Einer der vormaligen Großen der deutschen Literatur

Walter Mehring hat Aufmerksamkeit verdient, Georg-Michael Schulz hat sie ihm gegeben

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Rede von den vergessenen und von der Geschichte überwältigten Autoren der Weimarer Republik sind wohl die meisten Leser überdrüssig. Soll heißen, ein Betrieb und seine Leute – das heißt eben auch Leserinnen und Leser – müssen auch mal etwas vergessen dürfen, wenn sie nicht einmal mit dem fertig werden können, was jede Saison neu auf den Markt drängt. Bei etwa 80.000 Büchern jedes Jahr und angesichts der Dauerpräsenz digitaler Medien ist jede Aufnahmekapazität weit überfordert. Wenn man dann auch noch die gesamte Literaturgeschichte im Blick haben soll – was solls. Man kann nicht jedes Buch lesen – jeder Leser müht sich halt redlich, wenn er ernst genommen werden will.

Also auf ein Neues: Walter Mehring gehört zu den Vergessenen der deutschsprachigen Literatur des frühen 20. Jahrhunderts. Im Literaturbetrieb der Weimarer Republik war der 1896 geborene Mehring ein echter Star, einer der Großmeister des literarischen Kabaretts, dessen Songs von den Größen des Brettls vorgetragen wurden. Er war einer der prominentesten literarischen Kritiker des aufkommenden Nationalsozialismus. Um 1930 war er auf der Höhe seiner Karriere und doch geriet auch er in den Fokus der linken Kritik.

Am bekanntesten ist bis heute Walter Benjamins Generalverriss der linksliberalen Unterhaltungskünstler, zu denen Benjamin neben Erich Kästner oder Kurt Tucholsky auch Walter Mehring zählte. „Linke Melancholie“ warf er ihnen vor. Sie hätten die eh schon – man könnte meinen: erbärmlichen – revolutionären Reflexe des Bürgertums in Unterhaltung übersetzt, statt daran mitzuarbeiten, sich in den Besitz der künstlerischen Produktionsmittel zu versetzen, wie es die wirklich revolutionären Autoren wie Brecht anvisiert hätten.

Dass Mehring wie Kästner oder Tucholsky gleichfalls im Fokus der Nationalsozialisten stand, hat Benjamin nicht gestört – wobei hier nicht aufgewogen werden kann, arbeitete sich der radikale Kritiker Benjamin doch an einem Thema ab, das da Literatur der Zukunft heißt.

In den Niederungen der politischen Kultur und des Niedergangs der Weimarer Demokratie spielte das aber bald keine Rolle mehr: Mehring ging 1933 ins Exil, weil er jüdischer Herkunft und einer der prominentesten und scharfzüngigsten Kritiker der Nazis war. Er entkam den Nazis mehrmals nur knapp, bis hin zu seiner Flucht aus Frankreich in die USA, die ihm gleichfalls nur mit größter Not gelang.

Das Exil war für Mehring der entscheidende Bruch – aus dem erfolgreichen Autor einer intelligenten und kritischen Unterhaltungsliteratur wurde ein Autor, der um sein wirtschaftliches und intellektuelles Überleben kämpfen musste. Daran scheiterte er zwar nicht, aber nach seiner Rückkehr aus dem US-amerikanischen Exil erreichte er nie wieder jene Popularität der späten 1920er- und frühen 1930er-Jahre.

Zwar ist es nicht korrekt zu behaupten, die Bundesrepublik habe den ehemaligen Starautor ignoriert. Mehring konnte immer noch an prominenter Stelle publizieren. Aber sein publizistisches Schicksal gleicht dem vieler Exilanten, die nie mehr eine vergleichbare Position im Betrieb einnehmen konnten wie vor dem Exil. Literarische Vorlieben, Schreibweisen und Moden hatten sich geändert – eine neue literarische Generation machte nun die Vorgaben.

Dennoch konnte bereits 1978 eine Mehring-Gesamtausgabe erscheinen, noch bevor der nunmehr auch gefeierte Autor der Krisenjahre der Klassischen Moderne im Jahre 1981 verstarb. Mehring gehört zu den wichtigsten Autoren der Brettl-Kunst mit klarer politischer Botschaft. Aber die Moderne der Nachkriegszeit hatte andere Themen und Formen. Mehring hat sich dem verweigert, vielleicht mit Recht. Aber so wird eben auch eine Geschichte von zweien daraus, die nicht zueinander finden wollen: der bundesdeutsche Literaturbetrieb und die Exilanten, die zurückkehrten, und das nicht nur weil die Nachwehen der NS-Zeit so lange währten. Kaschierter Antisemitismus, wie Georg-Michael Schulz meint? Wohl kaum.

Denn nicht einmal die in den frühen 1960er-Jahren einsetzende Neo-Moderne hat Mehring wieder nach oben gespült. Erst das auch literaturwissenschaftliche Interesse für das frühe 20. Jahrhundert führte zu einem, wenn auch kleineren Revival Mehrings, das gleichfalls verpuffte.

Georg-Michael Schulz hat nun eine knappe und instruktive Werkbiografie Walter Mehrings geschrieben, die so etwas wie eine literaturwissenschaftliche Wiedergutmachung sein könnte. Denn die Forschung zu Mehring ist im neuen Jahrtausend nahezu eingestellt worden – was eben auch das Literaturverzeichnis Schulz’ zeigt. Knapp ein Viertel der Angaben stammt aus den Jahren seit 2000. Darunter keine ernsthafte Monografie zu Mehring, eher viel Verstreutes zu einzelnen Aspekten der Werkbiografie.

Aber auch Schulz’ Sichtung wird kaum zu einem neuen Mehring-Boom in der Literaturwissenschaft oder bei den Lesern führen. Dennoch, die Monografie schließt eine Lücke, die empfindlich klaffte. Endlich einmal wieder jemand, der sich intensiv mit Mehring und Seinesgleichen beschäftigt. Der Band rundet das Wissen um diesen Autor und seine wichtigste Zeit weiter ab, und das ist das Beste, was man von ihm sagen kann.

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Georg-Michael Schulz: Walter Mehring.
Wehrhahn Verlag, Hannover 2013.
230 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783865253255

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