Denkblasen und Geistesblitze

PaTrick Bahners über die ganze Wahrheit von Entenhausen

Von Alexandra HildebrandtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexandra Hildebrandt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Walt-Disney-Zeichner Carl Barks siedelte in Entenhausen die Abenteuer Donald Ducks, seines Onkels Dagobert, der zu den Nachfahren des Gründers Emil Erpel zählt, und der drei Neffen Tick, Trick und Track an. Das behaupten die „Donaldisten“. Einer von ihnen ist PaTrick Bahners, der, allerdings mit dem richtigen Vornamen Patrick, von 2001 bis Ende 2011 Feuilletonchef der F.A.Z. war und 2012 als Kulturkorrespondent nach New York wechselte. Akribisch und leidenschaftlich arbeitet er in seinem Buch 25 Jahre donaldistische Forschung auf. Sie will die Stadt Entenhausen sowie ihre Gesellschaft und Umwelt verstehen und deuten.

Bahners‘ geistreiches Buch lädt ein zu einer unterhaltsamen Reise durch die Stadt an der Gumpe, die zugleich Weltmetropole und Kleinstadt ist. Vorkenntnisse sind nicht erforderlich. Es enthält sieben Kapitel von der Stadtgeschichte bis zur Globalisierung. Umrahmt und angereichert wird es mit einer Einleitung zu einer „Forschungsreise“ und einem umfangreichen Schlussteil mit „Hin- und Nachweisen“ sowie 115 Abbildungen und etlichen Gedankensplittern. Es ist aber auch eine Hommage an die Kunsthistorikerin Erika Fuchs, die ab 1951 Micky Maus ins Deutsche übersetzte und anschließend die Geschichten der Duck-Sippe. Sie intellektualisierte die Comics durch Zitate aus klassischer Literatur, finden sich doch auch in „Entenhausen“ zahlreiche Geisteswissenschaftler/innen.

Erzählt werden Geschichten der Entenhausener seit der Stadtgründung durch Emil Erpel. Nach einer in den 1980er-Jahren aufgestellten Theorie des bayrischen Donaldisten Ernst Horst ist die Stadt nach einer Atomkatastrophe entstanden: Es kam zu Mutationen, die die Menschen in enten- und hundeähnliche Wesen verwandelten. Die Theorie wird im Buch weiterentwickelt: Nach der Katastrophe besinnen sich die Überlebenden auf die tröstliche Konstanz der von Generation zu Generation weitergegebenen Dinge, Erinnerungen und Werte.

Die Gesellschaft von Entenhausen wird von Dagobert Duck und seinem Geld geprägt. Der Ort erinnert an das Florenz der Medici vor dem Großherzogtum: Dagobert Duck weist viele Ähnlichkeiten auf mit Cosimo dem Alten und Lorenzo dem Prächtigen. Auch er hat keine formellen Ämter innerhalb der Republik. „Ich bin reich geworden, weil ich zäher war als die Zähesten und schlauer als die Schlauesten.“ In einer weiteren Sentenz kennzeichet er sich selbst so: „Mir hat auch keiner gesagt, wie man Kapitalist wird.“ Dagobert Duck formulierte den Satz hinter den Steuerknüppeln eines Hubschraubers im Longhorn Valley, wo er die Big-Dollar-Ranch besitzt. PaTrick Bahners verweist darauf, dass wir ihn nicht in einer Sprechblase finden, sondern in einer Denkblase, die über eine Reihe kleinerer Blasen mit dem Kopf des Denkers verbunden ist. „Duckforscher können Gedanken lesen – das haben sie anderen Historikern oder Soziologen voraus.“

Entenhausen liegt am Meer. Da gab es bislang eine Forschungslücke, die Bahners‘ Buch nun schließt. Bislang dominierte die Vorstellung, dass Entenhausen an der Westküste der USA liegt. Bei seiner Recherche hat Bahners herausgefunden: „So klar ist das nicht. Ich habe nun Argumente gefunden, die für eine Ostküsten-Lokalisierung sprechen.“ Der Hafen in Entenhausen ist als Umschlagplatz für den Export und Import gleichermaßen von Bedeutung. „Ohne Risiko kein Reichtum“ ist eine Redensart der Stadtbewohner. Ihre Globalisierungsfreude ist immer auch mit einer Dosis krimineller Energie verbunden, mit der das Geld um die Erde läuft.

Dagobert Ducks darwinistisches Motto „Das Leben ist Kampf“ spricht den Stadtbewohnern aus der Seele. Sein Leben ist ein ständiger Kampf um Ruhm und Anerkennung. Für Hegel war dies der eigentliche Motor der Geschichte, der auch die Entenhausener im besten Wortsinn bewegt. Im Zentrum der meisten Berichte steht jedoch nicht Dagobert Duck, sondern sein Neffe Donald: Als er einmal als Schuldeneintreiber für seinen Onkel tätig war, entwendete ihm ein Schuldner seine Dienstwaffe. Ein Gedanke ging ihm seither nicht mehr aus dem Kopf: „der evolutionäre Karrierewunsch, der Wille zum Aufstieg unter die großen Tiere. So schwillt dem Lokalpatrioten die Brust vor Stolz, wenn er den Emil-Erpel-Pfad entlangschreitet: „Jedes Mal, wenn er zum Stadtgründer aufblickt, darf er den Hals etwas weiter recken.“ Im Duck-Konzern wird er zeitweise für die Übernahme von Führungsaufgaben geschult. Da ihm die Selbsterkenntnis fehlt und die Selbstüberschätzung von ihm Besitz ergreift, wird er immer dann, wenn er sich seiner Beförderung zum Geschäftsführer der 999 Kettenhotels sicher ist, in die Hotelküche versetzt, wo er die Kartoffelschalen im Abfalleimer feststampfen muss.

Bahners weist nach, dass auch die Entenhausener nicht eigentlich sesshaft sind (auch Donald Duck wechselt seine Häuser fast so schnell wie seine Berufe). Allerdings gibt es auch Minderheiten, die sich zurückziehen und ihren Lebensmittelpunkt nur minimal verlagern: „charakteristischerweise in die Besenkammer. Es soll Entenhausener geben, die es jahrelang in einer fensterlosen Wohngemeinschaft mit Putzmitteln ausgehalten haben. Selbstreinigung ist der Sinn der ritualisierten Choreographie.“ Im vornehmen Entenhausener Luisenpark wohnt der Schriftsteller Theophil, der nach dem Vorbild des Horaz sein Glück nur im Verborgenen und Stillen findet. Sein Kollege Kritzler dagegen ist bekannt für „Affektation“: „Kritzlers Habitus ist die Zwanglosigkeit des freien Verses und des offenen Hemdkragens.“

Die Berufe der Entenhausener erschließen sich schon aus ihren Namen: Es gibt den Tenor Säuselfein und den Pianisten Klimperer, den Chemiker Professor Knall, Strafrichter Gnädig, die Professoren Munkel und Kunkel, die sich ihre Meriten im Gremienwesen erworben haben, den Baulöwen Max Mörtel, den Diplom-Ingenieur Daniel Düsentrieb, MacMoneysac, der für Listigkeit und den modernen Kapitalismus steht. Der Sportsmann Lumberjack nutzt seine Sportsfreundschaften zur Anbahnung von Grundstücksgeschäften. Den Politiker Moser zieht es nicht „auf die Erdumlaufbahn des Weltpolitikers“, solange er seinen Aktenumlauf überblickt. Er überlässt Parteifreunden den Ruhm und widmet sich dem Kleingedruckten im Gesetzgebungsprozess. Professor Püstele kehrt von einer Anden-Expedition nicht zurück. Vor seinem Tod sorgt er im Sinne der Nachhaltigkeit dafür, dass dem Museum in Entenhausen seine Gesteinsproben zukommen. Die Hexe Hedwig macht für den Niedergang des Hexenglaubens ihre Kolleginnen verantwortlich: „Zu wenig Auftritte in der Öffentlichkeit! Zu wenig Werbung! Da läuft heutzutage nichts.“ Der Restaurantkritiker Jürgen Dollase steht für kulinarische Intelligenz und lehrt, dass Bildung mit Entwöhnung beginnt „Wenn ich immer das Gleiche haben will und alles andere von mir weise, ist das nicht sehr klug.“ Auch Schicksale sind mit Namen der Duck-Sippe verbunden: Einer der Brüder von Donald Duck ist Onkel Deppi, von dem er immer dann spricht, wenn er Tick, Trick und Track zur Vorsicht mahnt: Als Kind fiel der Onkel durch die Heubodenluke und erhielt nach seinem Unfall den Spitznamen. Später kam er in eine „Verwahranstalt“.

Entenhausen ist die Stadt der Wettkämpfe, die medial mit großem Brimborium begleitet werden. Sie sind eine „typische Form der Entenhausener Geselligkeit“. Der Wettbewerb macht auch vor den örtlichen Zeitungen nicht halt. Dagobert Duck besitzt zwar mehrere Zeitungsverlage, muss aber befürchten, „dass ein Chefredakteur, dem das neueste Produkt der Duckschen Kunstmühlen auf den Magen geschlagen ist, mit dem Anzetteln einer großen Mehldebatte im Feuilleton die Hausfrauen vom Kaufen abhalten wird“. Wenn es weniger zu berichten gibt, vergeben sie sich selbst Preise.

Das Gender-Thema wird im Buch nur gestreift: So ist nicht klar, ob die Schuhe, die die weiblichen Ducks tragen, mit der alltäglichen Machtdemonstration des Patriarchats zu tun haben – wie bei den eingeschnürten Füßen der Chinesinnen. In der Duckforschung avancierte die Schuhproblematik (die männlichen Ducks sind barfuß) „lange vor der Entdeckung der Gender-Kategorie in den Nachbarfächern zum Musterbeispiel einer Forschungsfrage, deren definitive Beantwortung wohl ewig auf sich warten lassen wird“.

Ansonsten ist Entenhausen eine Stadt des Fortschritts und der Nachhaltigkeit, in der Kultur- und Sozialpolitik, Schönheitspflege und Überlebensvorsorge ineinander greifen. Die ersten Stadtväter waren Versorger, die nicht aus Geltungsdrang und Gier tätig werden, sondern der „höheren Macht einer natürlichen Ordnung“ Tribut zollten. Von Dagobert Duck stammt die einfache Erkenntnis: Wer mehr ausgibt als er einnimmt, ist eines Tages pleite. Das Wachstum der Stadt basiert auf natürlichen Grundlagen. Eine ganze Gemeinschaft blüht auf. Die Goldmondbesucher aus Entenhausen wandten sich nach der Landung in Gedanken ihrer Heimat zu, die unsichtbar hinter ihrem alten Mond lag, „unsere grüne Erde“: „Zugleich sind die Halme so robust, dass verfilzte getrocknete Grasbüschel als Hosenstoff dienen. Milde Temperaturen bewirken, dass man mit einem Paar kurzer Hosen durchs Jahr oder sogar durchs Leben kommt. Es ist so warm, dass man den Oberkörper nicht bedecken muss. Und doch ist es so kühl, dass die ins Gras plumpsenden Früchte nicht verfaulen, sondern bis zur nächsten von der Natur selbst vorgenommenen Ernte vorhalten.“

Das Duckomobil ist eines der meistverkauften Modelle der Duckschen Motoren-Werke, „ein Prototyp des Ökoautos mit Blütenplakette am Platz der Kühlerfigur und Blütenkranz auf dem sanft geschwungenen Dach“. Alteisen aus der Autowerkstatt ist ein wichtiges Sammelgebiet. Was in Entenhausen nicht verkauft werden darf, kann vermietet werden. Leihgaben gibt es in Entenhausen nicht nur im Geschäftsverkehr der Museen, sondern auch für den Bürger. Der Gedanke des Teilens und Tauschens gehört zu den ältesten sozialen und wirtschaftlichen Grundprinzipien des Menschen, auch gab es Tauschringe als alternative Form der Ökonomie schon vor knapp hundert Jahren während der Weltwirtschaftskrise, doch gewinnt diese Idee im digitalen Zeitalter eine ungeahnte Kraft und ökonomische Bedeutung, denn der Warenumschlag erhöht sich deutlich durch Sharing Economy. Das wussten schon die Entenhausener, für die Wohltätigkeit erste Bürgerpflicht ist, die auch den Selbstlosen selbst belohnt: „Köstliches Gefühl, mildtätig zu sein!“ Sagt Donald Duck, nachdem er einen hungrigen Mitbürger zu sich nach Hause zum Mittagessen eingeladen hatte.

In Entenhausen zeigt sich auch das Prinzip des höheren Lebens: übender Fleiß – gemäß dem Philosophen Peter Sloterdijk: „Geboren sind wir schon, zur Welt aber kommt nur, wer sich vorwärtsarbeitet.“ Symbol dafür sind die fleißigen Ameisen, über die Donald Duck einmal zu seinem Neffen sagte, dass sie nicht erst lange fragen würden, was sie tun sollten, „sondern täten eben etwas“. Machbarkeit ist ein Schlüsselbegriff in Entenhausen, der eine Welt zum Vorschein bringt, so wie sie „ist“. Die ganze Wahrheit nur in klein.

Titelbild

Patrick Bahners: Entenhausen. Die ganze Wahrheit.
Verlag C.H.Beck, München 2013.
208 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783406448027

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