Erich Kästners verwirrender Wechsel der Medien und der Namen

Aus Anlaß einiger Veröffentlichungen zu Kästners 100. Geburtstag

Von Eberhard BürgerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eberhard Bürger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der bekannte Kinderbuchautor, der satirische oder sentimentale Lyriker Erich Kästner ist in vieler Hinsicht noch ein großer Unbekannter. Darin sind sich auch die beiden großen Biographien, die zu seinem 100. Geburtstag vorgelegt wurden, einig. Kaum jemand kennt Kästner als einen jener Autoren, die schon früh systematisch und professionell die Möglichkeiten nutzten, die ihnen von den neuen Massenmedien des 20. Jahrhunderts geboten wurden. Er schrieb nicht nur für Zeitungen und Buchverlage, für das Kabarett und für das Theater, sondern zugleich für den Film und für den Hörfunk. Sein Arbeitsalltag war vom raschen Wechsel von einem Medium zum anderen geprägt. Ein anschauliches Bild davon geben seine Briefe an die Mutter. Im Oktober 1926 berichtet er ihr: "Ich muß arbeiten. Heute abend fange ich mit [Ernst] John den zweiten Akt - besser das zweite Bild - an. Morgen früh - also Sonntag muß ich für Weißkopf paar Sachen schreiben. Es wird ein Reklameprospekt mit dem Text von mir. Dann muß ich noch Bücher fertig lesen, die mir Dr. Michael zur Besprechung schickte. Ich will die Besprechung Dienstag abliefern. Dann will ich ab Montag früh den ersten Akt in die Maschine tippen. Für die Decke [gemeint ist Hilde Decke, die Chefredakteurin der Leipziger Familienillustrierten Für alle] (sie schickte mir heute wieder 50,- Mark!) zwei Gedichte fabrizieren. An den Nachmittagen will ich mit John weiterarbeiten. Kurz: viel Arbeit."

Kästners Karriere als freier Schriftsteller begann mit Arbeiten für Zeitungen und Zeitschriften. Spätestens 1927 weitete er seine schriftstellerische Tätigkeit auf das Theater aus. Am 16. Februar 1927 berichtet er seiner Mutter: "Das Weihnachtsmärchen will ich 1. Juli fertig haben, damit's noch für diese Weihnachten aufgeführt werden kann. Der List-Verlag könnte es in Bühnenvertrieb nehmen. Außerdem hat mir Balthasar, mit dem ich studiert hab' bei Köster und der vom Erbprinzen Reuß ein Duzfreund ist, gesagt, ich soll ihm alles, was ich schreib, anbieten, daß er's dann Reuß und seinem Theaterintendanten, dem Ilz, vorlegt." 1927 ist Kästners erstes, unlängst im Nachlaß seiner Sekretärin Elfriede Mechnig wiedergefundenes Bühnenstück "Klaus im Schrank" uraufgeführt worden. 1928 erschien seine erste Buchpublikation, der Gedichtband "Herz auf Taille". 1929 wurde seine erste größere Arbeit für den Rundfunk, die Revue "Leben in dieser Zeit" uraufgeführt. Zu dieser Zeit war Kästner dem jungen Medium Radio bereits in vielfältiger Weise verbunden. Am 15. Oktober 1929 schrieb er der Mutter aus Berlin: "Am 29. Oktober halte ich hier eine Kinderstunde im Rundfunk." Am 5. November berichtet er darüber und erwähnt noch andere Projekte für den Funk: "Die Kinderstunde war glaube ich ganz nett. Für den Rundfunk - Dr. Flesch - soll ich ein Cabaret schreiben, für den 29. November, ein Programm zusammenstellen, auch Beiträge von anderen, Tucholsky, Mering usw. Dafür lasse ich mir, es wird eine Menge Arbeit, 500,- Mark zahlen, wenn er sie mir zahlt, heißt das. Ein Hörspiel soll ich auch machen, ich werde ihm den Emil dafür vorschlagen". Etwa vier Monate später, am 5. März 1930, erzählt Kästner seiner Mutter stolz von einem weiteren neuen Medium, das sich für die Verbreitung seiner Texte anbot: "Nächstens werden also wahrscheinlich Grammophonplatten von mir hergestellt. Ich freue mich schon darauf. Dann schenke ich Dir einen hübschen, guten, kleinen Apparat und da kannst Du so oft Du willst, die Stimme von dem ollen Jungen hören." Im gleichen Jahr begann Kästners Durchbruch in dem Medium, für das er fortan regelmäßig arbeitete: dem Film. Der Erfolg von Emil und die Detektive öffnete ihm ganz den Zugang zum Kino. Zusammen mit dem englischen Produzenten und Regisseur Emmerich Pressburger verfaßte Kästner einen Drehbuchentwurf zu seinem Kinderroman. Und mit Pressburger arbeitete er noch zwei weitere Drehbücher aus: "Dann schon lieber Lebertran" und "Das Ekel". Beide Filme kamen 1931 in die Kinos.

Spätestens mit dem Emil-Roman wurde Kästner zum professionellen, multimedial versierten Mehrfachverwerter seiner Ideen und Stoffe. Schon der Gedichtband Herz auf Taille war eine Auswahl dessen, was zuvor in Zeitungen erschienen war. Eine Auswahl mit verbindenden Zwischentexten, ergänzt durch neue Chansons, die danach wiederum separat erschienen, wurde 1929 unter dem Titel "Leben in dieser Zeit" auch als Hörfunkrevue gesendet. Kästner arbeitete diese Funkrevue zusätzlich noch zu einer Bühnenfassung aus. Mit "Emil und die Detektive" wurde diese Art der Mehrfachverwertung jedoch noch weit überboten. Kästner verarbeitete den Stoff zu einem Theaterstück, verkaufte die Rechte zur Verfilmung, schrieb die erste Drehbuchfassung und zog die Bearbeitung zu einem Hörspiel in Betracht.

Mehrfachverwertung und permanenter Medienwechsel wurden seitdem für Kästner zur Selbstverständlichkeit. Bevor Kästner nach dem Krieg seinen Kinderroman "Das doppelte Lottchen" schrieb, hatte er den Stoff 1943 für den (nicht realisierten) Kinderfilm "Das große Geheimnis" bearbeitet. Dem Erscheinen des Romans folgte die detailliertere Ausarbeitung eines Drehbuchs.

Für Kästner war der Wechsel zwischen den Medien zunächst eine Art Talentprobe. Bezeichnend dafür ist, was er 1960 in der Rede zur Verleihung des Hans-Christian-Andersen-Preises über den eigenen Weg zum Kinderbuchautor ausführte: "An einem dieser schwelenden Nachmittage nahm mich die Gastgeberin beiseite [...] und fragte mich, ob ich nicht einmal versuchen wolle, ein Kinderbuch zu schreiben [...]. Fest steht, daß die befremdliche Anregung völlig außerhalb meiner literarischen Interessen lag. Warum griff ich dann die Anregung auf? Ich war auf meine Talente neugierig. Wenn man mir statt eines Kinderbuches ein Opernlibretto vorgeschlagen hätte, wahrscheinlich hätte ich das Libretto versucht." Die neuen Massenmedien kamen weiterhin Kästners schon früh und ganz offen geäußertem Ehrgeiz entgegen, berühmt zu werden. "Wenn ich 30 Jahr bin, schrieb der 28-jährige seiner Mutter, will ich, daß man meinen Namen kennt. Bis 35 will ich anerkannt sein. Bis 40 sogar ein bißchen berühmt. Obwohl das Berühmtsein gar nicht so wichtig ist. Aber es steht nun mal auf meinem Programm. Also muß es eben klappen!"

In der Zeit der Weimarer Republik, war das Prinzip der Mehrfachverwertung und des Medienwechsels für einen Autor, der allein vom Schreiben leben wollte, unabdingbar. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde sie zu einer ökonomischen Überlebensfrage. Am 22. Oktober 1934 schrieb Kästner seiner Mutter: "Hier trägt sich fast alles mit dem Gedanken, sehr bald ins Ausland zu gehen. Filme, Stücke etc., alles wird verboten, dann erlaubt, dann wieder verboten. Da fällt das Geldverdienen schwer. Na, ich finde, man muß es eben doch versuchen, zu bleiben." Kein Zweifel: die entscheidende Motivation für Kästners engagierte Offenheit gegenüber diversen Medien war das Honorar. Über die Höhe der ihm angebotenen Honorare berichtet er der Mutter permanent. Und für ein lukratives Honorar übernahm er auch Arbeiten, die ihm nicht sonderlich lagen. Noch vor Erscheinen seines zweiten Kinderromans "Pünktchen und Anton" schrieb Kästner dazu eine Bühnenfassung. Wie aus einem Brief an die Mutter hervorgeht, war dabei sein künstlerischer Anspruch sekundär: "Dafür will aber Reinhardt im Deutschen Theater ein Kinderstück von mir bringen. Ich habe ihnen 'Pünktchen' in den Fahnen schicken lassen. Wenn sie wollen und einen anständigen Vorschuß zahlen, kann ich ja ein Stück daraus machen." Aufschlußreich für seinen Umgang mit Auftragsarbeiten sind die Briefe vom 10. und 12. März 1931: "Stell Dir vor: Heute Dauerlauf in die Ufa. Ich soll mit Preßburger bis Montag ein Filmmanuskript völlig umarbeiten, was die anderen verpatzt haben ..." Und einen Tag später: "Aber dafür ist es rasch verdientes Geld! und ich hab ausgemacht, daß mein Name dabei nicht genannt wird. Denn schön wird der Film nicht."

Diese Äußerungen sind nicht zuletzt deshalb aufschlußreich, weil sie bei Kästners ständiger Gratwanderung zwischen finanziellem Erfolg und Erhaltung seines literarischen Ansehens auf eine Strategie hinweisen, die im Laufe seiner Schriftstellerkarriere oft geradezu abenteuerliche Formen annahm: auf das Verschweigen oder den Wechsel seines Namens. Neben den Namen Robert Neuner, Berthold Bürger, Melchior Kurtz, Peter Flint oder E. Fabian verwendete er etliche weitere Pseudonyme, die heute keineswegs alle bekannt sind. Kästners häufiger Namenswechsel ist Symptom von Rollenkonflikten, die mit Problemen des Medienwechsels unmittelbar verbunden sind. Skrupel, daß das Renommee seines Namens durch Auftragsarbeiten und medienspezifische Zwänge Schaden leiden könnte, hatte er durchaus. Über den kommerziellen Charakter des Kinos und die tendenzielle Unvereinbarkeit von Kommerz und Kunst machte er sich keine Illusionen. Auf eine Umfrage der Zeitschrift "Die neue Bücherschau" nach den Vorstellungen junger Autoren über ihre Arbeit für das Kino antwortete Erich Kästner 1929: "Solange Filme wie Briketts oder Konfektionsanzüge hergestellt werden, solange erreichen gute Manuskripte, begabte Regisseure und verantwortungsbewußte Darsteller nichts weiter, als daß sie in die Maschinerie geraten oder aufs laufende Band. Die Filmgesellschaften sind Fertigwaren-Betriebe, bei denen vorübergehende Stillegung oder Drosselung größte Defizite einbringt. Und so wird an Rohstoffen heran geschleppt, was sich nur irgend findet, auch wenn sich nichts findet - damit kein Leerlauf entsteht." Erste eigene negative Erfahrungen mit dem neuen Medium Film machte der Autor, als sein zusammen mit Emmerich Pressburger verfaßtes Drehbuch zum Emil-Roman von der Filmgesellschaft anderen zur Überarbeitung gegeben wurde. Über das Ergebnis berichtete er der Mutter: "Das Manuskript ist ekelhaft. Emil klaut in Neustadt einen Blumentopf für die Großmutter. In Berlin, auf der Straßenbahn, klaut er einem Herrn den Fahrschein aus dem Hut und läßt für sich knipsen. Der Herr wird von der Bahn gewiesen. Ein Goldjunge, dieser Emil. Der 'Stier von Alaska' wird er genannt. Ponny, 'Die Rose von Texas'. Lauter Indianerspiel, wo doch heute kein Mensch mehr Indianer spielt. Die ganze Atmosphäre des Buchs ist beim Teufel. Und ich werde Anfang der Woche saugrob werden, wenn ich mit Stapenhorst (dem Produktionsleiter) rede." Mit der endgültigen Ausarbeitung des Drehbuchs durch Billy Wilder war Kästner zwar zufriedener, doch blieb gegenüber der Romanverfilmung ein Unbehagen zurück, das ihn hinfort dazu veranlaßte, die Drehbücher zur Verfilmung seiner Werke möglichst selbst zu schreiben.

In den Filmen "Das doppelte Lottchen" und "Das fliegende Klassenzimmer", war Kästner als Drehbuchautor offiziell angegeben. In anderen Fällen versuchte er, mit der Verwendung verschiedener Arten von Pseudonymen der Gefahr des Prestigeverlustes zu begegnen, zwischen 1933 und 1945 existentielleren Bedrohungen. Kästner-Editionen haben in solchen Zusammenhängen oft geradezu kriminalistische Arbeit zu leisten.

Dafür ein Beispiel aus dem Jahr 1949. Aus den Handschriften, Typoskripten, Vorabdrucken und Briefen in Kästners Nachlaß geht hervor, daß sein 1956 publiziertes Drama "Die Schule der Diktatoren" schon 1949 in einer frühen Fassung teilweise vorlag. Fertig war es jedoch noch längst nicht. Dennoch kündigten einige Zeitungen für den Herbst dieses Jahres die Uraufführung in Zürich an. Es scheint, als seien diese Meldungen Bestandteil einer oft abenteuerlichen Öffentlichkeitsarbeit, die Kästner immer wieder ganz gezielt für seine Person und sein Werk betrieb. Im gleichen Jahr wurde nämlich unter dem Pseudonym Melchior Kurtz sein schon 1943 beendetes, vergleichsweise harmloses Lustspiel "Zu treuen Händen" uraufgeführt. Das Pseudonym wählte Kästner deshalb, weil er, so seine nachträgliche Erklärung, den eigenen Namen für sein eigentliches Theaterdebüt, für 'Die Schule der Diktatoren', aufheben wollte." Da nun aber schon bei der Aufführungen des weit weniger anspruchsvollen Lustspiels öffentlich gemutmaßt wurde, hinter dem Namen Melchior Kurtz verberge sich Kästner, mußte ihm daran gelegen sein, sich schon zu diesem Zeitpunkt als Autor eines anderen, schon vom Thema her ambitionierteren Stückes zu präsentieren.

Das Spiel mit Namen scheint Kästner sogar in gefährlichen Zeiten durchaus Spaß gemacht zu haben, es ist jedenfalls nicht nur ein listiges, sondern darüber hinaus auch ein höchst gewitztes Spiel, mit dem er die Machthaber und die Öffentlichkeit hinters Licht führte. Und auch noch seine späteren Interpreten und Biographen. Zu den Autoren, deren Bücher im Mai 1933 verbrannt wurden, gehörte bekanntlich auch Erich Kästner. In Deutschland hatte er Publikationsverbot, doch zunächst durfte er noch weiterschreiben und im Ausland publizieren. 1934 erschien im Zürcher Verlag Rascher Kästners erster Unterhaltungsroman "Drei Männer im Schnee". Den Stoff hatte Kästner wohl zur gleichen Zeit oder sogar schon vor der Romanfassung in Form eines Bühnenstücks bearbeitet. Unter dem Autorennamen Robert Neuner und dem Titel "Das lebenslängliche Kind" wurde es ebenfalls 1934 vom Berliner Chronos Verlag vertrieben und an mehreren deutschen Bühnen, u.a. am Dresdener Schauspielhaus unter der Regie von Max Eckhard, mit großem Erfolg aufgeführt.

Robert Neuner ist das Pseudonym von Kästners Dresdner Jugendfreund Werner Buhre, der, anders als Kästner selbst, Mitglied in der Reichsschrifttumskammer war und deshalb in Deutschland publizieren und für deutsche Bühnen schreiben konnte. Kästner benutze also zur Veröffentlichung seines Stückes in Deutschland das Pseudonym eines Freundes, der offiziell als Autor des Stückes vorgeschoben wurde. Doch damit nicht genug. Der Roman selbst versuchte, die Autorschaft Robert Neuners glaubwürdig zu machen, indem er im Rahmen eines Vorwortes folgende Entstehungsgeschichte fingierte: "Mein Freund Robert und ich fuhren vor einigen Monaten nach Bamberg, um uns den dortigen Reiter anzusehen. [...] In unserem Abteil saß ein älterer Herr" und erzählte "uns haarklein jene wahre Geschichte, die den Inhalt des vorliegenden Buches bilden wird und deren Hauptfigur [...] ein Millionär ist./ Als der ältere Herr das Abteil verlassen hatte, sagte Robert: 'Übrigens ein ausgezeichneter Stoff.'/ 'Ich werde einen Roman daraus machen', entgegnete ich./ 'Du irrst', meinte er gelassen. 'Den Roman schreibe ich.'/ Wir musterten einander streng. Dann erklärte ich herrisch: 'Ich mache einen Roman daraus und du ein Theaterstück. Der Stoff eignet sich für beide Zwecke.'" Nach längerer Auseinandersetzung entscheidet das Los. Robert muß das Lustspiel schreiben.

Erich Kästner war ein Spieler. Im Vorwort zu dem Roman treibt er ein leichtes, ironisches Spiel mit jenem gefährlicheren, das in der Realität die staatlichen Überwachungsinstanzen des nationalsozialistischen Machtapparates täuschen sollte. Mit einem schelmischen Augenzwinkern, wie es dem Lügenbaron Münchhausen in seinem Drehbuch eigen ist, setzte er das Spiel auch noch in den Briefen an seine Mutter fort. Über Robert Neuner schreibt er hier wie über eine reale Person und den realen Autor des Stückes, mahnt sie jedoch mehrfach "Sprich zu niemandem über diese Dinge", oder: "Nicht darüber reden!" Im Brief vom 4. Oktober 1934 heißt es: "Freitag wollte ich mir in Altona Roberts 'Kind' ansehen. Fällt aber fort. Wegen einer anderen Generalprobe. So kann ich erst am Sonntag gehen." Nachdem die staatliche Aufsichtsbehörde Verdacht geschöpft hatte, Kästner könnte an dem Stück mitgewirkt haben, und ein Aufführungsverbot drohte, schrieb Kästner der Mutter am 10. Oktober nach Dresden: "Inzwischen ist nun die Reichsdramaturgie an der Arbeit, Roberts Stück kaltzumachen. Warum? Weil ich ihm bei der Erfindung des Stoffes mit geholfen hätte. Na ja. Da wird wohl Dresden bald absetzen müssen. Die andern Städte auch. Außer Wien und Ausland." Und einen Tag später berichtet Kästner: "Robert tut mir recht leid. Er und der Verleger versuchen täglich, das Verbot doch noch zu verhindern." Elf Tage später, am 22. Oktober, schickt Kästner der Mutter eine Besprechung der Inszenierung aus Braunschweig mit den Worten: "Robert schickt Dir eine Kritik aus Braunschweig mit, die er doppelt hat. Etliche Bühnen haben's abgesetzt. Etliche spielen es noch. Ein heilloses Durcheinander! In den nächsten Tagen sind Robert und Mörike [Inhaber des Chronos Theaterverlags Stuttgart] noch einmal beim Reichsdramaturgen. Mal sehen, ob's was nützt."

Um den Verkauf der Verfilmungsrechte scheint sich Kästner gleich doppelt bemüht zu haben, unter dem eigenen Autornamen des Romans und unter dem Pseudonym des vorgeschobenen Stückeschreibers. Nicht nur in den Medienwechsel zwischen Buch und Theater, sondern auch in dem zum Film ist Kästners Namenswechsel involviert. Durchschaut man sein Spiel, dann nimmt sich die dabei entstehende Konkurrenz zwischen dem realen und dem fingierten Autor ziemlich komisch aus. Am 9. Januar 1935 schreibt er der Mutter allen Ernstes: "Täglich kommen ausländische Fragen, Depeschen usw. wegen der Filmrechte zu den drei Schneemännern. Na, da ist ja nun leider nichts mehr zu verkaufen. Weil Neuner ja vor Weihnachten sein Stück zur Verfilmung verkauft hat."

Ähnlich verfuhr Kästner während seiner "inneren Emigration" mit mindestens vier weiteren, heute so gut wie unbekannten Stücken, die unter dem Namen Eberhard Foerster erschienen und zum Teil verfilmt wurden. In einem der Filme wird mit diesem Namen sogar als dem fingierten Autornamen eines Theaterstückes gespielt.

Der Name Eberhard Foerster war das Pseudonym des mit Kästner befreundeten Bühnen- und Filmautors Eberhard Keindorff. Unter dem Namen Eberhard Foerster sind nach 1934 etwa zehn Theaterstücke publiziert worden. Vier davon scheinen zu weiten Teilen von Erich Kästner zu stammen: "Verwandte sind auch Menschen" (1937), "Frau nach Maß" (1938), "Das goldene Dach" (1939) und "Seine Majestät Gustav Krause" (1940). Wie weit sein Freund Keindorff alias Foerster an ihnen mitgeschrieben hat und wie weit Kästner ihn nur als eine Art Strohmann benutzte, um das Publikationsverbot zu umgehen, ist nicht ausreichend geklärt. Gegenwärtig wird die Frage zu einer Angelegenheit der Anwälte. Gestützt auf die Recherchen des Kästner-Biographen des Hanser Verlags, die zwar bislang die gründlichsten dazu sind, die jedoch die Frage nach der Autorschaft dieser Stücke keineswegs befriedigend klären, ist eben diesem Verlag inzwischen untersagt worden, das in der neuen Werkausgabe erstmals publizierte Stück "Verwandte sind auch Menschen" (1937) weiterhin unter dem Autornamen Erich Kästner stehen zu lassen. Die bereits anstehende zweite Auflage der Ausgabe erscheint daher, so ist zu hören, mit entsprechenden Änderungen, doch ohne genauere Klärung des Sachverhaltes. Kästners Versteckspiele zeigen also noch späte Wirkungen und Verwirrungen.

Drei dieser Foerster-Keindorff-Kästner-Stücke wurden übrigens auch verfilmt. Wie weit Kästner an den Verfilmungen mitwirkte, ist nicht bekannt. Noch nach 1945 hat er die Autorschaft an diesen Stücken verschwiegen - auch als 1954 eine Inszenierung von "Seine Majestät Gustav Krause" des Hamburger Ohnesorg-Theaters im Fernsehen übertragen und das Stück 1971 im Auftrag des ZDF als Fernsehspiel gesendet wurde. Nur einem kleinen Kreis von Eingeweihten war bekannt, welcher Autor sich hinter diesen Stücken Eberhard Foersters verbarg. Erst Ingo Tornow hat mit seiner 1989 erschienenen Arbeit über "Erich Kästner und der Film", informiert durch den damaligen Nachlaßverwalter Kästners, über das Pseudonym öffentlich aufgeklärt. Die eben erschienene Neuausgabe seines Buches im Deutschen Taschenbuch Verlag hat die Informationen aufgrund der Recherchen Hanuscheks allerdings modifiziert.

Bekannt hingegen wurde schon nach Kriegsende, daß Kästner in der Zeit des Nationalsozialismus halbwegs legal unter dem Pseudonym Berthold Bürger schrieb, vor allem das Drehbuch zum dem NS-Renommierprojekt "Münchhausen". Unter welchen Umständen genau Erich Kästner 1941 das Angebot bekam, das Drehbuch für den Jubiläumsfilm der Ufa zu schreiben, und warum das über ihn verhängte Schreibverbot partiell aufgehoben werden konnte, ist immer noch nicht ganz geklärt. Obwohl Kästner auch in diesem Fall unter einem Pseudonym tätig war, wurde der Öffentlichkeit im Vorspann des Films selbst dieses verschwiegen. Von seinem Plan, die Nennung seines Pseudonyms im Vorspann auf juristischem Wege zu erzwingen, sollen ihn seine Freunde nur mit Mühe abgebracht haben.

Der Wechsel der Medien und der Namen ist ein fester Bestandteil von Erich Kästners brüchiger Identität. Und er hat seine Parallelen in den Täuschungs-, Versteck- und Verwechslungsspielen, von denen seine Werke immer wieder erzählen: "Das doppelte Lottchen", "Drei Männer im Schnee" und etliche andere. Doch in welchen Rollen, unter welchen Namen oder für welche Medien Kästner geschrieben hat, es gibt eine Anzahl von Motiven, Themen und Figurenkonstellationen, die identisch bleiben. Sie finden sich sogar in jenem Stück, das die Kästner-Kenner und -Liebhaber am meisten befremdet hat: in "Die Schule der Diktatoren", dem dramatischen Pendant zu Fabian - nicht nur im Hinblick auf die literarische Qualität. Abgesehen davon, daß auch hier wieder ein komisches Verwechslungsspiel in Szene gesetzt wird, finden sich in dieser "blutigen Komödie" fast alle Bestandteile wieder, aus denen Kästners Dramen und Erzähltexte auch sonst gemacht sind. Sie sind nur fast bis zur Unkenntlichkeit ins Schwarze verkehrt. In dieser Schule schlägt Pädagogik in Perversion um. Und der Mutter-Sohn-Beziehung in diesem Stück fehlt alles, was der Autor des Emil ihr sonst literarisch abzugewinnen vermag.

"Die Schule der Diktatoren" sollte nach Kästners ehrgeizigen Plänen zum Beginn einer verspäteten Theaterkarriere werden. Der unverdient mäßige Erfolg des vielfach mißverstandenen und unterschätzten Stückes wurde statt dessen zum Ende seiner Theaterarbeit. Zwar kündigte er 1958 ein weiteres Stück an, doch hat er es nie geschrieben.

Der Wechsel der Medien ist Kästner nicht immer gut bekommen. Sogar das Pseudonym des erfolgreichen Drehbuchautors von "Münchhausen" wurde verschwiegen. Sein vielleicht erfolgreichstes Drama "Das lebenslängliche Kind" wird von seinem Biographen Hanuschek mit zweifelhaften Argumenten immer noch einem anderen zugeschrieben. Sein noch völlig unbekanntes, doch wohl schönstes Drehbuch, "Robinson soll nicht sterben", wird auch im Kästner-Jahr nicht erscheinen. Und die Förster-Komödien, denen manche Inszenierung zu wünschen wäre, werden unter den verqueren Urheberrechtsquerelen mit den Keindorff-Erben wohl ebenfalls ihrer Chancen beraubt werden.

Als Kästner mit seiner schwarzen Komödie ganz er selbst zu sein glaubte, war er das für ein über den bitteren Sarkasmus befremdetes Publikum keineswegs. Daß der Titel "Die Schule der Diktatoren" ein uneingestandenes Plagiat war, übersah man indes. Er stammt von Ignazio Silone. Kästner hatte dessen 1938 in deutscher Übersetzung erschienene Schrift gelesen, in einem Essay sogar zitiert, doch im Zusammenhang mit seinem Stück nie erwähnt. 1965 erschien die deutsche Neuausgabe von Silones Buch irrwitzigerweise wegen Kästners Drama unter einem anderen Titel: "Der Titel der italienischen Ausgabe des Buches Scuola dei dittatori", so der Klappentext, konnte leider für die deutsche Ausgabe nicht übernommen werden, weil es in Deutschland bereits ein Theaterstück mit diesem Titel gibt." Ein Erfolg für Kästner? Nein, eher eine Peinlichkeit. Man sollte sie möglichst rasch wieder vergessen.

Titelbild

Ingo Tornow: Erich Kästner und der Film.
dtv Verlag, München 1998.
157 Seiten, 12,70 EUR.
ISBN-10: 3423126116

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Titelbild

Franz Josef Görtz / Hans Sarkowicz: Erich Kästner. Eine Biographie. Unter Mitarbeit von Anna Johann.
Piper Verlag, München 1998.
371 Seiten, 34,80 EUR.
ISBN-10: 3492038905

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Titelbild

Erich Kästner: Werke in neun Bänden.
Carl Hanser Verlag, München Wien 1998.
50,60 EUR.
ISBN-10: 3446195637

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Sven Hanuschek: Keiner blickt dir hinter das Gesicht. Das Leben Erich Kästners.
Carl Hanser Verlag, München Wien 1999.
493 Seiten, 25,50 EUR.
ISBN-10: 3446195653

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