Sind es fremde Zungen oder ist es doch Deutsch?

„Von Algebra bis Zucker“ – Andreas Ungers etymologisches Wörterbuch arabischstämmiger Begriffe im Deutschen

Von Claudia SchumacherRSS-Newsfeed neuer Artikel von Claudia Schumacher

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Wörterbuch „Von Algebra bis Zucker“ ist im Reclam Verlag als Taschenbuch erschienen. Das Cover zeigt das Foto eines arabischen Segensspruches, welcher sich auf der Borte des Krönungsmantels König Rogers II. von Sizilien befindet.

Wörterbuchtypisch ist die Ordnung der verzeichneten Lemmata in alphabetischer Reihenfolge. Die Länge der Einträge variiert zwischen etwas mehr als einer Seite, beispielsweise bei Matt, und etwa sieben Seiten bei Ghasel. Auch wenn die längeren Beschreibungen teilweise sehr informationsreich sind, wirken sie nicht überfrachtet, weil der Leser durch eine gelungene Mischung von Allgemein- und Spezialwissen angemessen gefordert wird. Der Großteil der Lemma-Beschreibungen umfasst etwa drei Seiten.

Ein Vorwort erklärt Sinn und Zweck des Buches und führt die Auswahlkriterien der Lemmata ein. Der Auswahl der Lemmata liegen zwei unterschiedliche Bedingungen zugrunde, die mit Umschreibungen wie „einigermaßen zweifelsfrei aus dem Arabischen stammen(d)“ und „im heutigen Deutschen bekannt und verankert“ gefasst werden sollen.

Im Vorwort finden sich nicht nur Erläuterungen zu den Bedingungen der Lemma-Auswahl, sondern auch ein kurzer Abriss über die Verquickungen zwischen Europa und der arabischen Welt von der Antike bis ins 20. Jahrhundert. So kann man – verfolgt man die Wort- und Kulturgeschichte eines Begriffs von seinem ersten Auftreten an – den Weg von Kulturgütern zwischen den verschiedenen Völkern nachvollziehen.

Die arabische Sprache ist diejenige unter den Sprachen der Besetzer und Eroberer des Kontinents, aus der die meisten Wörter Einzug in westeuropäische Sprachen gefunden haben. Unger postuliert, dass dies kein Zufall ist: Die meisten dieser Wörter seien im Mittelalter übernommen worden, in welchem die Muslime eine Kultur entwickelt hatten, die der Kultur der Westeuropäer in vielen Bereichen überlegen war und von der deshalb eine gewisse Faszination ausgegangen sei.

Der Prozess der Herausbildung dieser Kultur wird in groben Zügen nachgezeichnet. Ebenso wird aufgezeigt, dass auch das Arabische von anderen Sprachen beeinflusst wurde und Wörter in die eigene Sprache integrierte, die ursprünglich nicht arabisch waren; auch ein Teil dieser Wörter ist in das Wörterbuch „Von Algebra bis Zucker“ eingegangen.

Da die Europäer die arabischen Kulturgüter selbstständig weiterentwickelten, stärkten sie ihre eigene Position im Verlauf des Mittelalters, während etwa zur gleichen Zeit die Forschung und Entwicklung innovativer Neuerungen in den arabischen Gebieten stagnierte. Der daraus resultierende Rückgang des Imports arabischer Kulturgüter brachte auch einen Rückgang an Neuentlehnungen von Begriffen mit sich.

Auch nachmittelalterliche Tendenzen zur Wortentlehnung und Wortausmerzung hat der Autor beschrieben und an historische Begebenheiten geknüpft. So werden nicht nur frühe Wortentlehnungen aufgezeigt, sondern alle entsprechenden Tendenzen, die das Arabische anbelangten, bis ins 20. Jahrhundert exemplarisch vorgestellt.

Insgesamt wird dem Leser ein Überblick über die Wortentlehnungsgeschichte geboten, der griffig erscheint, weil er an kulturgeschichtlichen Begebenheiten festgemacht wird.

Interessant ist, dass Unger immer wieder auch politische und soziologische Informationen einfließen lässt, so beispielsweise „dass Art und Umfang der Entlehnungen nicht davon abhängen, inwieweit sich Westeuropa in einem konfliktreichen oder entspannteren Verhältnis zur islamischen Welt befand.“

Der Weg der arabischen Wörter ins Deutsche wird ebenso kurz umrissen. Dies ist besonders wichtig, da Direktentlehnungen, also Entlehnungen, die direkt von einer Sprache in die nächste wandern, ob der räumlichen Trennung der beiden Herrschaftsgebiete kaum möglich waren. Entsprechend nahmen die arabischen Wörter in den meisten Fällen ihren Weg über andere Sprachen ins Deutsche.

Die einzelnen Einträge sind sehr anschaulich geschrieben und die Verwendung von fachterminologischem Vokabular hält sich in einem angemessenen Maß. Die Beschreibungen sind durchweg sehr informativ und auch für ein Laienpublikum problemlos verständlich; die aufgeführten Informationen sind angemessen und relevant. Der Leser wird mithilfe einer Mischung aus Allgemeinwissen und speziellen, weiterführenden Informationen sehr gut abgeholt. Aufgrund des weiterführenden Wissens, beispielsweise aus dem Bereich der Kulturwissenschaft oder Literaturwissenschaft, ist das Wörterbuch wirklich umfassend und interessant. So finden sich beispielsweise an einigen Stellen Bezüge zum deutschen Mittelalter durch Anspielungen auf Wolframs von Eschenbach „Parzival“.

Insgesamt wird in den Einträgen so etwas wie die Kulturgeschichte der durch das Lemma bezeichneten Sache dargestellt und auch seine Bedeutung wiedergegeben, was einerseits von hohem anschaulichen Wert ist, andererseits aber auch auf sehr angenehme Weise alle relevanten Informationen transportiert.

Das Wörterbuch verfügt über ein Register, in welchem (relativ) unbekannte und ungebräuchliche Worte verzeichnet sind, die in den Wortartikeln vorkommen. Dort sind auch Personen-, Orts-, und Völkernamen verzeichnet, die, laut Unger, üblicherweise nicht in etymologische Lexika aufgenommen werden. Ein Grund hierfür wird nicht genannt.

Jedoch wird erwähnt, dass einige recht unbekannte Lemmata aufgenommen worden sind, weil der Autor bestrebt war, „möglichst alle wichtigen Bereiche des arabisch-muslimischen Einflusses auf das westliche Europa an Beispielen von Wörtern darzustellen.“ Wobei der Autor selbst hier sein zweites Auswahlkriterium der Lemmata unbeachtet lässt, was wiederum zur fehlenden Nachvollziehbarkeit der Kriterien beiträgt. Aus dem Bereich der Philosophie und Mystik sind, aufgrund mangelnder Entlehnungen, keine Lemmata in das Wörterbuch eingegangen.

Dem Vorwort ist ein Verzeichnis der benutzten Abkürzungen nachgeschaltet, ebenso wie Transkriptionsempfehlungen der aufgeführten arabischen Laute von der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft.

In einem Anhang finden sich drei Karten des Mittelmeerraumes in unterschiedlichen Ausschnitten und aus verschiedenen Jahrhunderten, exemplarische Daten zur Kulturgeschichte des Orients und Mittelmeerraumes vom 3. Jahrhundert vor Christus bis zum 17. Jahrhundert sowie Literaturhinweise, welche in zitierte und sonstige Literatur unterteilt sind. Hier kann der Rezipient an vielen Stellen Leseimpulse erhalten und das Material zur zeitgeschichtlichen Veranschaulichung in Augenschein nehmen, um mithilfe der Visualisierung und klaren Struktur sein Wissensnetz auszubauen.

Insgesamt ist das Wörterbuch „Von Algebra bis Zucker“ sehr gelungen und sowohl für interessierte Laien als auch ein Fachpublikum eine Bereicherung, indem es für die verzeichneten Lemmata ein fundiertes Nachschlagewerk darstellt.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Andreas Unger: Von Algebra bis Zucker. Arabische Wörter im Deutschen.
Reclam Verlag, Ditzingen 2013.
320 Seiten, 9,95 EUR.
ISBN-13: 9783150202814

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