Pragmatismus – Der Weg zum Erfolg?
„Ritter. Der ultimative Karriereführer“ von Michael Prestwich gelesen von Martin Falk
Von Peter Somogyi
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWas sind Ritter und wie wird man einer von ihnen? Will man das Feld, in dem als Resultat einer diskursiven Praxis spezielles Wissen über Ritter produziert, dabei jedoch nicht eine gegebene Wirklichkeit abgebildet, sondern vielmehr deren Wirklichkeit konstituiert wurde, ausfindig machen, sieht man sich insbesondere auf die textuell ausdifferenzierte Vielstimmigkeit der mittelalterlichen Jahrhunderte verwiesen. Nur wenige waren in der Lage, als litterati ihre Schriftzeichen auf dem teuren Pergament zu hinterlassen. Wer gehört werden wollte, musste privilegiert sein.
Nach Ramon Llull, einem weithin bekannten katalanischen Gelehrten des 13. und beginnenden 14. Jahrhunderts, wird nur der Beste unter Tausend als Ritter ausgewählt, jener, der sich von allem Inferioren abwendet, der Tapferste und Stärkste, um die hohen Strapazen des kämpferischen Daseins zu erdulden. Spirituelle Rechtschaffenheit und physische Kraft formen in diesem gedanklichen sowie ideologischen System eine unzerbrechliche Einheit. Im „Prosalancelot“, einer umfangreichen literarischen Prosa-Bearbeitung des Artus-Stoffes aus dem 13. Jahrhundert, heißt es: Ein Ritter muss zwei Herzen haben, ein sanftes und ein hartes wie ein Edelstein, gegen Schwache soll er sanft wie Wachs, gegen Verbrecher, Häretiker et cetera dagegen hart sein. Der christliche Auftrag liegt in der Schnittmenge beider Herzen. Hundert Jahre zuvor umschrieb der große Theologe Bernhard von Clairvaux die Gesinnung der Vertreter des Templer-Ordens ähnlich, wenn er betont, dass sie monachi mansuetudo (die mönchische Sanftmut) und militis fortitudo (die kämpferische Tapferkeit) besitzen müssen. Bernhards Aussagen beziehen abstrakte Begriffe aufeinander, in denen widersprüchliche Leitbilder in einer Wissensnomenklatur vereint werden. Wo vom Ritter die Rede ist, zeigt sich eine inhärente Ambivalenz. Neben Grundwerten, wie weltliches Ansehen, Mäßigkeit, Treue für Herrn, Dame und Gott, zeigen sich interne Strukturierungen in personenbezogene Werte wie edle Gesinnung, Bescheidenheit, Tapferkeit, Gläubigkeit sowie maßgebliche Interaktionswerte, die sich ihrerseits beispielsweise in Mildtätigkeit, Höflichkeit und Beständigkeit unterteilen. Die symbolische Ordnung der ritterlichen Werte ist damit eine gespaltene.
Der Emeritus Michael Prestwich zeigte in seinem höchst amüsanten Beitrag zur Ritterforschung „Ritter. Der ultimative Karriereführer“ aus dem Jahr 2011 nicht nur diese Ambivalenzen aus der Sicht eines Historikers auf, sondern präsentierte zudem auf einer reichen Quellenbasis beruhend, die mannigfachen Ausgestaltungen ritterlicher Lebensformen der Jahre 1300 bis 1415 fundiert sowie augenzwinkernd in Form eines Ratgebers. Nun erscheint Prestwichs geniale Ritterdarstellung im Hörbuch-Format, gelesen von Martin Falk.
Spätestens seit Angelika Diehms ertragreicher Arbeit sollte bekannt sein, dass Darstellungen eines Buches im Medienwechsel und wegen des komprimierten Audioformats sowie der damit einhergehenden Kapazitätsbeschränkung nicht genau der Buchvorlage entsprechen. Kürzungen am ursprünglichen Werk sind der Regelfall. Prestwichs „Ritter“ bildet keine Ausnahme. Die Kapiteleinteilung, wenngleich gestrafft, folgt der Printvorlage. Falk trägt den Text gewohnt routiniert mit der nötigen Souveränität vor. Ärgerlich allerdings ist, dass die Kapitel über „Ritterorden“ und „Auf dem Kreuzzug“ auf der Abstrichliste landeten. Ärgerlich ist diese Kürzungs-Entscheidung deshalb, weil fundamentale Konstanten, vor allem die korporative Bindung spätmittelalterlicher Rittertümer, auf die Prestwich in seiner holistischen Schau fundiert eingeht, unthematisiert bleiben. Besonders Ritterorden spielten bei der langsamen Transformation der religiösen Semantik eine eminente Rolle. Mit dem Fall Akkons, der Hauptstadt des Königreichs Jerusalem, im Jahre 1291, verloren geistliche Orden mehr und mehr an Bedeutung, obwohl viele von ihnen, wie die Johanniter oder der Orden von Calatrava, bestehen blieben. „Es gibt keine Kreuzfahrerstaaten zu verteidigen“, wie Prestwich lakonisch bemerkt. Der Bedeutungsverlust, den die Kreuzzüge erfuhren und die damit einhergehende ursächliche Verbindung zu den Ritterorden, ebenso die nachhaltige Bildung von weltlichen Ordensgemeinschaften, bleibt aufgrund der Kürzungsproblematik unberücksichtigt.
Die Eingangsfrage, was Ritter sind, bleibt auch nach der Lesung von Prestwichs Buch aufgrund der inhaltlichen Mehrdeutigkeit des Begriffs Ritter in der Schwebe. Rittertümer sind je nach spezifischer historischer Umstrukturierung und geografischer Lokalisierung nach Zeit und Raum different, das Gesamtphänomen demnach amorph. Prestwich steigt vielmehr in medias res in die komplexe Thematik der spätmittelalterlichen Rittertümer ein und fokussiert die pragmatischen Seiten seines Darstellungsthemas, eben wie man(n) zu einem Ritter werden kann/konnte und konzentriert sich der Darstellung halber auf vier große „Gewährsmänner“, wie Geoffroy de Charny oder Oswald von Wolkenstein. Diese Verlagerung auf die Pragmatik wird durch die Kapitelanordnung und den vorgenommenen Streichungen und Straffungen im Audioformat noch verstärkt. Prestwich beschäftigt sich nicht mit symbolischen Fixpunkten, in welchen die verschiedenen Leitkonzepte verankert werden, wie dem Begriff miles, der sich nachhaltig gegen den exercitus (Heeresbann) im 9. Jahrhundert absetzte, oder dem Begriff chevalier, der eine Abgrenzungsfunktion gegenüber dem villain (der Bauer, der Ungehobelte, ab 1100) einnahm. Auch das von der Kirche vertretene Konzept des miles christianus (christlicher Ritter), das sich gegen Glaubensfeinde und weltliche ritterliche Konzepte abschloss, oder dem aus der Literatur bekannten chevalier errant / miles peregrinus (der irrende Ritter), welcher gegen die Konzeption des Gutsbesitzers an Bedeutung gewann, spielen in der Darstellung keine Rolle. Auch Fragen, wie welche Gruppen zu einer bestimmten Zeit über Ritter sprachen und welche Begriffe sie in dem jeweiligen Zusammenhang verwendeten, findet keine Erwähnung. Wenn etwa der anonyme Dichter des mittellateinischen Epos „Ruodlieb“ (Mitte 11. Jahrhundert.) von einem miles peregrinus, dem Landvertriebenen, spricht, der in gleicher Bedeutung und mit analogen Attribuierungen jeweils im mittelhochdeutschen ‚König Rother‘ (1150) und dem heldenepischen ‚Nibelungenlied‘ (um 1200) als recke erscheint, welcher in Heinrichs von dem Türlin ‚Diu Crône‘ (1230) als deutsche Übersetzung des französischen chevalier errant Erwähnung findet, zeigt sich die semantische Vielschichtigkeit der unterschiedlichen Begriffe. Diese Verlagerungen können je nach Interessensgebiet von Wichtigkeit sein. Denn der „irrende Ritter“ beispielsweise erreichte als Leitbild des fahrenden Ritters innerhalb der Artusdichtung des Hoch- und Spätmittelalters große Popularität und beeinflusste die Reisetätigkeiten des spätmittelalterlichen-frühneuzeitlichen Adels. Prestwich erläutert deshalb auch gleich zu Beginn seines „Karriereführers“, dass die Ratschläge „nicht etwa auf Ritterromanen“ beruhen. Das bedeutet, dass sich von der Welt der schönen Literaturen in der Darstellung verabschiedet wird und man derlei wortsemantische Korpora nicht findet. Allerdings fiel dieser entscheidende Satz in der Lesung von Falk der Schere zum Opfer. Was bleibt, ist der Hinweis, dass dies ein Handbuch für Ritter sei, die kämpfen. So wird sich in einer guten Stunde primär auf Waffen, Feldzüge, der Anwerbung von Söldnern, Schlachten, Belagerungen und Lösegeldforderungen konzentriert. Trotz Eingriffen in die Detailliebe der Printvorlage, bleibt Prestwichs „Ritter“ in der Lesung Falks ein informationsreiches Vergnügen. Durch die Vielzahl eingestreuter Anekdoten und der Verlagerung auf die pragmatische Seite des Phänomens wird die Eingliederung der miles in ihre Lebenswelt – was Josef Fleckenstein als wichtiges Ziel der Analyse in der Ritterforschung postulierte – deutlich, wie sie vielleicht einzig nur noch das ‚Gesellschaftsbild‘ in dem Kapitel „De Omnium divitiarum matre, providentia“ der ‚Gesta Romanorum‘, einer Sammlung von Kurzgeschichten und Exempeln (um 1300), zu verdeutlichen vermag. Ein Maler zeichnet hier seinem König die Stände der Gesellschaft auf, um ihm die Weisheit des Herrschenden zu verdeutlichen. Unterhalb des Königs als Spitze, neben Statthaltern und Ärzten, über Handwerkern, Rechtsgelehrten, Kaufmännern und Geldwechslern wird der Ritter positioniert, dem eine ähnlich ausführliche Beschreibung gewidmet ist, wie sie das erste Buch der ‚Gesta Militum‘ des Hugo von Mâcon (um 1250) bietet. Das Gemälde veranschaulicht die Verwobenheit sozialer Lebensformen sowie deren Abgrenzung zueinander und zeigt zugleich eine ‚Ordnung der Dinge‘, in deren Strukturierung und Ausrichtung ein klares System ökonomischer Professionen verhandelt wird. Wie der mittelalterlichen Ekphrasis gelingt auch dem Hörbuch ein faszinierendes Panoptikum der Rittertümer und ihrer sie umgebenden Welt.
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