Alles falsch?

Horst Bredekamps fulminante Studie über Galileis Zeichenkünste ist einer Fälschung aufgesessen. Aber in der ZEIT schlägt sich Hanno Rauterberg allzu eilfertig auf die moralisch bessere Seite

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Wie „Die Zeit“ in ihrer Ausgabe vom 27. Dezember 2013 berichtete, ist ein wichtiger Beleg für Horst Bredekamps große Studie über Galileo Galileis Zeichenkünste (Horst Bredekamp: Galilei der Künstler. Der Mond. Die Sonne. Die Hand. Akademie Verlag, Berlin 2007, siehe literaturkritik.de, April 2008) eine Fälschung, allerdings eine gut gemachte. Dem amerikanischen Historiker Nick Wilding sei die Erklärung für die Platzierung der Tuschzeichnungen auf einem Korrekturabzug der 1610 erschienenen Schrift Galileis, „Sidereus Nuncius“, des Sternenboten, nicht plausibel erschienen. Er habe daraufhin nachgefragt und „ohne die Hilfe teurer Spezialisten, ohne aufwendige Materialanalysen“ sei es ihm gelungen, die Fälschung nachzuweisen, wie der Verfasser des „Zeit“-Artikels Hanno Rauterberg süffisant vermerkt.

So habe Wilding bemerkt, dass der Bibliotheks-Stempel des Manuskripts von dem bekannten Stempel der römischen Bibliothek des Federico Cesi abweiche, eine Ausgabe des „Sidereus Nuncius“ sei zudem im Katalog der Bibliothek nicht nachweisbar gewesen. Weitere, nicht genannte Hinweise seien hinzugekommen. Schließlich sei Wilding in einem Sotheby-Katalog des Jahres 2005 auf eine weitere Ausgabe der Schrift gestoßen, die auffällige Übereinstimmungen mit der von Bredekamp benutzten Ausgabe aufgewiesen habe (verzerrte Buchstaben, Tintenklekse). Für den Verfasser des „Zeit“-Artikels keine Frage: beides Fälschungen. Umso größer der Skandal, dass Bredekamp samt angeschlossenem „teuren“ Stab sich lange gegen die Erkenntnis gesperrt habe, dass er einer Fälschung aufgesessen sei.

Nun sind die Hinweise, die im „Zeit“-Artikel versammelt werden, kaum hinreichend, eine Fälschung sicher anzunehmen (von einem: „es konnte nicht anders sein“ kann keine Rede sein, zumindest nicht nach dem, was Rauterberg in seinem Artikel vorbringt) – was allerdings die Erkenntnis nicht suspendiert, dass es sich bei diesem Text, auf den sich Bredekamps Studie neben anderen bezieht, tatsächlich um eine Fälschung handelt. Das wird mittlerweile von keinem der Beteiligten abgestritten.

Aber Hand aufs Herz: ein abweichender Bibliotheksstempel, ein fehlender Katalogeintrag, identische verzerrte Buchstaben und Tintenkleckse? Das alles ist in der Tat noch arg dünn für einen „Beweis“, wenngleich solche Hinweise irritierend sind. Man mag also Bredekamps Weigerung, sich von Wildings Nachricht stante pede überzeugen zu lassen, nachvollziehen können. Freilich von „großer Arroganz“, die Bredekamp gezeigt habe (so zitiert Rauterberg Wilding), kann wohl keine Rede sein: Wilding betont auf Nachfrage, dass er so etwas nie gesagt habe.

Auch der Verweis auf den Ursprung der Fälschung ist in Rauterbergs Artikel merkwürdig dünn: Wilding habe auf den mittlerweile verurteilten ehemaligen Leiter der neapolitanischen Girolamini-Bibliothek, Marino Massimo de Caro, hingewiesen, der unlängst im „New Yorker“ bekannt habe, dass er auch Galileis „Sidereus Nuncius“ habe fälschen lassen. Allerdings habe er die Fälschung mit Fehlern versehen lassen, um „die Kenner zu prüfen und die eigene Überlegenheit zu beweisen“, wie Rauterberg referiert.

Auch das ist schön und gut, allerdings: Wie vertrauenswürdig ist ein Betrüger, der im Nachhinein – im Jahr 2013 – einen Betrug eingesteht, der ihn nichts mehr kostet, aber Renommee einbringt? Immerhin sei es ihm gelungen, die Berliner Forscher zu übertölpeln, Bredekamp sei wie eine „ganze Kohorte angesehener Forscher“ „blamiert“ (Rauterberg). Und wie belastbar ist ein solcher Hinweis, der gegeben wird, nachdem der Zusammenhang zumindest vermutet wurde und der Übeltäter wegen anderer Delikte mittlerweile erstinstanzlich verurteilt ist? Unklar bleibt Rauterberg auch bei dem Nachweis dafür, dass die von Bredekamp benutzte Vorlage tatsächlich von De Caro in Auftrag gegeben wurde. Rauterberg nennt sie jedenfalls nicht, wie er auch die zeitliche Abfolge der einzelnen Hinweise und Belege nicht nennt (warum auch immer). Und wenn man der umfassenden Reportage von Nicholas Schmidle über die Galilei-Fälschung glauben darf, die am 16. Dezember im „New Yorker“ erschien, dann steckte hinter der Zuweisung an De Caro eine intensive Recherche, die mit einem „Hinweis“ nur unzureichend beschrieben werden kann.

Wer also Genaueres wissen will, wende sich an Nicholas Schmidles beeindruckende und detaillierte Beschreibung des gesamten Hergangs. Alle Ereignisse sind in der zeitlichen Reihenfolge genannt, sodass sich Leser ein genaues Bild machen können. Sogar die an der Fälschung Beteiligten werden ausdrücklich genannt (wenngleich sie, soweit möglich, meist dementieren).

Die Arbeit, die in dem Beitrag steckt, ist ihm anzusehen: Schmidle hat für diese Reportage – die in einer sehr guten Tradition, nämlich der des „New Yorker“ steht – nicht nur Bibliotheken und Kontaktleute in Italien, sondern auch in Südamerika und den USA besucht. Er hat die Biografie des Kopfes des Fälscherskandals De Caro aufgearbeitet und hat sogar drei Tage mit ihm – dem „Monster“, wie der sich selbst nennt – verbracht. In seiner Reportage wird der Weg der Fälschung in den Kunstmarkt ebenso rekonstruiert wie ihre Verfertigung.

Hier findet sich also alles, was man an Rauterbergs, zugegeben deutlich knapperen, Artikel vermisst. Allerdings entschuldigt das nicht die Machart des Beitrags, der immerhin von einem Feuilleton-Redakteur der „Zeit“ stammt, der sich in seiner Vita auch noch mit einer Ausbildung an der Henri-Nannen-Schule sowie einer Tätigkeit beim „Spiegel“ ausweist. Immerhin seit 1998 ist Rauterberg zudem bei der „Zeit“. Er ist also keineswegs ein Anfänger, mit dem die Empörung durchgegangen ist.

Dennoch ist der Artikel  tendenziös und schlecht gearbeitet: Wilding gibt an, dass eine Reihe der ihm zugeschriebenen Zitate dem Schmidle-Beitrag entnommen sind, möglicherweise stammen aus ihm auch einige Zuspitzungen (der Arroganz-Vorwurf zum Beispiel). Horst Bredekamp teilte auf Nachfrage mit, dass ein ursprünglich vereinbarter Beitrag von ihm für die „Zeit“ und ein Interview abgesagt worden seien. Ansonsten habe es kein Gespräch und keine Korrespondenz gegeben. Mit anderen Worten: Alles, was in Rauterbergs Artikel Bredekamp als O-Ton zugeschrieben wird, stammt nicht direkt von dem Attackierten, sondern ist, wie Wilding so nett formulierte, „retro-engineered“ von Schmidles Beitrag. Wilding gab zudem zu verstehen, er habe das Gefühl, dass Rauterbergs Artikel gezielt gegen Bredekamp gerichtet sei und seine Geschichte dazu genutzt worden sei. Wie Bredekamp in einer für die „Zeit“ geschriebenen Entgegnung mitteilt (erschienen am 9. Januar 2014), hat er zudem Wilding mittlerweile in die erneute Begutachtung des Druckes eingebunden.

Dass ändert allerdings nichts daran, dass die Hinweise auf die Fälschung nur wahrnimmt, wer sehr genau hinsieht, misstrauisch genug und noch Glück hat: eine ungebrochene Linie im Bibliotheksstempel, eine Ligatur und ein Verschreiber („pepiodis“ statt „periodis“ auf der Titelei), Tintenspuren, die auf das Druckverfahren, das für die Fälschung verwandt wurde, zurückgehen, stärkere Druckspuren als historisch geboten, eine Verschiebung der Typografie, die mit Drucklettern nicht zu erklären ist, ein Flecken, der auf einer Reproduktion, aber nicht auf der Vorlage zu finden ist. Wildings Kenntnisreichtum und Genauigkeit sind in der Tat tief beeindruckend (und Rauterberg, der Kunsthistoriker ist, über ein Renaissance-Thema promoviert wurde und in der Denkmalpflege gearbeitet hat, hätte schon das eine oder andere davon genau beschreiben können).

Keine Frage, begeisterte Wissenschaftler werden solche Hinweise übersehen: Und Bredekamp hält – von Schmidle befragt – die Fälschung immer noch für ein Meisterwerk, räumt aber heute ein, dass der „Sidereus Nuncius“-Druck mit den schönen Aquarellen keine 10 Millionen Euro wert ist. Das Ganze habe sich, so zitiert Rauterberg Bredekamp, zu einem „Albtraum“ entwickelt, „der nicht enden will“ (ein Zitat, das wohl aus dem „New Yorker“ stammt). Immerhin steht seine Reputation als Kunsthistoriker auf dem Spiel, und mehr als das: Bredekamp ist zweifelsohne einer der einflussreichsten und wirkungsvollsten Vertreter seines Faches, weit über dessen Grenzen hinweg.

Dabei steht im Zentrum seines Interesses und auch seiner „Sidereus Nuncius“-Studie aus dem Jahr 2007 der Zusammenhang von bildlicher Darstellung und wissenschaftlicher Erkenntnis. Dafür waren Galileis Zeichnungen willkommene Belege, an denen sich zeigen ließ, was Bredekamps Generalthese im Allgemeinen behauptete: dass nämlich moderne Erkenntnis immer auch auf der Anschauung beruhte, Anschauung jedoch noch in der frühen Neuzeit gegen die wissenschaftlichen, theologischen und administrativen Autoritäten durchgesetzt werden musste. An dieser These muss auch jetzt noch nicht gezweifelt werden – und sie scheint mir auch immer noch breite Akzeptanz zu genießen –, auch wenn ein wichtiger Baustein in Bredekamps Argumentation ausfällt.

In diese Richtung aber zielt Rauterberg mit dem Schluss seines Artikels – und bedient sich dabei eines rhetorischen Verfahrens, das ein wenig unredlich wirkt (ebenso unredlich wie zuvor die Belege dünn sind): Er lässt Wilding gegen Bredekamps These argumentieren, die freilich keinen untrennbaren Zusammenhang mit diesem konkreten Beleg hat: Was werde aus jener Art Kunstgeschichte, für die Bredekamp stehe? Was werde aus seiner Theorie von der „denkenden  Hand“?

An dieser Passage von Rautenbergs Text ist zweierlei auszusetzen: Angemessener wäre es wohl, von einer These zu sprechen, die mit einer Metapher gefasst wird, nämlich vom Zusammenhang von Erkenntnis und Wahrnehmung. Und die wird eben nicht durch den Irrtum Bredekamps suspendiert.

In keinem Zusammenhang damit steht die Frage danach, wie kostspielig Bredekamps Irrtum ist und wie effizient und gegen Missgriffe gefeit die angewandten analytischen Verfahren der Arbeitsgruppe um ihn sind. Dass Bredekamp dem Skandal nun keine Taten, sondern ein neues Buch folgen lasse, in dem die früheren Untersuchungen wiederholt und vertieft würden, wird ihm sogar als Verfehlung angekreidet. (Im Jahr 2011 hat Bredekamp einen umfänglichen zweibändigen Bericht zum fraglichen Druck herausgegeben, dem ein dritter Teil nun folgen soll, in dem die bisherigen Ergebnisse wohl ganz kassiert werden, wie Bredekamp berichtet.) Schmidle hingegen stellt dies als eine in sich durchaus konsequente Reaktion dar. Der allgemeine Ruf nach „einheitlichen, strengen Methoden“, in den Rauterberg Wilding ausbrechen lässt, ist jedenfalls billig – und kaum realistisch, nicht weil dies nicht einigungsfähig ist, sondern weil sich Fälle unterscheiden und auch Wissenschaft vor Irrtümern nicht gefeit ist. Eine Diskussion von Verfahren und Thesen ist zudem nicht zu fordern, sondern zu führen, und das jeweils konkret – und das steht jedem frei, der dazu Stimme und Forum hat.

Aber so wie Rauterberg vorgeht, kann am Ende einer solchen Diskussion nur eines stehen: die Abschaffung der teuren Apparate, wenn sie denn irren können, und die Feier des Einzelkämpfers (auch wenn der viel häufiger irrt). Das aber setzt diesem Beitrag, der als Beweis vorgibt, was bestenfalls Teil einer Indizienkette ist, die Krone auf, wie der Beitrag selbst zugleich am seriösen Image der „Zeit“ kratzt:  zu oberflächlich, zu unpräzise, mit unklarer Quellenlage, zu tendenziös und mit unseriöser Zielrichtung.