Der unmetaphorische DJ
Thomas Meineckes analoge Kolumnen
Von Stefan Höppner
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWenn von Thomas Meineckes Schreibverfahren die Rede ist, wird der Autor gern mit einem DJ verglichen. Keiner, der an das hehre Werk des Originalgenies glaubt, das ganz allein aus den eigenen Tiefen schöpft, sondern einer, der heterogenste Teile „sampelt“, Elemente aus verschiedensten Diskursen herauslöst und zu neuen, oft hypnotischen Texten zusammenbastelt. So beschreibt nicht nur er seine Arbeitsweise, man kann es auch nachlesen – und vorgeführt bekommen in „Ich als Text“ (2012), seinen Frankfurter Poetikvorlesungen, die komplett aus Sekundärbeiten bestehen, aus Rezensionen, Interviews und wissenschaftlichen Arbeiten. Auch hier war Meinecke nur der Editor, eine Art Discjockey an Texten, der aus ihnen den Groove herauskitzeln sollte. Nicht das Material entscheidet, sondern was man daraus macht.
Die Vergleiche treffen zwar zu. Trotzdem fällt oft unter den Tisch, dass Thomas Meinecke daneben auch als ganz realer DJ unterwegs ist. Er ist einer, der tatsächlich Platten auflegt, und darüber auch noch ebenso eloquent wie euphorisch schreibt. „Strictly Vinyl“ übrigens, wie er im Vorwort zu dem kleinen Band „Analog“ schreibt, der diesen Herbst erschienen ist. Entstanden sind die 33 kurzen Texte für die Zeitschrift „Groove“, wo sie seit 2007 als Kolumnen erschienen sind – und, ebenfalls laut Vorwort, nicht länger erscheinen. Thematisch bewegen sie sich oft ganz in der Nähe der Romane. Auch hier geht es um queere Geschlechtsidentitäten, um Hubert Fichte, Rainald Goetz, Karl Marx und Giorgio Moroder. Dabei bleibt aber erstens die Musik immer der Ausgangspunkt der „auf Zigarettenlänge“ angelegten Texte, die anderen Diskurse werden nur anzitiert und lassen ein volleres Bild erscheinen. Und zweitens spricht eine andere Instanz: Hier tauschen sich nicht die Figuren aus, hier schreibt der Autor von seinen Vorlieben für kleine, vergessene Label ebenso wie über Kanye West und Lady Gaga – ganz unverstellt, oder doch so unvermittelt, wie es seine sonstige Poetik eben zulässt. Der Leser erlebt Meinecke als Fan, und wer sich genauso in Musik versenken und stundenlang durch Plattenläden flanieren kann, wird sich hier wiederfinden, ob Anhänger von Detroit House oder nicht. Das hat aber auch einen Nachteil, wie ihn Fan-Diskurse mit sich bringen können: Für den Nicht-Eingeweihten oder zumindest den Nicht-Neugierigen können sie etwas Hermetisches annehmen (wie den Verfasser dieser Zeilen unwiderstehliches Desinteresse überfällt, sobald die Rede darauf kommt, wie, von wem und unter welchen Umständen ein Ball oder Puck durch die Gegend befördert wird).
In „Analog“ wird wenig erklärt. Die kurzen Texte stehen nicht nur jeweils für sich, sie wirken deutlich fragmentarischer als Meineckes Romanprosa. Das hat aber damit zu tun, dass sie ursprünglich für ein besonderes Publikum geschrieben sind, das der elektronischen Musik mit der gleichen Zuneigung anhängt wie ihr Autor, und das – wenigstens in weiten Teilen – auch Meineckes Werte teilen dürfte, etwa sein Engagement „gegen die faulen Versprechungen einer überkommenen maskulinistischen Authentizität (wie sie in erster Linie Rockmusik für sich beanspruchte“), für Jazz, Disco und Deep House. So verkürzt „Analog“ die Wartezeit auf Meineckes nächsten Roman, wie eine EP die Distanz bis zum nächsten regulären Album. Michaela Melián, Meineckes Ehefrau und Mitmusikerin bei FSK, hat den Band mit ihren Miniaturen veredelt, stilisierten, farbigen Zeichnungen von Vinylplatten. 33 Kolumnen sind schließlich auch so etwas wie 33 Umdrehungen (das verbleibende Drittel fällt unter den Tisch).
|
||