Die Freiheit zu widerstehen

Eine anregende Textsammlung stellt Ludwig Mehlhorn (1950-2011) als einen demokratischen Oppositonellen dar, der sich aktiv an der Überwindung totalitärer Strukturen beteiligte

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Es war, weiß Gott, nicht immer so, daß Polen und Deutsche dieselben Träume hatten und sie auch noch gemeinsam verwirklichen konnten“ – in seiner ergreifenden Trauerrede zum Abschied von Ludwig Melhorn (1950-2011) würdigte der polnische Botschafter Dr. Marek Prawda die Verdienste Melhorns um die deutsch-polnische Verständigung.

Der bekennende Protestant Ludwig Mehlhorn hatte sich in der DDR aktiv in Friedens- und Bürgerrechtsgruppen engagiert. Ein Aufenthalt in Polen im Rahmen der Aktion Sühnezeichen, von kirchlichen Kreisen vermittelt, hatte den jungen Studenten politisiert. Im Selbststudium hatte er sich die polnische Sprache erschlossen, die er gut beherrschte und aus der er neben literarischen Texten auch Schriften von Dissidenten wie Jacek Kuroń, Adam Michnik oder Jan Józef Lipski übersetzte, um sie im Samizdat, im Selbstverlag, in der DDR zu verbreiten.

Mehlhorn war ein Unangepasster, den die Lebensfreude wie auch der gesunde Menschenverstand der slawischen Nachbarn faszinierten. Er teilte mit ihnen die Sehnsucht nach Freiheit von obrigkeitlicher Bevormundung, nach Demokratie und Würde. Kein Wunder, dass er bald in das Visier der Staatssicherheit geraten war, die ihn bespitzeln ließ und mit Schikanen wie Berufsverbot oder Wohnungsdurchsuchungen einzuschüchtern versuchten. In den 1980er Jahren war es Mehlhorn dann nicht mehr gestattet, das befreundete sozialistische Nachbarland Polen zu besuchen.

Mehlhorns guter Freund aus den Jahren der Bürgerrechtsbewegung Stephan Bickhardt hat diesen höchst anregenden Porträtband zusammengestellt. In einer ausführlichen Hinführung berichtet er über biografische Stationen Mehlhorns. Die ausgesuchten Texte von Ludwig Mehlhorn sind in fünf Kategorien aufgeteilt: „Eassayistik aus dem Untergrund“, „Initiativen für Demokratie Jetzt“, „Aufbruch in Mitteleuropa“, „Krise der ostdeutschen Gesellschaft und der Rechtsextremismus“ sowie „Der Übersetzer Ludwig Mehlhorn“.

Fotos und Dokumente, aber auch sieben Beiträge von Freunden und Weggefährten ergänzen die Darstellung eines bescheidenen, engagierten und sympathischen Intellektuellen, der sich nicht nur in der DDR und den Monaten des politischen Umbruchs, sondern auch im gesellschaftlichen Leben der vereinigten Bundesrepublik beherzt und bedächtig zugleich eingemischt hat.

Die Zivilcourage und der Mut, sich nicht zu unterwerfen hatten ihn zeitlebens inspiriert. Er fand diese Haltung im Widerstand gegen den Nationalsozialismus ebenso wie in der Dissidentenbewegung gegen die kommunistischen Diktaturen. Im niederschlesischen Kreisau/Kryżowa bündelten sich für ihn diese Überlegungen.

Auf dem Kreisauer Gut der Familie von Moltke hatten sich während des Zweiten Weltkrieges Widerständler des „Kreisauer Kreises“ getroffen und Melhorn hatte sich mit Nachdruck dafür eingesetzt, dass in den 1990er-Jahren aus diesem Gut ein Begegnungszentrum werden konnte. Neben dem geschichtlichen Gedächtnis war es ihm um ganz konkrete Begegnungsmöglichkeiten gerade auch für Jugendliche gegangen.

Ein abgebildetes Foto wirkt hier wie ein Vermächtnis: auf der Kreisauer Schlosstreppe sitzen sie einträchtig beisammen – Ludwig Mehlhorn und ehemalige Bürgerrechtler wie Renate Elmenreich oder Sergej Kowaljew aus Russland und neben der Witwe des hingerichteten Widerständlers Freya von Moltke hat der polnische Dissident Jacek Kuroń Platz genommen.

Die vorliegende Sammlung ist als 13. Band in der „Schriftenreihe des Sächsischen Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen“ erschienen, die seit einigen Jahren mit beachtenswerten Veröffentlichungen über Unterdrückungsmethoden in der DDR aber auch über widerständische Initiativen hervorgetreten ist.

Es zeigt sich, dass eine einfache Ost-West-Teilung in der politischen Aufarbeitung nicht haltbar ist. Der kritische Umgang mit der ehemaligen Diktatur wird im Osten allzumal von jenen geführt, die sich bereits zu Lebzeiten des „real existierenden Sozialismus“ gegen den Strom der Mitläufer gestellt und bewusst Nachteile in Kauf genommen hatten, während Ahnungslosigkeit im Westen bei jenen vorherrschte, die sich auch vor dem Mauerfall nicht für die Probleme im „realen Sozialismus“ interessiert hatten.

Die Stimme des viel zu früh verstorbenen Ludwig Mehlhorns fehlt in den heutigen Debatten, die darüber spekulieren, ob die DDR als ein „Unrechtsstaat“ bezeichnet werden darf. Mehlhorns hinterlassene Schriften sind hochaktuelle Dokumente gegen das Vergessen und belegen, dass es ein Leben in Wahrheit geben kann.

Titelbild

Stephan Bickhardt (Hg.): In der Wahrheit leben. Texte von und über Ludwig Mehlhorn.
Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2012.
298 Seiten, 13,80 EUR.
ISBN-13: 9783374030118

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