Ein Dasein in der Unschärfe

David Mackenzies Kinoadaption des existentialistischen Romans „Young Adam“ von Alexander Trocchi besticht als Studie unergründlicher Tristesse

Von Nathalie MispagelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nathalie Mispagel

Grau, freudlos, fade. Das Leben als Binnenfrachtschiffer im Schottland der 1950er-Jahre hat nichts zu bieten außer harter, schmutziger Arbeit. Tag für Tag fährt das Ehepaar Ella (selbstbewusst verhärmt: Tilda Swinton) und Les Gault (stupide Lieblosigkeit: Peter Mullan) samt Sohn Jim durch öde Industrielandschaften, kaum mehr vom Dasein fordernd als routinemäßiges Überleben. Der auf ozeanische Weite verweisende Name ihres Kahns ,Atlantic Eve’ ist eine Farce. Neuerdings lebt Hilfskraft Joe Taylor (bestechend als Verkörperung abgründiger Indolenz: Ewan McGregor) mit auf dem Boot. Er wirkt ebenfalls abgestumpft, beginnt aber dennoch eine Affäre mit Ella. Das soziale Gefüge an Bord zerbricht. An der bodenlosen Apathie ändert das nichts.

Minimalistisch rinnen die meditativen Moll-Klänge von David Byrne unter den ruhigen, monochromen Bildern hinweg. Fließend wie das Wasser der Kanäle. Wie die immer gleichen Stunden. Wie jene vorbeitreibende Leiche einer jungen Frau im Unterrock, die Les und Joe aus den Fluten fischen. Ihr Tod wird von der Polizei als Mord klassifiziert; ein Verdächtiger ist schnell gefunden. Niemand weiß, dass die Tote Joes Exfreundin Cathie Dimly (hilflos-oberflächlich: Emily Mortimer) ist und sie bei einem Unfall umkam. Joe erkennt sie, schweigt jedoch. Entfremdet von sich und den Mitmenschen treibt er als gescheiterter Schriftsteller ziellos dahin, lenkt sich mit Sex und Zigaretten von dem Nichts ab: „Vergangene Stunden, vergangene Handlungen sind plötzlich seltsam isoliert. Zwischen ihnen und dir, der auf sie zurückblickt, gibt es keinen Zusammenhang.“

Entfremdetes Heute

Der Roman „Young Adam“ (1954 erstmalig in Paris veröffentlicht, in der heute verbindlichen Version 1961 in Großbritannien), auf Deutsch „Wasserläufe“, gilt als schottische Variante von Camus` „Der Fremde“. Es ist das Außenseiter-Werk eines Außenseiters. Beat-Poet Alexander Trocchi (1925-1984), Verfasser pornografischer Bücher, Drogenabhängiger und Bürgerschreck, blieb die Aufnahme in den literarischen Kanon Schottlands verwehrt. So betrachtet fasziniert die kongeniale, radikal spröde und schonungslose Verfilmung von „Young Adam“ durch Regisseur und Drehbuchautor David Mackenzie auch als (Wieder-)Entdeckung eines Autors sowie des existenzialistischen Lebensgefühls von ,kosmischer Verlorenheit’.

Die ruhige, hochpräzise Inszenierung nimmt Joes Perspektive auf und spiegelt in ihrer Unaufgeregtheit dessen träge Teilnahmslosigkeit wider. Ebenso wie das in kargen Worten verfasste Buch konzentriert sich der Film auf Alltagsbeobachtungen und Momentaufnahmen. Sie allein sind es, die Joe noch ans Sein binden. Wie die Farbe aus den Bildern ist ihm jegliches Interesse, jegliche Neugier abhandengekommen, weshalb er sich an die Materialität der Dinge klammern muss, um einen letzten Rest an Erdung zu wahren. Nur die immer wieder spontan eingeblendeten Erinnerungen an die Zeit mit Cathie lassen ahnen, dass der Drifter in seinem Innern noch nicht völlig abgestorben sein kann. Doch die emotionale Taubheit, die zur Fragmentisierung seiner Identität führt, ist bereits unüberwindlich: „Es gab keine enge und notwendige Verbindung zwischen dem, was ich sah, und dem, was ich spürte.“

Abstraktes Gestern

Promiskuitiver Sex jenseits gesellschaftlicher Konventionen ist Joes Ausdruck seiner Empfindungslosigkeit und gleichzeitig einzige (physische) Bastion gegen die innere wie äußere Eintönigkeit. Einmal eruptiert dieser Zustand in einem obszönen, erniedrigenden Gewaltakt gegenüber Cathie. Doch auch die darin ausgedrückte Verachtung manifestiert nur umso intensiver jene Abstraktion, in die sich die Welt für Joe verwandelt. Aus einem emotional-sozialen Miteinander wird endgültig ein unzusammenhängendes Nebeneinander, Berührungspunkte und Beziehungen zerfallen in unscharfe Bruchstücke ohne Sinn. Ereignisse, Erlebnisse, Erfahrungen verwischen im Angesicht subjektiver Einseitigkeit. Zurück bleibt existenzielle Gleichgültigkeit.

In diesem Kontext lässt sich auch der Film- beziehungsweise Buchtitel als Absage an die Menschlichkeit lesen. Adam/Joe als ,erster Mensch’ ist ein triebhaftes Wesen ohne Wurzeln und Visionen, der sich auf nichts und niemanden dauerhaft einlassen kann. Zu seiner Vergangenheit hat er keinen Bezug, mit der Gegenwart will er ständig brechen, für die Zukunft hegt er keinerlei Absichten. Egal was er macht oder was geschieht – er kann es nie als Teil seiner eigenen Geschichte begreifen. Unverbindlichkeit ist sein Schicksal geworden. Längst ist vorgezeichnet, wie es dem reifen Menschen, also ,Old Adam’ einmal gehen wird: „ein privates Melodrama: Ich kam darin vor, ohne wirklich dazuzugehören, da es nichts mit mir zu tun hatte, aber ich war derart verstrickt, dass ich von mir selbst, meiner eigenen Richtung wie angeschnitten war.“

Distanziertes Morgen

„Young Adam“ ist pure Desillusion. Ein trauriges Charakterportrait, das zu lyrischer Atmosphäre kondensiert. Unter dem bedeckten Himmel zwischen Glasgow und Edinburgh haftet solcher Trostlosigkeit immerhin die herbe Poesie von Schwermut an. Wenn im Tiefland Nebel herrscht, gleitet der behäbige Frachtkahn wie eine Vision durch die Kanäle, als gäbe es weder Zeit noch Ort. Nur noch Leere und Orientierungslosigkeit. Jetzt wird die Distanz zur Umgebung augenfällig, doch gleichzeitig nimmt die Natur jenes Phlegma auf, um es in die Kühle einer Wettererscheinung zu überführen.

Joe bleibt für dergleichen unempfänglich. In seiner seelischen Lethargie nimmt er hin, dass ein ihm völliger Fremder für den fälschlicherweise als Mord betrachteten Unfalltod von Cathie bitter büßt. Das ist der amoralische Abgrund aller Entfremdung: Ein Unschuldiger wird für ein nie begangenes Verbrechen verurteilt. Davon beinahe vollständig ungerührt geht Joe seinen Weg weiter, der immer tiefer in Lähmung und Auflösung führt. Dass der letzte Blick der Kamera von Giles Nuttgens langsam unscharf wird, erscheint da wie die Essenz eines vergeblichen Daseins. Nicht einmal dessen Sehnsüchte werden zurückbleiben: „Ich empfand eine verheerende Art von Verlust um etwas, das ich nie besessen hatte, und es fiel mir nicht auf, dass dieses Etwas eine Sache war, die kein Mensch jemals haben kann, aus dem einfachen Grund, weil es etwas ist, das nur für den besteht, der es sieht, das nur für denjenigen Beobachter existiert, ohne den es nie ein Objekt der Begierde würde.“

„Young Adam“ (Großbritannien 2003)
Regie: David Mackenzie
Darsteller: Ewan McGregor, Tilda Swinton, Peter Mullan, Emily Mortimer
Laufzeit: 94 Min.
Verleih: Alamode Film
Format: DVD / Blu-ray

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

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