Ein gemäßigter Pessimist

Zum Text+Kritik-Band über Hans Fallada

Von Heribert HovenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heribert Hoven

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Über den primitivistischen Stil Hemingways urteilt Hans Fallada alias Rudolf Ditzen: „Er zeichnet nur ein paar Striche, grade die Striche, die notwendig sind für die Kontur. Das andere überläßt er seinen Lesern […] Er gibt den Umriss, das andere haben wir zu geben. Wenn wir etwas zu geben haben, da liegt das Geheimnis.“ Leider bleibt es auch ein Geheimnis, wann und wo Fallada den das Heft einleitenden Artikel „Ernest Hemingway oder Woran es liegt“ geschrieben hat. Sei es drum. Denn was Fallada selbst zu geben hat, das erfahren wir in den folgenden Beiträgen sehr wohl.

Carsten Gansel untersucht das Frühwerk des Autors, den 1920 bei Rowohlt erschienenen Debütroman „Der junge Goedeschal“ sowie die zwischen 1921 und 1929 entstandene Novelle „Die Kuh, der Schuh, dann du“. Für den Roman weist er die inhaltlichen Anlehnungen an die bekannten Adoleszenz-Romane der Vorkriegszeit nach, aber auch neue Erzählverfahren, etwa eine „Art Bewusstseinsstrom“. In der Novelle, die „bislang nur peripher Gegenstand literaturwissenschaftlicher Analyen gewesen ist“, erkennt Gansel advantgardistische Schreibweisen, die er allerdings biografisch deutet und auf den Konsum von Kokain zurückführt. Deshalb thematisiere der Text auch Rauscherfahrungen. Karl Prümm unternimmt eine Aufwertung bisher wenig beachteter Texte Falladas, die er während seiner Tätigkeit als Lokalreporter des „General-Anzeiger für Neumünster“ verfasste. In den Reportagen und Filmkritiken, die Prümm jedoch keineswegs mit den Texten der berühmten Zeitgenossen wie Erich Kästner oder Joseph Roth auf eine Stufe stellen will, sieht er vielmehr biografische Gelenkstellen „auf dem Weg zum realistisch-veristischen Zeitroman, zum semidokumentarischen, erfahrungsgesättigten Schreiben“, mit dem Fallada dann 1930/31 der Durchbruch zum Erfolgsschriftsteller gelingt.

Etwas redundant wirkt demgegenüber der Artikel von Stefan Knüppel „Fallada als Publizist und Literaturkritiker“, da er zunächst ebenfalls die Neumünster Artikel untersucht, dann aber auch auf die Berliner Texte für den „Querschnitt“, die „Vossische Zeitung“ und „Die Literatur“ eingeht, dabei allerdings deren Inhalt eher paraphrasiert als analysiert.

Der ausgewiesene Filmhistoriker Michael Töteberg zeichnet die verworrenen Wege nach, welche die Verfilmung von Falladas Roman „Kleiner Mann – was nun?“ nimmt. Im August 1933 kam der Film in die Kinos. Fallada allerdings ging auf Distanz zu diesem, wie er seiner Schwester schrieb, „mittelmäßigen Spielfilm mit einer schrecklichen Kolportagehandlung.“ Denn die Produktion war zunehmend in die Mühlen der sogenannten Nationalen Revolution geraten. Das Scheitern dieses mit großer Liebe und Hoffnung begonnenen Projektes mündete in eine tiefe Enttäuschung.

Walter Delabar untersucht den soziologischen Hintergrund in den Erfolgsromanen der 1930er-Jahre. In den Figurenkonstellationen erkennt er „männliche Modernisierungsverlierer“, denen gemeinsam ist: „das Unvermögen, sich auf veränderte gesellschaftliche Verhältnisse einzustellen. Fallada erzählt Männergeschichten mit desaströsen Verläufen.“ Für Fallada und seinen Verleger Rowohlt war die Veröffentlichung von Romanen, die allesamt in der den Nazis verhassten „Systemzeit“ situiert waren, nicht ohne Risiko, das sie nur durch eine geschickte Ausnutzung des für die Diktatur typischen Instanzenwirrwarrs umgehen konnten. Die Romane entziehen sich einer eindeutigen ideologischen Positionierung. Demnach können ihre Abstiegsszenarien den Aufstieg des „Dritten Reiches“ umso strahlender erscheinen lassen.

Eine ähnlich offene, den Zeitumständen der inneren Emigration geschuldete Strategie sieht Daniel Lutz im 1937 erschienenen Roman „Wolf unter Wölfen“. „Der Roman“, so Lutz, „moderiert Ideologie sowohl inhaltlich als auch mittels literarischer Verfahren, indem die gesellschaftlichen Konsequenzen der Moderne in ein Modell der individuellen und ästhetischen Bewältigung überführt werden. Entsprechend funktioniert er damit als groß angelegte Integrationserzählung moderner Zumutungen.“

Norman Ächtler wendet sich den beiden letzten, in der Nachkriegszeit entstandenen Romanen Falladas zu: „Der Alpdruck“ und „Jeder stirbt für sich allein“, beide 1947 postum erschienen. Obwohl als Auftragsarbeiten durch den späteren DDR-Kulturminister Johannes R. Becher initiiert und daher als positiver Ausblick auf ein besseres Deutschland geplant, erweist sich der Autor in den ambivalenten Charakteren der Romane und auch nach seiner eigenen Aussage als „gemäßigter Pessimist“.

Die beiden letzten Artikel der Zeitschrift untersuchen schließlich die Rezeption von Fallada und die Ursachen für seinen Erfolg. Gustav Frank und Stefan Scherer erkennen sie in der „Mikrodramatik der unscheinbaren Dinge“, die Falladas Werk auszeichnet. Für Reinhard Zachau ist gerade der Erfolg der Romane, der bis in die Gegenwart andauert, der Grund dafür, dass die Literaturwissenschaft den Autor bislang unterschätzt hat und ihn eher stiefmütterlich behandelt. Zachau widmet sich chronologisch den Einzeluntersuchungen zu Fallada und stellt fest, dass „die Rezeption von Falladas Werk eine radikale Veränderung durchlaufen hat“, was die hier versammelten Aufsätze eindrucksvoll belegen: „Aus einem fragwürdigen parteiischen Vertreter der Weimarer Querelen ist ein Vorreiter der Ästhetik der literarischen Moderne geworden… Das hat zuletzt der (hier vielfach zitierte, A.d.V.) Sammelband von Patricia Fritsch-Lange und Lutz Hagestedt gezeigt, der Falladas Werke erstmals im ,Literatursystem der Moderne‘ nun auch im Hinblick auf die eingesetzten literarischen Verfahrensweisen verortet.“

Titelbild

Gustav Frank / Stefan Scherer (Hg.): Text + Kritik. Hans Fallada.
edition text & kritik, München 2013.
109 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783869162577

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