Mit High Heels die Welt betrachten

Über Gabriele Kögls vierten Roman „Auf Fett Sieben“

Von Helmut SturmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Helmut Sturm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In einem Gespräch mit Matthias Schubert aus dem Jahr 1995 über ihren mit dem Clemens-Brentano-Preis der Stadt Heidelberg ausgezeichneten Debutroman „Das Mensch“ meint Gabriele Kögl, es sei für sie kein Zufall, dass Texte über die Kindheit hauptsächlich von Leuten geschrieben werden, die vom Land kommen. Denn das Landleben sei reichhaltig, es rege zu einer Sprache an und man könne es schildern, während eine triste Stadtkindheit Sprachlosigkeit zur Folge habe und dazu führe, dass man gar nicht in der Lage sei zu schreiben, zu reflektieren, herauszukommen. Knapp zehn Jahre später legt die 1960 in der ländlichen Steiermark geborene und heute in Wien lebende Autorin ihren vierten, den erstaunlichen Coming-of-Age-Roman „Auf Fett Sieben“ vor. Er schildert eine „triste Stadtkindheit“ – aber von Sprachlosigkeit ist dabei keine Rede.

Die etwa 16-jährige Ich-Erzählerin verrät ihren vollen Namen Iphigenie Elektra Persephone nur nachdem ihr ein „dämliche[s] Cookie […] im Kopf […] alle Worte so schlüpfrig gemacht“ hat. Gerufen wird sie Phigie. Sie besucht ein Wiener Gymnasium. Die Eltern sind geschieden. Die Mutter, „ein Wollschwein, das sich in eine Wohnung verirrt und dort Bücher frisst statt Gras“, ist Kulturkritikerin, der Vater Ex-Unternehmensberater, jetzt „Tastenhengst“ (Computerjunkie). Sie lebt in einer Altbau-, er in einer Dachterassenwohnung, und Phigie pendelt entsprechend ihren Interessen. „Richtig steil“, dass Phigie lebt, findet das deren Meinung nach nur Heidi, die Katze in der Altbauwohnung. Phigie meint, dass ihre Alten in der totalen Virtualität leben: „Er zog sich das Leben über den Computer rein, sie über die Bücher, die einzige in der Familie, die noch Menschen brauchte, war ich.“

Während die Mutter den „Superfeuchtmängeloverkill“ der „Bakterienachselterrortante“ liest, sich die „Asphaltdecoliteratur“ des „Roadkill“ reinzieht, muss sie in der „megaranzigen“ Schule Grass, Goethe, Lessing und Frisch lesen. Das Schuljahr, in dem die Ereignisse ihren Weg nehmen, muss 2010/11 sein, das Jahr, in dem sie mit ihrer Freundin „Berta im Kino, weil die voll die Ökonomietante und gemeint hat, das erspare uns den ganzen Werther, lesemäßig“. Ihre Sprache, ja da hat Gabriele Kögl für Phigie eine Kunstsprache gebastelt, zu der sie von einem Wörterbuch der Jugendsprache inspieriert worden sei, das sie ihrer Tochter geschenkt habe. Es ist eine Sprache, deren Künstlichkeit Jugendliche vermutlich als störend empfinden und Erwachsenen einiges abverlangt. Erst einmal eingelesen bereiten die Ellipsen, Hyperbeln, Neologismen, die ironisch-plastische Ausdrucksweise Phigis ein gewissses Lesevergnügen. Phigie ist mit ihrer Stimme durchaus in der Lage, ihre Situation zu reflektieren und so die von den Erwachsenen geschaffene Tristesse zurückzulassen. Tatsächlich handelt es sich bei der Ich-Erzählerin von „Auf Fett Sieben“ um eine junge Frau, die bewaffnet mit ihren High Heels bemerkt, „wie klein die anderen“. Losheulen hätte sie nur bei einem Theaterbesuch der „Antigone“ können, als diese sagt: „Verlassen so von aller Liebe, geh ich / Lebendig in die Grabesgruft der Toten“.

Die Eltern sind egoistisch, der Vater so in sich selbst verliebt, dass er dabei zugrunde geht. Die „Erzeuger“ der Freundinnen und Freunde nur ansatzweise besser. Und allein mit all den Fragen des jungen Lebens. Sie werden in einem hohen Tempo serviert, das nur kurz etwas zurückgenommen wird, als Phigie einen Ausflug zur Oma aufs Land schildert, der jedoch keine Idylle beschreibt, sondern die Wahrheit vom Selbstmord des Großvaters ans Licht bringt. Ob Land oder Großstadt, die Jugendliche ist mit dem Versagen der Alten konfrontiert.

Das Buch mit seiner inszenierten Sprachspielerei und den vielen Anspielungen auf Literatur und Film ist kurzweilig. Die Problematiken eines Aufwachsens am Beginn des 21. Jahrhunderts laufen dabei jedoch mitunter Gefahr, bei so viel Freude am sprachlichen Experiment zu übertrieben oder zu wenig tief angesprochen zu werden. Allemal reicht es, dass man/frau zu Gedanken über die Bedingungen des Jungseins heute herausgefordert wird.

Titelbild

Gabriele Kögl: Auf Fett Sieben. Roman.
Wallstein Verlag, Göttingen 2013.
192 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783835312104

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