Der Rock ist – nicht nur – ein Gebrauchswert

Anlässlich des 30. Todestag wurden Texte der Rockjournalistin Tine Plesch neu aufgelegt

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es war einmal – vielleicht zu einer Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat –, da waren Rockmusik und Jugendrevolte untrennbar miteinander verbunden. So schien es zumindest in jenen Jahren der Hippies und Yippies von Jefferson Airplane und der Edgar Broughton Band. Doch das ist lange her und die Jungendlichen von damals sind alt geworden, wenn sie überhaupt noch leben und nicht gestorben sind. Die Bands haben sich aufgelöst und manche der Stars erreichten das 30. Lebensjahr nicht, kamen also gar nicht erst in Gefahr, in die Jahre zu geraten, in denen man, wie man glaube des Vertrauens nicht länger würdig sei. Und wenn Anna Seghers, die selbst ein recht reifes Alter erreichte, Recht behalten sollte, dann sind sie noch heute jung: Brian Jones, Jim Morrison, Jimmy Hendrix und Janis Joplin. Die Jugendrevolte jedenfalls ist schon lange tot, erscheint aber noch immer jung.

Es ist kein Zufall, dass sich zwar aus dem Stehgreif drei jung gestorbene Rockheroen erinnern lassen, jedoch nur eine Heroine. Denn der Kanon des Rock ist männlich dominiert. Das ist schon oft beklagt worden und stets zu Recht.

Eine, die sich in ihren Texten und Sendungen immer wieder daran stieß, war Tine Plesch, die zwar ebenfalls viel zu jung verstarb, jedoch immerhin das 30. Lebensjahr um nahezu zwei weitere Dezennien überschritt, ohne dass sie das Vertrauen ihres vermutlich um einige Jahre jüngeren Radio- und Lesepublikums verloren hat, das ihr Radio- und Lesepublikum in sie gesetzt hat. Wenn auch nicht immer alle ihre Tatsachenbehauptungen zutreffen. Denn in welchem Buch oder welcher Radiosendung tun sie das schon. So ist es denn zweifellos ein verzeihlicher Irrtum, wenn Pesch meint, Vivi Bach habe einen Skandal hervorgerufen, als sie um 1970 in einer Show mit „durchsichtiger Bluse – ohne BH – zu sehen“ war. Das war vielmehr die damals 17-jährige Kandidatin Leonie Stöhr der von Bach gemeinsam mit ihrem Mann Dietmar Schönherr moderierten Show mit dem schönen Titel „Wünsch dir was“.

Einige der Texte, die Plesch um die Millenniumswende verfasste, also mithin in den letzten Jahren vor ihrem überraschenden Tod, wurden nun anlässlich ihres 30. Todestages unter dem Titel „Rebel Girl“ zu einem Sammelband zusammengestellt. Rebel Girl, das ist die Autorin selbst. Mag sie auch schon lange kein Girl mehr gewesen sein, sondern längst eine gestandene Frau, so hatte sie sich doch bis zuletzt ihren rebellischen Geist erhalten. Als dezidierte Feministin schrieb sie nicht etwa über Jones, Hendrix oder Morrison, sondern über Janis Joplin und Angela Davis, die zwar nicht für ihr Sangestalent, aber für ihre Redekunst bekannt ist – und als angebliche Terroristin einst zu den zehn meistgesuchten Personen in den USA zählte. Ihre Verbindung zur Rockmusik besteht nun nicht etwa darin, dass sie selbst ein Teil der Szene war, vielmehr forderten keine geringeren als der Ex-Beatle John Lennon und die Rolling Stones schon bald nach Davis’ Festname in ihr gewidmeten Liedern ihre Freilassung, wobei der Titel des Stones-Songs „Sweet Black Angel“ peinlich und peinigend unpassend ist. Zu dem Macho Mick Jagger aber passte er sehr wohl. Pesch charakterisiert Davies hingegen treffend als „Bürgerrechtskämpferin und Feministin“. Das Foto, auf dem Davis mit ihrem berühmten Afro-Look zu sehen ist, erlangte Ende der 1960er-Jahre einen ebenso großen Kultstatus wie das bekannte Posterbild Ché Guevaras. Pesch schrieb einige Jahrzehnte später gegen die „modische Zweitverwertung“ Davis’ an, in der die „Aktivistin“ als „Moderevolutionärin“ vermarktet worden sei. In einem weiteren Artikel beruft sie sich auf Davis’ Schrift „Blues Legacies and Black Feminism“, um das ambivalente Verhältnis von weiblichem Blues und Feminismus zu erläutern. „Die Sängerinnen zeigen sich in den Texten zwar männlichem Begehren gegenüber gehorsam, drückten aber durchaus auch eigenes Begehren aus“.

Pesch war zeitlebens nicht nur eine überzeugte Feministin, sondern auch eine Verfechterin „dissidenter Kultur“. So polemisiert sie denn auch schon mal ein wenig gegen den „Unsinn eines einheitlichen Feminismus-Begriffs, der hauptsächlich von weißen bürgerlichen Heteras geprägt worden“ sei, nur um selbst wenige Zeilen darauf Unzutreffendes über eine Feministin und ihre Theorie zu verbreiten, indem sie erklärt, „Judith Butlers Begriff von Gender, also sozialem (!) Geschlecht als Konstrukt (das heißt willkürlich und damit veränderbar)“, habe eine „schöne Spielwiese“ geboten. Das ist gleich in mehrfacher Hinsicht unzutreffend. Das Theorem des sozialen Geschlechts als Konstrukt ist wesentlich älter und lässt sich zumindest bis zu Simone de Beauvoir zurückverfolgen. Butler zufolge ist Geschlecht wiederum, und zwar auch das biologische, ein diskursives Konstrukt.

Auch wenn sich Plesch als „eingeschworene Vertreterin von Subkultur“ charakterisiert, hält sie keineswegs nur dem „Mainstream-Pop“ vor, „ein Spiegel der generell vorherrschenden Geschlechterverhältnisse“ zu sein, sondern konstatiert auch, dass es „in der Indie-Szene, bei der Linken und Alternativen oft nicht besser aussieht“.

In den letzten Beiträgen des Bandes befasst sich Plesch nicht nur mit MusikerInnen des Pop-Mainstream und der – im weitesten Sinne – Alternativszene, sondern auch mit SchriftstellerInnen. So kritisiert sie in einem Text über „Populärmusik, Geschlechterrollen und Gewalt“ nicht nur Songs der Crystals aus den frühen 1960er-Jahren wie „He Hit Me And It Felt Like A Kiss“ und „Please Hurt Me“ oder Sidos aktuelleren „Arschficksong“ und die Reaktionen diverser Herren aus der schreibenden Zunft, wie etwa einen „taz“-Artikel von Cornelius Tittel sowie von dem Intro-Autor Hannes Loh, sondern beleuchtet auch einige Krimis.

In „Die Heldin als Verrückte“ wiederum widmet sie sich drei englischsprachigen Schriftstellerinnen, die nicht nur unter FeministInnen Rang und Namen haben. Von den drei interpretierten Romanen haben es allerdings nur zwei zu Weltruhm gebracht: Silvia Plaths „The Bell Jar“ und Charlotte Perkins Gilman „The Yellow Wallpaper“. Mary Wollstonecrafts Roman „Maria, or the Wrongs Of Women“ ist hingegen zumindest hierzulande wenig bekannt. Wohl auch darum wird sein Inhalt von Pesch ausführlich referiert, dem sie sich unter Rekurs auf die Theorie von Sandra Gilbert und Susan Gubar nähert.

Vermutlich war es vor zehn, fünfzehn Jahren sinnvoll, in jedem Artikel einer nichtwissenschaftlichen Zeitschrift immer wieder und aufs Neue zu erklären, dass der Begriff Gender „eine soziale Kategorie“ ist. Liest man diese Artikel jedoch heute in dem Sammelband nacheinander, ist diese Redundanz ermüdend. Die inhaltlich Verkürzung sei dabei einmal nachgesehen.

Positiv sticht bei der Lektüre hingegen immer wieder ins Auge, dass der Begriff Feminismus unter jungen Frauen heute glücklicherweise lange nicht mehr so negativ besetzt ist wie noch vor zehn, zwölf Jahren, zu der Zeit also, als Pesch gegen seine negative Besetzung anschrieb.

Titelbild

Tine Plesch: Rebel Girl. Popkultur und Feminismus.
Ventil Verlag, Mainz a Rhein 2013.
238 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783955750022

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