Rechte Gewalt und Rechtspopulismus

Der von Andrea Röpke und Andreas Speit herausgegebene Band zur „Geschichte und Gegenwart rechter Gewalt in Deutschland“ und Phillip Bechers Büchlein „Rechtspopulismus“ liefern Basiswissen für die politische Bildung

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die zufällige Aufdeckung des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), einer über mehrere Jahre in der Bundesrepublik aktiven rechtsextremen Terrororganisation hat die Öffentlichkeit spürbar verunsichert. Wie konnte es möglich sein, dass Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe jahrelang unerkannt im Untergrund ihre Aktionen planen und durchführen konnten? Wer unterstützte sie bei ihren Aktionen? Wieso ermittelten die Sicherheitsbehörden nach einer Mordserie in den Jahren 2000 bis 2006, der in Nürnberg Enver Şimşek (2000), Abdurrahim Özüdoğru (2001) und İsmail Yaşar (2005), in Hamburg Süleyman Taşköprü (2001), in München Habil Kilic (2001) und Theodoros Boulgarides (2005), in Rostock Mehmet Turgut (2004), in Dortmund Mehmet Kubaşik (2006) und in Kassel Halit Yozgat (2006) zum Opfer fielen, so offensichtlich an der Sache vorbei, dass sie sogar die Opfer und ihre Angehörigen in Verdacht hatten? Wieso führte der Bombenanschlag in der Keupstraße in Köln 2004 trotz offensichtlich vorhandener Indizien (Videoaufnahmen) nicht auf die richtige Spur? Und wie konnte es dann im April 2007 möglich sein, dass Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach dem derzeitigen Stand der Erkenntnisse auf einem Heilbronner Parkplatz in aller Öffentlichkeit die Polizistin Michelle Kiesewetter mit einem Kopfschuss töteten? Nicht nur die Taten empör(t)en weite Teile der Öffentlichkeit. Es war auch das Versagen der Sicherheitskräfte, das Anlass zu großer Sorge um den Zustand des demokratischen Rechtsstaats und seiner Institutionen rechtfertigte. Der im August 2012 vorgelegte Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages bestätigte ein „beispielloses Behördenversagen“ – insbesondere der Verfassungsschutzbehörden der Länder wie auch des Bundes. Die juristische Aufarbeitung der Verbrechen steht noch aus.

Die Geschehnisse um den NSU stehen am vorläufigen Ende einer Geschichte rechter Gewalt in Deutschland. Folgerichtig heißt der von Andrea Röpke und Andreas Speit – beide sind ausgewiesene ExpertInnen für das Themenfeld – herausgegebene Band mit dem etwas spektakulären Titel „Blut und Ehre“ im Untertitel denn auch: „Geschichte und Gegenwart rechter Gewalt in Deutschland“. Die neun Beiträge des Bandes versammeln zunächst die nach wie vor verstörenden Erkenntnisse um den NSU. Julia Jüttner beleuchtet in ihrem Beitrag „Der nationalsozialistische Untergrund“ die Frühzeit der Entstehung des NSU in Thüringen. Andrea Röpke analysiert im Beitrag „Der Nationalsozialistische Untergrund und sein Netzwerk“ das Helfer- und Unterstützernetzwerk in der rechten Szene. Andreas Förster beschreibt das „Versagen der Sicherheitsbehörden bei der Bekämpfung des Rechtsterrorismus“. Die weiteren Beiträge ergänzen den Skandalfall NSU mit übersichtlichen Darstellungen zum „Terror von rechts“ in den Zeiträumen 1945 bis 1990, 1991 bis 1996, 1996 bis 2011 sowie in „aktuellen Entwicklungen“. Alle Beiträge sind umfassend, informativ und flüssig verfasst. Sie fassen zusammen und liefern somit einen nützlichen Überblick über die bedrohliche rechte Gewalt in Deutschland.

Die Geschichte und Gegenwart rechter Gewalt in Deutschland verweist immer wieder auch auf das politisch-gesellschaftliche Umfeld, in dem rechtes Denken entstehen und seine Wirkung entfalten kann. Die Einsicht in diesen Zusammenhang bedingt die Notwendigkeit, darüber nachzudenken, ob und inwieweit ‚rechtes Denken‘ noch ‚konservativ‘ gebunden und im demokratischen Meinungspluralismus gewissermaßen ‚zulässig‘ ist, oder bereits extremistisch ist und damit eine Gefahr für die demokratische Zivilgesellschaft darstellt. Eine Anstrengung und Herausforderung für jede Form politischer Bildung. Klarheit in Form eindeutig zu bestimmender rechtsextremistischer Positionen oder Parteien, die mittels eines geregelten Verfahrens schließlich ‚verboten‘ werden, ist der Ausnahmefall. Die ersehnte Eindeutigkeit, hier die guten Demokraten, dort die bösen Rechten, ist zunehmend weniger zu erlangen – gerade und besonders angesichts solcher politischer Erscheinungen, die unter dem Begriff „Rechtspopulismus“ zusammengefasst werden. Der Sozialwissenschaftler Phillip Becher liefert in seinem gleichnamigen Bändchen einen informativen Einstieg in das Thema. Er beschränkt sich dabei zu Recht nicht auf rechtspopulistische Erscheinungen in Deutschland, das bislang eher noch als ein „rechtspopulistisches Entwicklungsland“ angesehen werden kann, sondern bezieht europäische und amerikanische Erscheinungen mit ein. Rechtspopulismus ist ein Phänomen, dem sich inzwischen alle demokratischen Gesellschaften ausgesetzt sehen. Das scheint eine Interpretation des Rechtspopulismus zu bestätigen, die ihn als „Ausdruck einer Krise der Parteiendemokratie“ versteht. Folgerichtig trachten die Populisten danach, diese Krise eifrig herbei zu reden – und werden dabei auch von einer bequemen Politikverdrossenen unterstützt, welche meint, mit Politik sich nicht befassen zu müssen. Aber in Anlehnung an Max Frisch möchte man mahnen: Wer sich nicht mit Politik befasst, hat die politische Parteinahme, die er sich ersparen möchte, bereits vollzogen: er dient den Populisten.
Kein Wunder also, dass die Rechtspopulisten eine lebendige Zivilgesellschaft, wie sie sich etwa in intensiven und anstrengenden Diskursen, in denen Bürgerinnen und Bürger über den Bau einer Moschee streiten und – wie in Köln oder Duisburg geschehen – schließlich einen Konsens herstellen, fürchten. Also diffamieren sie dieses Engagement gerne als ein Einknicken vor ,fremden‘ Anmaßungen, gar Ausdruck einer überwältigenden ,Islamisierung‘. Weshalb man – nebenbei gesagt – gut daran tut, derartigen KrisenrednerInnen die Teilnahme an ernsthaften BürgerInnendiskursen zu erschweren. Ausschlussklausel und der bedachtsame Einsatz des Hausrechts sind hier keine schlechten Mittel der Zivilgesellschaft.
Schnell fällt dann das Mäntelchen, mit dem die Rechtspopulisten in Europa und den USA ihre Anschauungen zu verbergen trachten. Gerne geriert man sich statt dessen als „Bürgerbewegung“. Aber es ist der immer gleiche pseudowissenschaftliche Quark eines „Ethnopluralismus“, der Wahnsinn, mit dem die Tea-Party die amerikanische Politik lahmlegt, oder das Schüren diffuser Ängste vor angeblichen  Flüchtlingsströmen, die das eigene Land ,überschwemmen‘, um dort den Wohlstand zu bedrohen und die eigene Identität auszuhöhlen – es wäre dies alles leicht zu widerlegen oder, wo nötig, auch als neoliberale Interessenpolitik zu überführen. Und dennoch zeigt es Wirkung. Die Wahlerfolge der Rechtspopulisten in vielen Ländern sind ein deutliches Zeichen. Die Zivilgesellschaft ist gefordert. Bechers in sechs übersichtliche Kapitel gegliedertes Bändchen liefert ihr Grundlageninformationen.

Titelbild

Andrea Röpke / Andreas Speit (Hg.): Blut und Ehre. Geschichte und Gegenwart rechter Gewalt in Deutschland.
Ch. Links Verlag, Berlin 2013.
290 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783861537076

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Philip Becher: Rechtspopulismus.
PapyRossa Verlag, Köln 2013.
123 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-13: 9783894385118

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch