, Nr. 11867; zit. nach MBA II.2, S. 128.

[20] Aussage Becker; STA Marburg 16, Nr. 7352, fol. 178-183; zit. nach MBA II.2, S. 115.

[21] STA Marburg, 266 Marburg, Nr. 29, fol. 63 f; vgl. Hermann Bräuning-Oktavio: Georg Büchner. Gedanken über Leben, Werk und Tod. Bonn 1976, S. 13; zit. nach MBA II.2, S. 137.

[22] STA Marburg, 266 Marburg, Nr. 35; zit. nach MBA II.2, S. 248.

[23] Aussage August Becker; Inst. für Stadtgeschichte Frankfurt a. M., Criminalia, Nr. 11778; zit. nach MBA II.2, S. 95.

[24] Friedrich Ludwig Weidig: Leuchter und Beleuchter für Hessen oder der Hessen Nothwehr. Blatt 1 bis 5. Jan.–Okt. 1834.

[25] Protokolle der Deutschen Bundesversammlung vom Jahre 1842, 23. Sitzung, 25. Aug. 1842, Beilage 6 zu § 254, Frankfurt a. M. S. 8.

[26] Zit. nach Louis Blanc: Geschichte der zehn Jahre 1830 bis 1840. Vierter Theil, Zürich, Winterthur 1844, S. 73-76.

[27] „vous êtes tous égaux devant la loi. Canaille, que te faut-il de plus?“ Zit. nach Philippe Buonarroti: Conspiration pour l’égalité dite de Babeuf, Bruxelles 1828, Bd. II, S. 131.

[28] Zit. nach MBA II.1, S. 25.

Anmerkung der Redaktion: Der Verfasser leitet die  Forschungsstelle Georg Büchner an der Philipps-Universität Marburg. 2013 erschien im Rahmen der von ihm herausgegebenen Historisch-kritischen Ausgabe der Sämtlichen Werke und Schriften Georg Büchners seine Edition des „Hessischen Landboten“.