Neue Männer

Walter Mosley inszeniert seinen Leonid McGill als modernen Mann. „Manhattan Fever“ zeigt die Widersprüche seines Versuchs allzu deutlich

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der hard-boiled-Krimi treibt nicht zuletzt die Inszenierung einer modernen Männerrolle weiter voran, die auf der einen Seite auf die traditionellen Bestände dessen, was ein Mann sein soll, nicht verzichten will, auf der anderen Seite jedoch ihn als den aufgeklärten und emanzipierten Mann zu zeichnen versucht, der souverän mit den neuen Missverhältnissen umzugehen versteht.

Das rekurriert nicht zuletzt darauf, dass der moderne Mann seine angestammte Funktion als Repräsentant der familiären Kleingruppe nicht mehr wahrnehmen kann. Er kann weder das Einkommen der Familie sicherstellen, noch ist er unangefochtener Vertreter der Familien nach außen hin. Weder politisch noch sozial fungiert er noch als Bindeglied zwischen diesen Bereichen des Sozialen. Die Ansprüche von Frauen auf dieselben Zugänge nach politischen und sozialen Chancen kann er ebensowenig abwehren, wie er es verhindern kann, dass die Familie als Sonderraum den Zumutungen der Moderne ausgeliefert wird. Er kann mithin nicht verhindern, dass aus dem Idealraum der Familie, die im bürgerlichen Denken für Empathie und Intimität steht, ein fragmentarisiertes und den Ansprüchen der Subjekte wie des Systems ausgeliefertes Gebilde wird.

Der harte Mann des modernen Lebens steht mithin vor den Trümmern eines Sozialgebildes, das er mit umso größerer Vehemenz zu verteidigen versucht. Dabei muss er sich jedoch eingestehen, dass nichts mehr von dem übrig geblieben ist, was er sich – möglicherweise – je von diesem Raum erwartet hat. Selbst die Idee der selbstgewählten und frei zusammengestellten Patchworkfamilie ist dabei nur ein Zwischenschritt.

Mosley geht hier noch deutlich weiter: Er ist mit einer Frau verheiratet, die ihn nicht liebt und die seit Jahren mit anderen Männern schläft, von den drei Kindern, für die er der Vater ist, stammt nur eins von ihm, er selbst liebt andere Frauen und schläft mit ihnen nach Gelegenheit.

Diese Familie ist ein Fiasko, was der – teilweise extremen oder negativen – Empathie keinen Abbruch tut. Bei allem Streit und aller Aggression, die sich hier immer wieder Bahn zu brechen versuchen, ist die Zuordnung der Einzelnen zu diesem Sozialraum zweifelsfrei vorhanden – und es ist vor allem Mosleys extremer Held, Leonid McGill, der sich dabei hervortut: Er versucht den familiären Raum mit aller Macht, die ihm zur Verfügung steht, abzusichern und zu schützen.

Dazu nutzt er vor allem seine Intelligenz, seine Erfahrung, seine Kontakte, seine Gewaltbereitschaft und seine Kompetenz als männlicher Aggressor. Leonid McGill ist trotz seines Alters ein effektiver und kontrollierter Kämpfer, der im Boxtraining gelernt hat, wie man einen Gegner zur Strecke bringt. Was er auch in den Geschichten, die Mosley um ihn herum baut, anzuwenden weiß.

Und genau darin besteht der (wohl gewollte) Anachronismus des Helden Walter Mosleys: Mosley inszeniert eine Welt, in der solche Kompetenzen nötig sind, um die Kernzelle des Intimen und des Gefühlslebens intakt zu halten, so zufällig und widersinnig sie auch erscheinen mag.

Dafür muss er naheliegend Strukturen konstruieren, die auf Gewalt und Habgier aufbauen. Das sogenannte zivile Leben ist hierbei bestenfalls eine Kulisse, hinter die zu schauen Leonid McGill die perfekte Figur ist.

Und das aus zwei Gründen: Zum einen ist er der Sohn eines ehemaligen militanten Revolutionärs, dem der Ausbeutungscharakter des Kapitalismus von Kindesbeinen an nahegelegt wurde. Zum anderen agierte er jahrelang selbst im kriminellen Milieu, und zwar als Spezialist dafür, Unschuldigen die Taten seiner Auftraggeber in die Schuhe zu schieben, Beweise zu fälschen und sie unübersehbar zu platzieren. Ein Horror für alle Crime-Scene-Freunde.

Für dieses alte kriminelle Leben tut McGill nun Buße, indem er seine alten Opfer zu rehabilitieren versucht. Damit aber tritt er Mal für Mal eine Kettenreaktion los, die seine – vermeintlich – guten Absichten ins Gegenteil verkehren. Aus der Wiedergutmachung entstehen neue Verbrechen, in diesem Fall ist es eine Reihe von Morden an Männern, die in irgendeiner Weise etwas mit dem Fall zu tun hatten, den er sich dieses Mal vornimmt.

Mit diesem Fall wird jedoch noch ein weiteres erkennbar, das untrennbar mit der Kunstfigur McGill verbunden ist: Alles das, was er tut, wendet sich konsequent nicht nur gegen ihn, sondern auch gegen seine Familie. Indem er eine Vergangenheit zu bewältigen versucht und Wiedergutmachung betreibt, gefährdet er das, was er am meisten zu schützen versucht, die Frau, die ihn nicht liebt, und die Kinder, die nicht von ihm sind. Ein unlösbares Dilemma, wie es scheint.

Titelbild

Walter Mosley: Manhattan Fever. Ein Leonid-McGill-Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Kristian Lutze.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013.
371 Seiten, 9,99 EUR.
ISBN-13: 9783518464465

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