Mumien, Monstren, Mutationen

Brock Browers Roman „Der letzte große Schrecken“ über einen alternden Filmstar des Horrorkinos

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zugegeben, der Titel des Buches hört sich spektakulär an. Nach Katastrophe, Apokalypse und Weltuntergang. Man ist vom Hollywood-Kino verwöhnt und die fortgeschrittenen, zunehmend realistischer werdenden Animationen auf der Leinwand verstärken dies noch. Aber gibt es den „reinen“ Schrecken, das unmittelbare Erschaudern noch? Die Furcht, die einen im Nacken sitzt, wenn man auf die Leinwand starrt. Schrecken, der sich einstellt, wenn man nur einen bestimmten Schauspieler auf der Leinwand sieht? Zu dieser Art Schauspieler gehörten Kinolegenden wie Bela Lugosi, Boris Karloff, Peter Lorre und Vincent Price. Und der Protagonist von Brock Browns Roman, der gealterte B-Movie-Star Simon Moro, reiht sich in diese Aufzählung der legendären „Darsteller des Schreckens“ ein – zumindest ist dies sein eigener Anspruch. Und so, wie schon Lugosi von der Zeit überholt wurde, so geht es auch Browns Protagonisten.

Simon Moro beschwört die alten Zeiten, als ein B-Movie-Star in Horrorfilmen noch großartige Filmrollen ergattern konnte. Wo es gelang, eigene Figuren des Schreckens und Charaktere des Grauens aus dem Nichts zu erschaffen: „Von da an – und ich glaube, das ist Moros größte Leistung – wird das Monster zu einer urbanen Horrorgestalt, eine Idee, mit der Moro seiner Zeit um mindestens dreißig Jahre voraus ist. G. schlägt schnell, überall, wahllos und jenseits von sozialen Konventionen zu. In einer leeren U-Bahn, einem unbesetzten Hotelfoyer, oben auf der Feuertreppe und mehr als ein Mal in einer öffentlichen Toilette. Sogar das kleine Mädchen steht in einer Reihe mit den Übergriffen am helllichten Tag, von denen wir heutzutage so häufig in den Nachrichten lesen. G. tötet und konsumiert mit der fieberhaften Hast der Stadt selbst. Ich habe es schriftlich, von M. höchstpersönlich: ‚Ich wollte das letzte der Monster als schlichtes Arbeitstier zeigen.‘“

Der Erzähler ist bemüht um ein Interview mit Simon Moro, und beginnt sich daher mit dem Leben und Werk von Moro zu beschäftigen. Das ist der Ausgangspunkt der Geschichte. Der Kontext der Recherchen zu dieser Auftragsarbeit, die Befragung der Zeitzeugen und so weiter werden im ersten Teil des Buches beschrieben. Worin die Faszination der Persönlichkeit des Horrorfilm-Darstellers Moro liegt, formuliert der Erzähler vorsichtig: „Was er [Simon Moro] kann, ist mit Film nicht einzufangen. Zu außergewöhnlich, zu jenseitig.“ Und auch das Interesse des Publikums wird skizziert, die Beliebtheit des Darstellers herausgearbeitet: „Es geht um dich. Das weißt du doch. Die Leute wollen dein Blut sehen. Sie glauben, dass du abnormal bist. Niemand hat sie je so angeekelt.“ Ein Phänomen, das man auch an den Charakteren beobachten kann, die Boris Karloff im Laufe seiner Filmkarriere dargestellt hat: Er spielt nicht nur, im kollektiven Gedächtnis ist Karloff immer eine Variation seiner Rolle als Frankensteins Monster.

Im zweiten Teil des Buches rückt die eigentliche Hauptfigur in den Mittelpunkt der Erzählung. Aber auch hier bleiben die Charaktere seltsam blass. Der Schrecken, der erzeugt werden soll, bleibt in einer Mottenkiste liegen, die dann auch noch bei der Inszenierung des „letzten großen Schreckens“ – Moros Abgang aus dem Filmgeschäft – als Sarg herhalten muss. Die Besonderheit ist vielleicht, und das wird nur zu deutlich, dass es hier eigentlich um das Paradigma des von der Zeit überholten Schauspielers geht, der nicht mehr Leben und Film trennen kann und auch nicht trennen will. Die Romanfigur Simon Moro formuliert es deutlich. Es ist nicht nur der Film, in dem er den Schrecken darstellen will. Der Niedergang der Branche trifft ihn so sehr, weil es existentiell ist. Seine Mission ist der Schrecken im normalen Leben. Alles eine Inszenierung: „Du hast einfach keine Ahnung. Ich habe Jahre mit dem Versuch verbracht, die Leute so zu schockieren, dass sie solche Fehler nicht wiederholen. Und schlimmere. Auf jede mir mögliche Weise.“

So bleibt dieser Hollywood-Roman eher eine Lektüre über die Filmbranche, mit deutlichen Längen und keinem besonders interessanten Plot. Lediglich die Figur des Simon Moro mit seinen Spiegelungen der Hollywood-Horror-Darsteller könnte interessant sein. Nach der Lektüre möchte man unbedingt einige der alten Filme von Ed Wood sehen, noch einmal Vincent Prices „Theater des Grauens“ oder seinen „Doktor Phibes“ aus der Horrorfilmkiste holen. Und eines kann man noch dazu sagen: Vincent Price kann man immer noch anschauen! Aber über Moro lesen?

Titelbild

Brock Brower: Der letzte große Schrecken. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Michael Kellner.
Verlag Antje Kunstmann, München 2013.
363 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783888978647

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch