Ein Crash-Kurs in Sachen Reformationsgeschichte?
Die Hörbuch Einführung in die Reformationsgeschichte von Sebastian Schmidt
Von Daniel Weis
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEin Hörbuch als Einführung in einen komplexen Gegenstand wie die Reformationsgeschichte zu veröffentlichen, kann und muss als Wagnis bezeichnet werden. Insbesondere dann, wenn die Spielzeit des Hörbuchs nur knapp 67 Minuten beträgt. Anhand dieser Grundvoraussetzungen wäre es unfair, zu erwarten, dass diese Einführung, wie beispielsweise gedruckte Einführungen, einen fundierten Überblick über diese Epoche, deren Anfänge bereits im 15. Jahrhundert und ihr relativer historischer Endpunkt am Ende des 30-jährigen Krieges liegt, gewährleistet. Daher scheint auf den ersten Blick der Reihentitel, unter dem das Hörbuch erschienen ist („Wissen, was stimmt“), problematisch. Kann es doch nur, so möchte man meinen, eine satte Verkürzung auf wichtige Namen und Fakten implizieren, nicht aber ein umfängliches Wissen über die Genese beziehungsweise den Verlauf der Reformation im Einzelnen bedeuten. Und es stellt sich die Frage, ob man durch die Benutzung eher einen informativen Crash denn eine qualitativ hochwertige Einführung erfährt? Aber man wird recht schnell eines Besseren belehrt.
Dass die Entwicklung der Reformation nicht primär an Luther gebunden war, sondern ihre Ursprünge auch bei führenden Theologen des 15. Jahrhunderts, etwa Nikolaus von Kues, zu finden sind, wird gut ausgeführt und damit ein Bogen zur Zeit Luthers geschlagen, so dass ein guter Geschichtszusammenhang hergestellt wird. Auch wird sehr fundiert über die kirchlichen Machenschaften wie zum Beispiel den „Ämterkauf“ oder die Vernachlässigung geistlicher Fürsorge berichtet, die nicht zuletzt auf der mangelnden seelsorgerischen Ausbildung der Priester beruhte, die die Zweifel der Menschen an der Rolle der Kirche als Hüterin ihrer Schafe verstärkten und so mit als Grundlage nach dem Ruf nach Reformation, also der Wiederherstellung der ursprünglichen Kirche, beförderten.
Für die Zeit um 1500 und die Bedeutung der Humanisten bei der Formulierung der Kirchenkritik wird allein auf die Prominenz Erasmus von Rotterdam und sein „Lob der Torheit“ (Track 5), jener Schrift, in der er satirisch den Klerus abhandelte, verwiesen, obwohl es noch andere bedeutende Humanisten, etwa Ulrich von Hutten gab, der ebenfalls sehr radikal die Kirche und ihre Praktiken kritisierte.
Die geistesgeschichtlichen und biografischen Zusammenhänge über die Person Martin Luthers, die zur Genese seiner Reformation beitrugen, werden in einem längeren Abschnitt (ca. 10 Min.) ausführlich beschrieben. Es wird über seine geistige Entwicklung, wie etwa seine Romreise, auf der er erste Zweifel an der kirchlichen Bedeutung der Reliquien für das menschliche Seelenheil bekam bis hin zu den Römerbrief- Vorlesungen, nach denen Luther die drei intellektuellen Kategorien, die zentral für die reformatorische Lehre sind (sola scriptura, sola fide und sola gratia), berichtet.
Gleiches gilt, wenngleich auch sehr verkürzt, für die Entwicklungen und Überzeugungen, die sich gesellschaftlich (Erhebung der Bauern) wie politisch (Reichsstände, die sich zur neuen Lehre bekannten und sich damit gegen den Kaiser stellten) vollzogen, die die Reformation Luthers mit sich brachte. So wird vom Beginn der Reformation (1517ff.), über den Wormser Reichstag und des sich daran anschließenden Edikts gegen Luther, über den Bauernkrieg bis zur Confessio Augustana (1530), dem protestantischen Glaubensbekenntnis, das die protestantischen Reichsstände Karl V. in Augsburg vortrugen, berichtet. Verstörend wirkt allerdings, dass Schmidt in seiner Einleitung und auch in der Kapitelüberschrift von der „Veröffentlichung der 95 Thesen“ spricht, dann aber den „Thesenanschlag“ unkommentiert wieder ins Feld führt, von dem sich die moderne Geschichtsschreibung schon lange verabschiedet hat und stattdessen – wie Schmidt zunächst auch – von einer „Thesenpublikation“ (Leppin) beziehungsweise „Veröffentlichung“ (Schmidt) spricht.
Unbedingt positiv muss man vermerken, dass die Darstellung der drei Lutherischen Hauptschriften aus dem Jahr 1520 („An den christlichen Adel deutscher Nation“, „De Captivitate Babylonica Ecclesiae Praeludium“ (Schmidt nennt nur den deutschen Titel [„Von der Gefangenschaft der Babylonischen Kirche“], weist aber daraufhin, dass diese Schrift, die sich primär an die Theologen richtete und daher in lateinischen Sprache, der Gelehrtensprache des 16. Jahrhunderts, verfasst ist) und „Von der Freiheit eines Christenmenschen“) alle Beachtung finden und ihre Grundaussagen sowie der historische Kontext werden kurz und knapp dargestellt.
Ist die Einführung nun ein Crashkurs in Sachen Reformationsgeschichte? Ja, aber ein fundierter, so dass man bei der Benutzung eben keinen Crash erleidet. Denn, was den schnellen historischen und geistesgeschichtlichen Überblick angeht, steht das Hörbuch gängigen Einführungen in nichts nach, ist also für einen ersten Einstieg in das Thema (für Studierende) durchaus geeignet. Die eigentliche Leistung des Hörbuchs ist, dass die Genese von Luthers reformatorischem Denken, denn die Begriffe sola scriptura, sola fide und sola gratia, die sich aus seiner akademischen Laufbahn als Augustiner Eremit und dem anschließenden Doktor der Theologie herleiten, ebenfalls sehr präzise und gut herausgearbeitet sind, was in manchen Luther und/oder reformationsgeschichtlichen Einführungen nicht immer der Fall ist. Und auch die historischen Ereignisse, wie beispielsweise der Speyerer Reichstag, an dem die protestantischen Stände erstmals als solche in Erscheinung traten, werden kurz aber fundiert wiedergegeben.
Allerdings, was die Kontroverse („Thesenanschlag“ beziehungsweise „Thesenpublikation“) angeht, sollte man, nein, muss man leider auf gängigen gedruckten Einführungen zur Reformationsgeschichte zurückgreifen.