Eine Liebeserklärung an das Buch

Über Charlie Lovetts „Das Buch der Fälscher“

Von Emily ModickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Emily Modick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Spätestens mit internationalen Bestsellern wie die eines Dan Brown, sind Romane, die historische Fakten mit Fiktion und Legende zu spannender Lektüre mischen, ein fester Bestandteil des Buchmarkts geworden. Der klassische Detektiv wird hier häufig abgelöst durch einen akademischen Privatermittler, der eher zufällig oder aus berufsbedingter Neugier einem Rätsel nachgeht und sich plötzlich durch fremde Landschaften schlägt, in Museen und fremden Kellern recherchiert, in Krypten hinabsteigt, sich durch Geheimgänge windet, um letztlich dem Bösewicht in der heimeligen Bibliothek seines Herrenhauses zu begegnen. Charlie Lovett bedient sich zwar ausgiebig dieses Rezepts, schafft es mit seinem „Buch der Fälscher“ aber dennoch, auf vergleichweise hohem Niveau das Genre um einen originellen und leidenschaftlichen Beitrag zu bereichern. Er spielt in einer Welt, in der alles um rare Bücher, bibliophile Sammler, Fälscher und Antiquare kreist.

Natürlich, ein mysteriöses Aquarell

Der Antiquar Peter Byerly ist ein Einzelgänger, dem schon in jungen Jahren eine soziale Angststörung attestiert wird; er fühlt sich nur wohl, wenn er sich hinter seinen zwei Leidenschaften verstecken kann: alten Büchern und seiner Frau Amanda. In seinem vermeintlich sicheren und geordneten Leben bildet der frühe Tod seiner Frau einen tiefen Einschnitt. Völlig aus der Bahn geworfen, fast apathisch, reist er aus den USA nach England, wo er ein Cottage besitzt. Das einzige, was dem Antiquar noch einen Ansatz von Halt gibt, sind Bücher – und so setzt der Roman damit ein, wie Peter in einem Antiquariat in Hay-on-Wye ein mysteriöses Aquarell findet, das aus einem Buch herausfällt. Mysteriös ist vor allem die Tatsache, dass die Frau auf dem über 100 Jahre alten Gemälde seiner verstorbenen Frau Amanda bis aufs Haar gleicht. Ausgestattet lediglich mit den Initialen des Künstlers, B.B., macht sich Peter an die Lösung des Rätsels, das ihn immer tiefer in eine Geschichte von zwei verfeindeten Familien, wertvollen Büchern und Fälschungen führt – bis hin zu einer der literarischen Kontroversen schlechthin: der Frage nach der Shakespeare-Urheberschaft und -Identität.

Drei Zeitebenen

Gekonnt spielt Lovett mit drei verschiedenen Zeitebenen: Mitte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts als die Zeit, in der Peter seine Recherchen beginnt; die 80er Jahre, die seine und Amandas Vorgeschichte erzählt; sowie Episoden aus dem 17., 18. und 19. Jahrhundert. Insbesondere die Episoden des Tudor-Zeitalters sind amüsant – Lovett lässt es sich natürlich nicht nehmen, augenzwinkernd einige Szenen um die Tudor-Schriftsteller kreisen zu lassen. Über Shakespeares neustes Unterfangen macht man Späße („‚Der Sohn des Handschuhmachers schreibt jetzt Sonette!’ Lautes Gelächter.“), beschwert sich über die Schließung der Theater wegen der grassierenden Pest und, natürlich, betrauert Marlowes Tod. Der häufige Wechsel der Zeitbenen gelingt Lovett mühelos; konzentriert und schlüssig greifen die verschiedenen Stränge ineinander und tragen zur Lösung des Rätsels bei.

Die Sinnlichkeit von Büchern

Lovett schreibt schnörkellos und geradlinig. Das Buch lebt wesentlich von seiner spannenden Handlung, aber auch von der Wärme, die den Charakteren entgegengebracht wird. Insbesondere werden Peters Eigenheiten und die Beziehung zu seiner Frau sensibel und plausibel beschrieben, womit Peters schmerzhafter Verlust, der das ganze Buch wie einen roten Faden durchzieht, scharf kontrastiert wird. Die Tatsache, dass Peters Gegenwart Mitte der 90er Jahre angesetzt ist, erlaubt es Lovett, Elemente und Ausstattungen des klassischen Krimis zu nutzen, die mit dem Aufkommen des Internets und Handys obsolet geworden sind. So muss Peter etwa noch per Hand in der British Library recherchieren. Nostalgisch wirkt derlei aber nie, sondern unterstreicht nur die Zuneigung, die „Das Buch der Fälscher“ dem Medium Buch entgegenbringt. Das Buch als Objekt wird fast fetischiert. Als Peter zum ersten Mal eine Rarität betrachtet, lässt ihn die bloße Nähe des Buches „vor Freude erröten … Er legte seine behandschuhten Finger leicht auf den Einband. Er spürte fast, wie ihn die Geschichte berührte“. Und um Amanda zu erklären, wie er sich fühlt, wenn er sie anschaut, greift er zu einer Analogie, die beschreibt, wie er sich fühlte, als er zum ersten Mal ein Bad Quarto von Hamlet in Händen hielt. Im englischen Titel „The Bookman’s Tale. A Novel of Obsession“, schwingt sowohl Peters Leidenschaft zu seinen Büchern als auch die zu seiner Frau treffend mit.

Charlie Lovetts Leidenschaft für Bücher spricht jedenfalls aus jeder Zeile dieses Romans. Wenig überraschend informiert der Klappentext, dass er selbst jahrelang ein Antiquariat in England führte. Das „Buch der Fälscher“ ist nicht nur ein spannender, dichter Roman, der ein Potpourri aus Schauplätzen à la Agatha Christie, bibliophilen Sammlern und bibliophilem Besitzwahn, legendären Figuren der Buch- und Literaturgeschichte und, last but not least, einer großen Liebe schlüssig in sich vereint, sondern vor allen Dingen eine Liebeserklärung an die Sinnlichkeit von Büchern.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Charlie Lovett (Hg.): Das Buch der Fälscher. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Lutz-W. Wolff.
Insel Verlag, Berlin 2013.
406 Seiten, 22,95 EUR.
ISBN-13: 9783458175834

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