Eine Art Hiëronymus-Gehäuse

Botho Strauß sucht in „Lichter des Toren“ nach Absonderung

Von Jerker SpitsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jerker Spits

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In „Lichter des Toren“ sucht Botho Strauß nach einem autonomen Empfinden des Menschen für sich selbst. Es handelt sich um eine Suche nach „Isolation“, nach „Einsamkeit“, nach dem, was es ist, „der heitere Idiot in der Welt der Informierten“ zu sein.

Inhaltlich knüpft Strauß an seinen berühmt-berüchtigten Essay „Anschwellender Bocksgesang“ (1993) an. Dort heißt es: „Was sich stärken muß, ist das Gesonderte“. In „Lichter des Toren“ schreibt Strauß: „Das Verbundensein wiedererstarkt in der Absonderung“. In „Anschwellender Bocksgesang“ tritt Hölderlin als Dichter der „Tiefenerinnerung“ und des „Verlustes“ auf. In „Der Idiot und seine Zeit“ ist er, wie Ernst Jünger, ein Anachronist, der „in Zeitwidrigkeit gefaßt, zu überzeitlich großen Entwürfen“ gelangt.

Strauß schreibt assoziativ, apodiktisch, rätselhaft. Er erwähnt in einem Absatz Jonathan Swift, Gustave Flaubert und den polnischen Schriftsteller Witold Gombrowicz. Kurz und prägnant heißt es: „Wenn also der Globus ein Dorf, dann auch die Kirche darin lassen“. Nicht alle Gedanken in dem schmalen Band sind leicht zu fassen. Denn was meint Strauß mit „Katachrese“ und „Kenosis“?

Wie rätselhaft und obskur die Gedanken und Reflexionen in „Der Idiot und seine Zeit“ auch sind, das Programm des eigensinnigen Autors ist deutlich. Für Unzeitgemäßheit, poetische Ekstase, „Wahnsagekunst“. Gegen „‚Transparenz‘, ‚Öffentlichkeit‘, ‚Aufklärung‘“. Diskretion ist für Strauß „das zentrale Widerwort zu allem, was da läuft, sich äußert und outet“ – vor allem in der digitalen Welt.

Transparenz, Diskretion? Nein, kein Wort über Edward Snowden, Angela Merkels Handy und die Aktivitäten des amerikanischen Geheimdienstes NSA. Strauß ist eben ein zeitenthobener Dichter, und kein Schriftsteller. Er schert sich nicht um die öffentlichen Angelegenheiten. Er nimmt die Welt von „einer Art Hiëronymus-Gehäuse“ aus wahr.

Dieses Zeitenthobene macht auch, dass die Gedanken manchmal elitär und altmodisch sind. Schreiben „Netz-Autoren“ nur an einem „Unbuch“? Ist Schreiben für das Internet ein „intellektueller Götzendienst vor dem Populären“, verlangt es „stete Anpassung nach unten“? Oder ist die digitale Welt doch etwas reicher und pluriformer, als der Eremit meint?

Rätselhaft, obskur und inspiriert von großen Einzelgängern – so präsentiert sich Strauß in „Lichter des Toren“. Trotz der Verschlossenheit, die mit der Eremiten-Perspektive verbunden ist, sind die Gedanken reich und lesenswert – gerade durch ihren Widerstand gegen Auffassungen, die uns vertraut geworden sind. Strauß ist sich seiner Radikalität bewusst, und findet dafür eine ebenso leichte wie zauberhafte Wendung: „Man kann in die Einsamkeit nur gehen als in eine unerhörte Offensive“.

Titelbild

Botho Strauß: Lichter des Toren. Der Idiot und seine Zeit.
Diederichs Verlag, München 2013.
170 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783424350883

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