Funkelnde Lichter und ein langer Schatten

Der Aviva Verlag legt einen Band mit Reportagen und einer Erzählung von Maria Leitner auf

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Maria Leitner war eine vielseitige und zu ihrer Zeit durchaus erfolgreiche Schriftstellerin. Nach dem Zweiten Weltkrieg jedoch war sie vergessen, wie Renate Wall Ende des 20. Jahrhunderts beklagte. Denn die Zeit Maria Leitners war die der Weimarer Republik. Vergessen machte sie und ihre Werke das Naziregime, das nicht nur eines des Ungeistes sondern auch des Terrors war. Ihre Schriften wurden verboten, sie selbst verfolgt. Ein Schicksal, dass sie mit allzu vielen teilte. Dafür, Leitner zu verfolgen, hatten die Nationalsozialisten zwei Gründe: Einmal war sie Jüdin, zum anderen stand sie dem kommunistischen „Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller“ nahe und war zudem in der „Internationalen Arbeiter-Hilfe“ tätig.

Dazu, sie dem lesenden Publikum wieder bekannter zu machen, könnte der kleine Berliner AvivA Verlag beitragen, der soeben nicht nur einen Band mit Leitners Reportagen aus den letzten Jahren der Weimarer Republik und einer ihrer Kurzgeschichten veröffentlicht hat, sondern für 2014 eine Neuauflage ihres Exil-Romans „Elisabeth, ein Hitlermädchen“ ankündigt.

Der soeben erschiene Sammelband trägt den Titel der Kurzgeschichte „Mädchen mit drei Namen“ und wurde von Helga und Winfried Schwarz herausgegeben, die die Texte zudem hier und da geringfügig kommentieren. Das Leitners Reportagen aus der Zeitschrift „Tempo“ in der vorliegenden Sammlung „erstmals vorgestellt“ werden, wie es im Vorwort heißt, ist allerdings nicht ganz zutreffend. Denn das wurden sie bereits mit ihrer Erstpublikation in der besagten Zeitschrift. Wichtiger aber ist, dass es gerade diese Reportagen sind, die den Band lesenswert machen. Wenn Leitner als Reporterin auf dem flachen Lande in Deutschlands Norden unterwegs ist oder in ihren „Berliner Miniaturen“ Porträts von „Menschen in der Großstadt“ zeichnet, fängt ihr feines Gespür für noch so unscheinbare Details die Stimmung eines Ganzen ein, welches das Leben Berlins und seiner BewohnerInnen gegen Ende der Weimarer Republik aufscheinen lässt, mitsamt der Tristesse, die in einigen seiner Stadtteilen und deren Hinterhöfen herrscht.

Leitner hat dafür eine sehr lebendige und dabei ganz und gar unprätentiöse Sprache gefunden, welche die Lesenden die Wärme eines Berliner Sommersonntags auf der Haut fühlen oder sich mit der Autorin über einen einsamen Kerzenhalter im Wartesaal des Anhalter Bahnhofs wundern lässt. Sie führt sie in die Höfe hinter den Hausreihen, in deren Vorderhäuser „jeder Sprössling je eine Kinderpflegerin ganz für sich befehligt“, während „die Kinder des Hinterhauses ganz auf eigene Gefahr schreien“. Oder sie reiht sich mit den Lesenden in die Warteschlangen ein, in denen die Frauen einige Kohlen und Briketts durch „stundenlanges Anstehen erkämpfen“, um diese nur zu verheizen, „wenn der Mann und die Kinder zu Hause sind“. Denn, so meinen sie, „für mich selbst brauch ich keine Wärme.“ Weit abseits der Kohlenkeller führt Leitner die Lesenden in Schönheitssalons, in den „viel Hässlichkeit“ zu sehen ist. Und irgendwo dazwischen hat irgendwann eine junge Frau geheiratet, der nach ihrer Hochzeit „doch wenigstens eine schöne Erinnerung“ geblieben ist, auch wenn sich ihr Mann als „Trunkenbold“, „Herumtreiber“ und „Nichtstuer“ erwiesen hat. Gelegentlich erklimmt Leitner in diesen Reportagen geradezu aphoristische Höhen: „Frauen können arbeitslos sein, deshalb werden sie ihre Arbeit noch nicht los“, heißt es in einem ihrer Texte über „Frauen im Sturm der Zeit“, die „zwischen Arbeitsstätte, Stempelstelle und Familienheim“ zu bestehen haben.

Die in der „Volks-Zeitung für das Vogtland“ erschienene Reportage-Serie „Opfer und Schmarotzer um den § 218“ wiederum zeugt vom Elend ungewollt schwanger gewordener Frauen, die sich in die Fänge „früherer Hebammen“ begeben müssen, welche die Unglücklichen fragwürdigen, wenn nicht gar zwielichtigen ‚Doktoren‘ zuführt, bei denen es sich bestenfalls um Medizinstudenten handelt, die ihre finanziellen Nöte zu dem illegalen Geschäft treiben.

Merkwürdig mutet Leitners implizites Verständnis an, das sie für einen Arbeitslosen aufbringt, der sich „nicht länger von seiner Frau erhalten lassen“ will. Und die ‚Moral von der Geschicht‘ um die „Familienerhalterin“ Anna Thürmann fällt zudem recht flach aus, wenn der Gatte nach einem Ehezwist das Schlusswort erhält: „Anna, könnten wir nicht Kameraden sein statt Feinde? Nur müssten wir erst die Welt ändern“.

Noch stärker tritt die überdeutliche und nicht zuletzt darum verstimmende Botschaft in der titelstiftenden Erzählung „Mädchen mit drei Namen“ hervor. Ein kleiner, in jeder Hinsicht schlichter Bildungsroman um ein ebenso schlichtes, ja naives Kleinstadtmädel, das aus der familiären Not des provinziellen Cottbus nach Berlin flieht, dort schnell ins Rotlichtmilieu gerät, alsbald aufgegriffen und in diverse Fürsorgeanstalten eingeliefert wird, um schließlich im kommunistischen Kampf mit „Millionen Proletariern“ das Heilsversprechen einer „wunderbar neuen“ Welt findet.

Ungeachtet dieser nicht anders als schwach zu nennenden Erzählung ist es dem Verlag anzurechen, dem Publikum die Möglichkeit erleichtert zu haben, sich mit Leitner bekannt zu machen. Denn etliche ihrer Reportagen, insbesondere die „Berliner Miniaturen“, sind so ansprechend wie eh und je.

Titelbild

Maria Leitner: Mädchen mit drei Namen. Reportagen aus Deutschland und ein Berliner Roman 1928-1933.
AvivA Verlag, Berlin 2013.
222 Seiten, 15,90 EUR.
ISBN-13: 9783932338601

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