Erzähl-Dynamik

Graphic Novels haben nicht nur als Vorlage der neueren Superhelden-Filme Konjunktur, neue Techniken und dynamische Erzählformen haben die gezeichnete Erzählung wieder beliebt gemacht. „Die große Odaliske“ zeigt, was man darunter zu verstehen hat

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Konjunktur der Graphic Novel ist nicht allein das Produkt der filmischen Umsetzung alter Erzählungen. Sie geht auch darauf zurück, dass seit einer ganzen Reihe von Jahren Zeichner sich dem Projekt verschrieben haben, die mediale Statik der gezeichneten Erzählung aufzulösen. Das hat bereits in den 1960er-Jahren begonnen, als das künstlerische Vokabular seine zweite explosionsartige Erweiterung erfuhr. Wer zum Beispiel den neuen, hoch gelobten Asterix-Band schätzt – weil er endlich einmal wieder witzig ist –, darf dennoch nicht glauben, dass der Band in irgendeiner Weise besonders modern wäre. Ganz im Gegenteil, gerade weil er sich auf einen alten Entwicklungsstand der Comics bezieht, ist er derart gelobt worden.

Erzähl-, und das heißt eben auch zeichentechnisch gibt es seit langen Jahren ganz andere Geschichten, die die Linearität der Erzählung, damit eben auch die strikte Abfolge der Einzelzeichnungen aufgeben. Der Fokus wechselt in diesem Zusammenhang von der Einzelzeichnung hin zu einem Strom von Zeichnungen, die im Ganzen die Erzählung konstituieren.

Dabei können die grundlegende Einteilung und die lineare Reihung erhalten bleiben. Die rahmensprengenden Strukturen, die sich die neueren Superheldencomics mit der Bild-Zeitung teilen, sind hier nicht einmal notwendig, um die notwendige Dynamik zu erzielen. Es sind eher die Schnitte, die hier relevant sind, und die zwischen großzügig und rasch erzählten Erzählabschnitten und kleinschrittigen Partien wechseln. Hierbei wenden die Zeichner das gesamte Spektrum filmischer Ausschnitte an, zwischen Close-ups und Panoramen findet sich alles, was auch der Film zu bieten hat – nur eben auf die Reihung von Standbildern angewendet.

Das fußt allerdings auf einer Zeichen- und Lesepraxis, die schneller, dynamischer und flexibler ist als alles, was vorher der Fall war. Zugleich wendet sich die Aufmerksamkeit mehr und mehr der Zeichnung zu und von den Erzählinhalten ab. Das Ganze muss cool sein, die kulturelle Praxis der Leser treffen und die gewünschten Phantasmen erzeugen, die in der Lebenswelt des beginnenden 21. Jahrhunderts angesiedelt sind. Die Leute von heute haben eben andere Superhelden als früher, aber immerhin haben sie wieder Superhelden.

Im Fall des „großen Odalisken“ sind es zwei Meisterdiebinnen, die sich eine Gesellin verschaffen, einen großen Coup landen wollen, dabei grandios scheitern – was am Schluss des Bandes den Rückblick darauf provoziert, wie denn alles zwischen Alex und Carole einmal begonnen hat.

Ende und Anfang miteinander verschränkt – das ist fast schon die Versicherung, dass das noch mehr kommen wird, zumal Caroles Ende und Ausstieg nicht ganz sicher sein kann.Aber auf die Story selbst kommt es eben nicht an, zumal sie einigermaßen dünn und recht konventionell ist. Die beiden Heldinnen, die sich – auch auf sexuellem Gebiet – zu nehmen gewohnt sind, was sie wollen, planen, wenngleich ein wenig halbherzig einen großen Coup (so eine Art großes Finale).

Sie nehmen sich eine Motorradrennfahrerin und Schachboxerin als Kollegen dazu, was die drei dann komplett macht: eine Blonde, eine Brünette und eine Rote. Was Anlass zu manchem Kalauer gibt, im Comic aber die Heldinnen vorrangig unterscheidbar macht. So sauber gezeichnet sind sie am Ende dann nun doch wieder nicht, dass man auf solche Tricks verzichten könnte.

Angestiftet werden sie von einem hinreichend korrupten und dekadenten Vermittler, der für seine Auftraggeber alles besorgen kann, was sie wollen – und der naheliegenderweise immer wieder in Intrigen und komplizierte Arrangements verwickelt wird.

Seine Lieferanten sind in diesem Fall Alex und Carole, die sich ihr extraordinäres Leben mit extraordinären Coups verdienen. Frauen – jung, selbstbewusst und intelligent. So wünscht man sich das Verbrechen.

Und natürlich muss ein solches Verbrechen höchst erfolgreich sein und darf doch nicht so einfach und tadellos durchgehen. Und so sind in die Story Störer eingebaut, die der Geschichte der allzu oberflächlichen Damen mehr Tiefe geben sollen.

Dazu gehört das Liebesleiden von Alex, das beinahe dazu führt, dass sie einen Job versaut. Dazu gehören die Streitigkeiten der beiden. Und dazu gehört auch, dass sie zu dem Job im Louvre halbwegs gezwungen werden. Das schöne Lotterleben außerhalb des Gesetzes muss halt verdient sein, auch moralisch, und dafür bedarf es nun einmal der Krisis und der Katharsis. Aber im Ganzen – ist auch das Konvention.

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Bastien Vivès: Die große Odaliske.
Reprodukt Verlag, Berlin 2013.
124 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783943143430

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