Sühne und Schuld
Rache muss kalt genossen werden und braucht Geduld. Robert Wilson zeigt wie
Von Walter Delabar
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie Komplexität der Krimierzählung ist mit den TV-Serienformaten in den letzten Jahren stark angewachsen. Krimis müssen, um die neuere Tendenz zum verschachtelten Erzählen nachvollziehen zu können, dabei aber einen zentralen Schritt tun: Sie müssen Komplexität nicht reduzieren, sondern potenzieren.
Die TV-Serienformate erlauben das, einfach deswegen, weil ihre Gliederung in Einzelfolgen und Staffeln einen langen Atem und – bei aller Gleichförmigkeit und Wiedererkennbarkeit – zahlreiche Wendungen benötigen, um ihre Zuschauer bei Laune halten zu können. Das gilt insbesondere dann, wenn eine über die Folgen hinausgehende Erzählung angestrebt wird.
Im Buch sieht das anders aus. Die Cliffhanger-Technik, die von amerikanischen Autoren gern verwendet wird und wohl aus dem Film stammt, ist für den Roman oft zu kurzatmig, die Aufgliederung in allzuviele Handlungsstränge ermüdet Leser und überfordert ihrer Aufmerksamkeit.
Übernommen werden kann jedoch das Grundprinzip der TV-Formate, nämlich das der Vielschichtigkeit des Geschehens und seiner Ursachen. Zumindest wohl bedacht lässt sich dieses Prinzip auch im Buch einsetzen. Intrigen sind immer gut, und Akteure hinter den Akteuren sind immer eine Überraschung und wechselnde Rollen sorgen für weitere Überraschungen.
Robert Wilson scheint solche Überlegungen für „Stirb für mich“ immerhin gekannt zu haben, denn er folgt nicht nur dem normalen Überbietungsprinzip, das dem Krimigenre inhärent ist. Er hinterlegt seine erste Handlungsebene mit mehreren weiteren, die dafür sorgen, dass der ursprüngliche Handlungsentwurf, der schon durchscheint, durch den jeweils nächsten suspendiert wird. Immer wenn man glaubt, dass man nun weiß, wies weitergeht, kommt die nächste Wendung auf der nächsten Ebene.
Dienlich ist ihm dabei, dass er mehrere Krimi-Muster miteinander verbindet: Entführung, Bandenkriminalität und Polit- respektive Geheimdienstthriller. Das erlaubt es ihm, vom Einfachen zum Komplizierten weiter voranzuschreiten, um auf diese Weise das Rätsel des Anfangstableaus mehr und mehr zu lösen. Da er zudem mehrere Akteure mit unterschiedlichen Interessen aufeinander loslässt, kann er zudem erste erkennbare Muster durch andere ersetzen und damit die Verrätselung wenn nicht weiter vorantreiben, so doch weiter auf hohem Niveau belassen.
Das ist insofern von Belang, als auf der anderen Seite der Kriminellen ja eben die üblichen kompetenten Akteure stehen, auf die – und nicht auf die Leser – die Komplexität des ganzen Musters zugeschnitten ist.
Das Krimigenre verlässt nicht erst damit das Grundmuster des mittleren Helden, das es über Jahrzehnte hinweg bestimmt hat. Die Protagonisten Chandlers und Hammets teilen mit Thomas Manns Hans Castorp ihre Mittelmäßigkeit und ihren Ehrgeiz, alles, was auch immer, nicht auf sich beruhen zu lassen.
Die Helden des neuen Krimis aber sind nicht nur unermüdlich, sie sind auch von unerschöpflicher Kompetenz wie Unerschrockenheit. Mittlerweile ist auch noch ein gerüttelt Maß an Skrupellosigkeit hinzugekommen. Wilsons Held Charles Boxer ist nicht nur ein Spezialist für Entführungsfälle, er tötet auch nach Abschluss der Fälle die flüchtigen Täter aus Vergeltung für ihre Tat.
Aber nicht nur das, er bleibt unbehelligt dafür, mehr noch, er wird gerade deshalb engagiert. Denn mit dem Ende der Entführung ist die Gerechtigkeit längst noch nicht hergestellt. Von Recht redet hier keiner.
Weshalb Leser einen solchen Helden akzeptieren, wird wohl mit einem denkwürdigen gesellschaftlichen Legitimitätsdefizit des Rechtssystems zumindest in seiner symbolischen Behandlung zusammenhängen. Es kann dort nicht seine Aufgabe erfüllen, die Balance zwischen Tat und Vergeltung herzustellen. Deshalb verfällt das Genre mehr und mehr in die Gegentat, sprich Rache – mit allen Problemen, die das mit sich bringt.
Mit dem Muster des bösen, niederträchtigen Killers, der Boxer eigentlich ist, wird im Roman allerdings dadurch gebrochen, dass er ein schlechter Vater mit schlechtem Gewissen ist und – gegen alle Professionalität – in eine Liaison mit der Mutter (geschieden) der entführten jungen Frau gerät (Leidenschaft auf den ersten Blick et cetera). Eine gebrochene Figur also, der Herr, was wir ihm aber nicht wirklich abnehmen müssen. Oder anders gewendet, was tut das zur Sache? Eben nur, ihn zu entlasten.
Ansonsten bleibt da noch der Fall der Tochter eines indischen Industriellen, die entführt wird. Der Fall führt in die Abgründe seiner semikriminellen Vergangenheit, in die Untiefen der Geheimdienste und in die aktuellen Verirrungen des internationalen Terrorismus. Bei aller Problematik ist das gekonnt und straff erzählt und darf unterhaltsam genannt werden, zumal am Ende herauskommt, dass hier eine Schuld vergolten werden soll, die keine ist.
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