Bandenkriege

Mark Peterson nimmt in „Flesh&Blood“ den Faden der Bandenromane aus Großbritannien auf

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im englischen Krimi entwickelt sich anscheinend ein kleiner Schwerpunkt, der an amerikanische Linien erinnert: Sie handelt von kriminellen Banden, die ganze Städte in ihren Griff halten und in denen neben den üblichen Auseinandersetzungen mit der Polizei (die man allerdings durch gezielte Investitionen mildern kann) noch die Konkurrenzen zwischen den verschiedenen Banden und die Probleme des Generationenwechsel zu bewältigen sind. Die alten Könige treten ab, die neuen wollen ihr Reich, und nicht alle sind erfolgreich damit, ihr Erbe wie gewünscht weiterzugeben, zumal die kriminelle Energie, die die Alten für ihre einschlägige Karriere befähigt hat, sie weder zu guten Vätern macht noch sie als ideale Besetzung für nachhaltige Konzepte macht. Alternativ wird das ganze Geschehen in Gang gebracht, indem ein Neuer die Stadt betritt, der von all den internen Abmachungen und stillschweigenden Regeln nichts weiß und deshalb selbstverständlich und spontan das Falsche macht. Das Resultat? Ein Haufen Toter und alles auf Anfang gestellt.

Mark Peterson wählt einen Ansatz, der zwei der drei Antriebsmotoren in diesem Muster verwendet, die Konkurrenz zwischen zwei Banden und der Neue, für den die alten Regeln nicht gelten. Zwar gibt es auch einen Thronfolger, der aber ist so schwach, dass er als Komponente kaum ausgearbeitet wird.

Bei einer Undercover-Aktion wird ein Polizist erschossen, offensichtlich ist er verraten worden. Dass es einen Maulwurf gibt, ist erst gar nicht klar. Zumal die politische Führung der Polizei einen der alten Ermittler, der die Aktion geleitet hat, eh auf dem Kieker hat.

Dessen Position ist von Anfang an nicht besonders stark – zu sehr ist die Zeit an ihm vorüber gegangen, er ist zu wenig kooperativ und teamfähig, er glaubt an einen polizeilichen Ehrenkodex und daran, dass gute Ermittlungsarbeit eine Sache von Leuten ist, die sich nicht scheuen im Dreck zu wühlen. Beckett ist für so jemanden ein schöner Namen – der Namensgeber hätte sich wohl nicht geschämt.

Da kommt ihm der junge Günstling seines Chief Superintendent namens Minter gerade recht: Der Mann kommt direkt vom Schreibtisch, hat jahrelang die Zahlen für den Chief zusammengestellt, die mit der Erfahrungswelt der Ermittler nichts zu tun zu haben scheinen.

Und dennoch, die beiden finden sich im Laufe des Romans zu einem vielleicht widersprüchlichen, aber dennoch höchst effektiven Team zusammen. Der eine begreift, dass er sich auf jemanden verlassen muss, der Dinge weiß, von denen er keine Ahnung hat. Und der andere muss sich von seinem Schirmherr verabschieden, hat der ihm doch deutlich zu verstehen gegeben, wie stark er von dessen Gnade abhängig ist. (Aufpassen, lasst es Eure Leute nicht zu sehr spüren.)

Das Ganze nimmt Fahrt auf, nachdem nicht nur der Polizistenmörder, sondern auch der Quartiermeister des lokalen Bandenchefs Compton auf brutale Weise umkommt. Offensichtlich kommt Compton langsam dahinter, wer die Tipps an die Polizei gibt. Und wie wir wissen, Drogenboss auch von Brighton wird man nicht auf die sanfte Tour.

Dass Peterson dabei seiner Fantasie ein bisschen die Zügel gibt, mag man ihm nachsehen, spricht doch der Überbietungstrend im Genre für solche Extreme. Allerdings waren bislang eher die schwedischen Krimis für solche Extremformen bekannt. Aber im internationalen Krimi schwappen solche Trends schnell über und üben Druck auf den Wettbewerb aus. Inszenatorisch jedoch sind solche Exzesse auch in diesem Krimi nicht dringend geboten.

Weitere Akteure, die der Handlung die nötige Dynamik geben, sind ein „Rita“ genannter Hintermann der Drogenszene in Brighton und der Gegenspieler von Compton namens Dempsey, der dessen Revier übernehmen will.  Dabei kommt es dann schnell zu verschiedenen Eskalationsstufen, in denen die Akteure die Gewaltspirale immer weiterdrehen.

Dempsey überfällt schließlich Comptons Anwesen, Minter gerät in den Schusswechsel, es bleiben ein paar Tote zurück, es kommt zum Showdown zwischen Compton, dem Maulwurf und Minter. Am Ende siegt die Gerechtigkeit (mit einer kleinen Rechtsbeugung in Sachen Eigenrache). Der Krimi ist aus und alle Polizisten haben sich wieder lieb („Du hättest das auch für mich getan.“ War da was?)

Von dem etwas üppigen Einsatz von kriminellen Zutaten einmal abgesehen ist Petersons Krimi ein ganz schöner Reißer. Er treibt gut vorwärts, so dass er sich auch für schlaflose Nächte eignet, die nicht enden wollen. Aber selbstverständlich kann er das alles noch besser. Warten wir also den nächsten Krimi ab.

Titelbild

Mark Peterson (Hg.): Flesh & Blood. Thriller.
Übersetzt aus dem Englischen von Karen Witthuhn.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2013.
375 Seiten, 9,99 EUR.
ISBN-13: 9783499259081

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