Werkpolitik im Spiegel nordischer Motive

Niels Penke stellt Ernst Jüngers Schriften in den Kontext der skandinavischen Literatur

Von Maik M. MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Maik M. Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zu den Stereotypen der Jünger-Forschung gehört die Sonderstellung, die dem Frühwerk Ernst Jüngers eingeräumt wird. Jünger selbst hat 1942 mit auktorialer Geste sein Werk zerteilt und mit der Deutung als „Altes“ und „Neues“ Testament dieser Gliederung eine geradezu eschatologische Aura verliehen. Diese Zweiteilung hat als oft zitiertes Stichwort auch die germanistische Forschung geprägt. Dabei zielt die Formulierung nur oberflächlich auf eine gliedernde Zäsur. Im Kern errichtet sie den Anspruch auf substantielle Kontinuität. Dieser Anspruch fand einerseits in Jüngers Werkpoetik der Fassungen praktischen Ausdruck: Von einigen (allerdings einschlägigen) Ausnahmen abgesehen veränderte Jünger über Jahrzehnte durch die fortgesetzte Revision der Einzeltexte immer wieder das Gravitationszentrum seines Werkes. Andererseits dementiert diese Werkpolitik zugleich die binäre Gliederung, weil sie das Werk als stetig wachsendes Geflecht erscheinen lässt, von der kein Teil, auch nicht der älteste, jemals als endgültig abgeschlossen gilt.

Es gibt wenig Forschungsbeiträge, die den Anspruch erheben, Jüngers Früh- und Spätwerk mit einer gemeinsamen Optik zu beobachten, zu unterschiedlich erscheinen die Sujets und ästhetischen Paradigmen, zu gegensätzlich der aktivistische Impetus der frühen und die kontemplative Distanznahme der mittleren und späten Texte. Niels Penkes komparatistische Studie „Ernst Jünger und der Norden – Eine Inszenierungsgeschichte“ unternimmt einen solchen Versuch: Im Rahmen eines werkgeschichtlich weit gespannten Bogens – untersucht werden „In Stahlgewittern“, „Myrdun“, „Der Waldgang“, „Besuch auf Godenholm“ sowie „Eumeswil“ – folgt Penke den Spuren intertextueller Korrespondenzen, die Jüngers Schriften mit Texten der isländischen Saga-Literatur und der nordischen Mythologie unterhalten. Die Untersuchung der Bezugnahmen auf nordisch-skandinavische Motive ergänzt das Bild von Jüngers Autorschaft auf sinnvolle und überfällige Weise, gilt doch dessen Vorliebe für südlich-mediterrane Kulturräume mittlerweile als gut dokumentiert. Die Bedeutung komplementärer nordischer Schauplätze, Motive und Texte ist dagegen trotz zahlreicher expliziter Hinweise in Jüngers Tagebuch-Werk bislang noch nicht umfassend untersucht worden.

Auch die vorliegende Dissertationsschrift folgt den Markierungen einer Wandlung Jüngers in den 1930er-Jahren, legt jedoch zugleich die Kontinuitäten frei, die Jüngers Autorschaft als „Inszenierungsgeschichte“, wie es im Titel heißt, tiefenstrukturell zugrunde liegen. Es gehört somit zu den Vorzügen der Studie, dass intertextuelle Beziehungen zu nordischen Prätexten nicht nur herausgearbeitet, sondern in einen theoretischen, genauer produktionsästhetischen Kontext gestellt werden. So kann Penke zeigen, dass die vielschichtige Bezugnahme auf Texte aus dem skandinavischen Raum in funktionalem Zusammenhang mit Jüngers Inszenierung der eigenen Autorschaft steht und seinen Techniken der Werkpolitik, die im Entwurf der typologischen Figuren-Trias Krieger – Waldgänger – Anarch ihren werkgeschichtlichen Ausdruck gefunden hat.

Besonders überzeugend gelingt dies im Hinblick auf die „Stahlgewitter“. Der vielfach beschriebene Typus des Kriegers, der im Text als heroisches Ideal einer Behauptung des Individuums gegen die Vernichtungsgewalt der Maschinenwelt entfaltet wird, besitze in der Figur des Egill aus der „Egils Saga“ eine spezifische „Vorbildfigur“, so Penke. Zentrale Charakteristika des Jünger’schen Textes wie die kühle Observation, der Entwurf von geistiger Abhärtung als Bildungsweg und die Loslösung des Krieges aus der Ordnung des Historischen seien von der „Egils Saga“ vorgeprägt. Jüngers berüchtigte Anthropologisierung des Krieges, die den Kampf in ein Geschehen zeitlos-mythischer Provenienz überführt, wird auf ein intertextuelles Fundament gesetzt. Doch damit nicht genug: Gerade die implizite Bezugnahme auf die vorbildhafte Dichter-Krieger-Figur Egill macht die Stahlgewitter durchsichtig für die Legitimationsstrategien, die dem Text zugrunde liegen: Die Rückbeziehbarkeit der literarischen Sprecherrolle, des „erzählten Ichs“, auf den empirischen Autor erscheint als Teil einer bewussten Schreibstrategie.

Dabei geht es um mehr als biografisch verkürzte Lesarten: Jüngers elaborierte und intentional definierte Selbstbilder sollen der eigenen Autorschaft und den eigenen Texten im Spiegel nordischer Motive die höheren Weihen einer mythisch beglaubigten Wahrhaftigkeit verleihen, so Penke. Zugleich dient eine wechselnde Autor-Maskerade der Konstruktion von Kontinuität: Über die Brüche der Zeitläufe hinweg wird die Veränderung der Sprecherrollen als Gestaltwandel gedeutet und vom Verdacht der Volte oder des inneren Widerspruchs befreit.

In diesem Sinne deutet Penke die Waldgänger-Figur als Zentrum der Autorschaftskonzeption von „Myrdun“, „Der Waldgang“ und „Besuch auf Godenholm“, mithin als Gewährsfigur einer in der mittleren Werkphase erfolgten Abkehr von der Apologie der kriegerischen Moderne. Als real-biografischer Erfahrungsraum wird die norwegische Landschaft in „Myrdun“ zum Schauplatz literarisch als Rekonvaleszenz inszenierter Ganzheitserfahrungen. Den Ursprung des im „Waldgang“ geschichtsphilosophisch ausgearbeiteten Konzepts einer Verhaltenslehre in der nihilistischen Moderne verortet Penke in der gleichnamigen Form der Verbannung, wie sie im altnordischen Rechtssystem beschrieben wird. Dem entsprechend tritt die Waldgänger-Figur Schwarzenberg in „Besuch auf Godenholm“ flankiert von zahlreichen nordisch-mythologischen Motiven auf. Hier zeigt sich besonders deutlich, wie Jüngers Rollenkonzepte die verschiedenen Genres – Tagebuch, Essay, Prosa – leitmotivisch durchziehen.

Auch für die dritte geschichtsphilosophisch kodierte Figur des Anarchen, die in „Eumeswil“ entfaltet wird, liefert die Studie einige intertextuelle Verweise auf die nordische Sagenliteratur, so dass der enge Konnex zwischen nordischen Referenzen und Jüngers Rolleninszenierungen insgesamt recht evident erscheint. Penkes Studie gelingt überzeugend der Nachweis, dass Autorschaftskonzepte mit überragenden Deutungsansprüchen den Texten Ernst Jüngers tief eingeschrieben sind. Jüngers weltanschauliche Totalisierungsstrategie arbeitet literarisch mit der Verschmelzung der fiktionalen Ebenen und der Entgrenzung von historischem Autor und literarischem Text, wobei das nordisch inspirierte Typenarsenal ein Kontinuum erzeugt.

Durch diese tiefe Durchformung ist es Ernst Jünger gelungen, um das eigene Werk ein autochthones Diskursfeld zu spannen, so dass auch die Forschung immer wieder versucht ist, die von Jünger selbst entworfenen Konzepte (wie zum Beispiel die Stereoskopie) quasi selbstreferentiell als Deutungshypothese auf die Texte anzuwenden. An der überragenden Präsenz des Autors in seinem Werk und im Paradigma von Intentionalität findet auch die vorliegende Studie ihre Grenze, da die analysierte Inszenierungspraxis im Kraftfeld einer intentionalen Deutung verbleibt.

Titelbild

Niels Penke: Ernst Jünger und der Norden. Eine Inszenierungsgeschichte.
Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2012.
270 Seiten, 46,00 EUR.
ISBN-13: 9783825360689

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