Stupiditas vincit ubique

Franz Wuketits legt die Wurzeln des „Animal irrationale“ frei

Von Patrick WichmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Patrick Wichmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schon ein kurzer Gang vor die Tür, bisweilen gar ein Blick aus dem Fenster bestätigt es: Die Menschen handeln unvernünftig. So mag der Mensch zwar durchaus Aristoteles’ zoon logikon sein, doch gilt dieser Befund keineswegs unumschränkt. Die reine Befähigung zu vernünftigem Handeln bedeutet noch keineswegs die beliebige Abrufbarkeit desselben oder gar ein selbstverständliches, ubiquitäres Vorhandensein. Von kleinen Nachlässigkeiten im Alltag über drastisch fehlkalkulierte Großprojekte bis hin zu verderblichen Kriegen mit millionenfachen Todesopfern – die menschliche Unvernunft scheint keine Grenzen zu kennen. Die naturgeschichtliche Herkunft dieses Umstandes hat Franz Wuketits zum Thema seines kleinen Essays „Animal irrationale“ gemacht.

„Unser Denken und Handeln ist […] von so viel Irrationalität geprägt, dass bereits die Notbremse gezogen werden muss“, gibt Wuketits gleich zu Beginn die Richtung seiner Betrachtung vor. „Kraft unseres Gehirns haben wir uns eine Welt geschaffen, die längst aus den Fugen zu geraten droht und die dasselbe Gehirn nicht mehr zu bewältigen vermag.“ Doch warum ist das so? Warum haben wir in unserer Zivilisation Strukturen derartiger Komplexität konstruiert, dass wir selbst nicht mehr in der Lage sind, diese auch zu überschauen und zu beherrschen? Zur Beantwortung dieser Frage geht Wuketits weit in die Geschichte, bis in die Steinzeit zurück. Das menschliche Gehirn sei unter steinzeitlichen Bedingungen als ein zufälliges Produkt der Evolution entstanden. Die spezifische Konstellation der Konzentration menschlicher Wahrnehmung auf einen Mesokosmos, auf eine „Welt der mittleren Dimensionen“, habe sich als besonders überlebensfähig erwiesen und damit langfristig durchgesetzt. In dieser Perzeptionsform liege die Wurzel der menschlichen Unvernunft begründet.

Die dem Menschen innewohnenden Bedingungen hätten sich folglich im Laufe der Jahrtausende nicht verändert – was sich jedoch gewandelt habe, seien die äußeren Umstände unserer Existenz. Während das Reflektionsbedürfnis und der Wirkradius des Steinzeitmenschen notwendig begrenzt gewesen seien, habe sich diese Situation grundlegend geändert. Dank steigendem Wohlstand habe der Mensch die Zeit gefunden, über seine Existenz nachzudenken, dank globaler Vernetzung hätten Entscheidungen Einzelner weltweite Auswirkungen auf Millionen von Menschen. Das Gehirn sei in seiner Anlage das gleiche, der Blickwinkel jedoch ein anderer. „Steinzeitgehirne an den Hebeln der Macht.“

Wuketits gelangt mittels dieser Argumentation zu einem klaren Statement: Das unvernünftige Handeln des Menschen ist unvermeidlich. Was sich jedoch ändern lässt, sind die Umstände seines Handelns. Entsprechend plädiert er stattdessen für eine Veränderung der äußeren Bedingungen. Die Welt der Wirtschaft etwa habe längst eine eigene Realität hervorgebracht, in der sie als „moderner Mythos“ herrsche, obwohl der genuine Sinn des Geldes in der Inanspruchnahme von Waren und Dienstleistungen als Ausgleich für die abgelöste Subsistenzwirtschaft liege – und eben nicht in der „Wahnidee einer wundersamen Geldvermehrung“. Wuketits fordert hier Veränderung. So müsse die Wirtschaft wieder in einen kleineren Rahmen eingepasst werden, in dem nicht nur die Konsequenzen der Handlungen besser abzusehen seien, sondern auch eine Fehlkalkulation erst gar keinen globalen Kollaps hervorrufen könne.

Das Plädoyer des Essays ist damit selbst als Gebot der Vernunft angelegt: Der Mensch müsse die möglichen Auswirkungen seines Handelns von vornherein einschränken, um das Risiko im Falle eines Fehlers zu begrenzen. Nur schließt sich an dieser Stelle naturgemäß die Frage nach dem „wie“ an. Das Rad der Geschichte lässt sich nicht zurückdrehen. Und ganz gleich, wie man zur globalen Vernetzung stehen mag: Ihre positiven Seiten sind ebenso wenig zu übersehen wie die negativen. Daher ließe sich eine Einschränkung eventueller negativer Folgen nur durch die Reduzierung auch der positiven Aspekte erkaufen. Und das auch wohl nur in der Theorie, sind es doch grade die Profiteure des Systems, die der Zukunft den Kurs vorgeben.

Wuketits Buch sollte daher nicht als gesellschaftsverändernder Appell gelesen werden, sondern als Aufklärungswerk über die (Patho-)Genese des Gesellschaftszustandes. Wuketits deckt eine Kreatur der tiefen Paradoxien auf, „dessen Seele zwar noch im Dschungel lebt, dessen kognitive Fähigkeiten ihm aber erlauben, auf den Mond zu fliegen und die Tiefen des Weltalls zu erforschen“. Daher konstatiert er: „Die gesamte politische Geschichte der Menschheit bis in unsere Tage muss uns als eine ununterbrochene Kette von Wahnsinnstaten erscheinen.“ Der Gedanke, dass Unvernunft und daraus resultierendes Fehlverhalten schlichtweg Ausdruck unserer Mangelhaftigkeit und Imperfektion sind, hat aber doch durchaus etwas Beruhigendes – hinsichtlich dem eigenen Fehlen ebenso wie auch mit Blick auf die Irrtümer Anderer. Nun mag dies keine Entschuldigung sein, besänftigt aber dennoch.

Vor allem in evolutionsgeschichtlicher Hinsicht ist Wuketits Essay somit aufschlussreich. Wer hätte da noch nicht die Schwächen der eigenen Wahrnehmung registriert? Ihre Herkunft und Daseinsberechtigung stellt der österreichische Biologe anschaulich dar und liefert zugleich Beispiele, wie sich diese ‚Mängel‘ auf unseren Alltag auswirken. ‚Massenverdummung‘ durch den Boulevard, auf die nächste Wahl schielende Politiker, die Gier der Wirtschaft, religiöser Fundamentalismus, die hemmungslose Ausbeutung der natürlichen Ressourcen – das sind die Erscheinungen der Unvernunft von heute. Das menschliche Denken ist und bleibt folglich notwendig beschränkt. Stupiditas vincit ubique. Die Dummheit siegt überall.

Titelbild

Franz M. Wuketits: Animal irrationale. Eine kurze (Natur-)Geschichte der Unvernunft.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013.
140 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783518260494

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