Diskursive Verflechtungen in der Wissenschaft
Paul Michael Lützelers „Transatlantische Germanistik“ behandelt deutsch-amerikanische Wechselbeziehungen
Von Linda Maeding
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie Geschichte der transatlantischen Germanistik ist noch nicht geschrieben. Der seit Jahrzehnten an der Washington University in St. Louis lehrende Germanist Paul Michael Lützeler weist im vorliegenden Band darauf hin, ohne dass es seine Absicht wäre, diese Lücke zu schließen. Die Sammlung von Aufsätzen und Reiseberichten will auch keine Rekapitulation deutsch-amerikanischer Fachbeziehungen liefern. Vielmehr geht es dem Autor unter dem Motto einer transatlantischen Germanistik darum, „die Verflechtung von amerikanischen und deutschen Diskursen in den Literaturwissenschaften“ aufzuzeigen und zu analysieren. Die Untersuchung der Wechselbeziehungen aus kulturwissenschaftlicher Perspektive schöpft dabei in hohem Maße aus den „transatlantischen Erfahrungen“ des Autors als Pendler zwischen (mindestens) zwei akademischen Welten und Wissenschaftstraditionen. Gerechnet ab dem Jahr 1968, als der Berliner Student zunächst für ein Austauschjahr in die USA wechselte, zieht Lützeler in den Beiträgen Bilanz aus ingesamt 40 Berufsjahren in den USA. Der Stellenwert biografischer Erfahrungen – insbesondere in den Berichten von Vortragsreisen und internationalen Gastprofessuren – ist tatsächlich ungewöhnlich hoch für ein Buch, das sich mit Fragen der Wissenschaftsgeschichte und -organisation einer Disziplin beschäftigt. Die Vergleiche der Hochschulpolitiken (Stichwort Exzellenzinitiative), der Universitätsbildung (etwa was die Bachelor-Ausbildungen beider Länder betrifft) sowie die Behandlung von Identitätsfragen (die Erfahrungen von US-Autoren in Europa beziehungsweise europäischer Exilierte in den USA) profitieren allerdings durchweg von der Expertise des Autors, wenn er auch der Gefahr, ins Anekdotische abzurutschen, nicht überall entkommt (etwa was den Beitrag über Siegfried Unselds verlegerischen Ausflug in die USA angeht).
Ein Verdienst des Buches ist es, zentrale Fragestellungen einer transatlantischen Germanistik im kulturwissenschaftlichen Feld zusammengetragen zu haben: von der Literaturvermittlung über die Hochschulbildung bis hin zur Rolle von Stiftungen, wie allen voran der Alexander von Humboldt Stiftung, und dem Einfluss von Fachzeitschriften. Diese Einbeziehung von Institutionen, die (nicht nur) in der internationalen Germanistik von maßgeblicher Bedeutung sind, wurde bisher tatsächlich von der Disziplin viel zu selten realisiert.
Obwohl der Buchtitel eine Fokussierung auf deutsch-amerikanische Wissenschaftsfragen verspricht, wird das Panorama in den Beiträgen dann systematisch erweitert. Anders wäre es von einem Germanisten, der sich nicht nur umfassend dem Europa-Diskurs in der Literatur gewidmet hat, sondern auch globalen interkulturellen Themen, nicht zu erwarten gewesen. Insbesondere das den Band beschließende Kapitel „Internationale Germanistik“ weist über den transatlantischen Rahmen hinaus und resümiert Erfahrungen etwa im Austausch mit japanischen und indischen Germanistik-Vertretern. So plädiert Lützeler für den Dialog der Germanistiken im Plural, wobe allerdings nicht genauer auf das Konzept der in der Einleitung angeführten „Multikultur“ eingegangen wird.
Ohne weiteres kann man der ebendort geäußerten These zustimmen, es gebe heute keine dominierende literaturwissenschaftliche Tendenz oder Methode mehr, vielmehr eine Vielfalt konkurrierender Ansätze. Doch gerade angesichts dieser Ausgangslage vermisst man eine schärfere theoretische Positionierung des Autors in Sachen transatlantischer Germanistik. Adaptiert wird Edgar Morins Begriff einer Dialogik, der Konzepte wie „Kontakt“ oder „Austausch“ umfasse, aber für Lützeler auch auf die Grenzen von „Assimilation“, „Akkulturation“ oder „Integration“ hinweist. Es gehe um die „Bezeichnung wechselseitiger kultureller Einflüsse, wobei Komplementarität, Konkurrenz und Antagonismus zwischen den aufeinandertrefenden Komponenten mit ihren Eigenlogiken erhalten bleiben.“ Hier wäre eine weitergehende Klärung angebracht, um den folgenden Aufsätzen in der Zusammenstellung größere Kohärenz zu verleihen. Dennoch bewährt sich der Band als, so Lützeler selbst, ein „Mosaik von Texten, die einen Eindruck von der gegenwärtigen transatlantischen Germanistik vermitteln“.
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