Soziale und Revolutionsgeschichte

Helmut Bocks kämpferisch anmutendes Buch „Freiheit – ohne Gleichheit?“

Von Stephan KrauseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Krause

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ich möchte zuvor darauf hinweisen, dass Prof. em. Dr. Helmut Bock, geb. 1928, am 20. Dezember 2013 verstorben ist. Der folgende Text entstand vor seinem Ableben und bezieht ihn als Ansprechpartner (noch) mit ein.

„Freiheit – ohne Gleichheit? Soziale Revolution 1789 bis 1989. Tragödien und Legenden“, ist Helmut Bocks Band betitelt und der Autor spannt einen gewaltigen Bogen. Dieser reicht nicht nur mit insgesamt acht Stationen von der Grande Révolution Française 1789 bis zu den Herbsttagen von 1989, in denen Stefan Heym ja am 4. November auf dem Alexanderplatz rückblickend und zugleich den Moment fassen wollend bemerkte: „Und das, Freunde, in Deutschland, wo bisher sämtliche Revolutionen danebengegangen, und wo die Leute immer gekuscht haben, unter dem Kaiser, unter den Nazis, und später auch“. Bock zeigt, wie „Geschichtsdenken […] in die Titel der hier beschriebenen Revolutionen Europas aufgenommen“ ist. Dies ist ein Programm, das gleich zweierlei verspricht, die historisch fundierte Beschreibung der revolutionären Ereignisse und die Herausarbeitung ihrer funktionalen Bedeutung und ihres (wohl auch historiografischen) Stellenwertes für das historische Denken. Dies impliziert Anordnung und Auswahl. Der Charakter beider lässt sich bereits im Überblick über den Band erkennen. In der chronologischen Abfolge der ausführlich behandelten einzelnen Revolutionen hat Bock jedem Ereignis ein deskriptiv-illustratives Epitheton zugeordnet, das die Perspektivierung der Darstellung jeweils mit vorgibt. Dabei greift Bock zum einen auf allgemein bekannte Bezeichnungen zurück, etwa für 1917, die „Große Sozialistische Oktoberrevolution“, oder 1989, die „Friedliche Revolution“, oder setzt charakterisierende Epitheta wie „schön“ (1830) oder „hässlich“ (1848) ein. In dem erwähnten Horizont widmet sich Bock neben der Französischen Revolution der Juli-Revolution von 1830, der französischen 1848er Revolution, der Pariser Kommune 1871, der Russischen Revolution von 1917, dem Jahr 1945 mit Fokus auf den Abwurf der Atombombe auf Hiroshima und Nagasaki durch die USA, der Gründung der DDR 1949 und deren Ende 1989. Er fügt einen „offenen Schluss“ an, in dem über 1989/90 hinausreichend eher kursorisch Gegenwartsprobleme im Kontext fortschreitender (weltweiter) Militarisierung behandelt werden.

Bereits dieser Inhaltsüberblick lässt einzelne (politisch deutbare) Zuspitzungen deutlich werden und wirft Fragen nach (vermeintlichen) Lücken in dieser Auswahl auf. Da Bock das Konzept seiner Zusammenstellung von Revolutionsereignissen nicht erläutert, sondern mit deren Aufführung nacheinander eine so denkbare Chronologie eher behauptet, wäre nach den (hauptsächlich implizit auffindbaren) Kriterien zu fragen. Wie kommt die präsentierte Auswahl zustande? Vier Kapitel widmen sich Frankreich, eines bezieht sich auf Russland, die übrigen nehmen Deutschland und auch die USA in den Blick. Auch eine Charakterisierung des im Zentrum stehenden Ereignistyps ‚Soziale Revolution‘ bleibt eher heterogen bzw. unbestimmt. Dies mag zwar auch an der Bedeutungsbreite des Begriffes Revolution liegen, doch hätte eine Thematisierung dieser Frage sich für den sonst instruktiven Band sicher gelohnt. Dies gilt, zumal Bock unter dem titelgebenden Stichwort auch das Jahr 1945 mit dem Fokus ‚Beginn des Atomwaffenzeitalters‘ behandelt. Das entsprechende Kapitel rekapituliert Vorgänge von der Entdeckung der Kernspaltung bis zu den Atombombenabwürfen auf Japan durch die USA am 6. und 9. August 1945 und den Beginn des Wettrüstens. Nicht erklärt wird freilich, in welcher Weise auch dieses Ereignis sich als soziale Revolution lesen lässt.

Dem folgt der Blick auf das Jahr 1949 und den Aufbau und die Gründung der DDR, „die aber keine deutsche Volksrevolution, sondern eine ‚Revolution von oben‘ war“. Dieses Kapitel bietet eine weiter gefasste Auseinandersetzung mit dem historischen Scheitern der DDR und ihrem Gesellschaftsentwurf. Überblicksartig berücksichtigt wird dabei u.a. das „historische Misslingen der DDR-Wirtschaft“, das bei Bock aber nicht – wie anderswo oft – als monokausale Erklärung eingesetzt wird. Demgegenüber schwerer wiegt hier vielleicht Bocks Berufung auf den Leipziger Wirtschaftswissenschaftler Friedrich Behrens, der die DDR-Gesellschaft nach Bock „bestenfalls als neueste Variante der alten bürgerlichen, aber nicht einmal als eine ‚vorsozialistische Gesellschaft‘“ bezeichnete. Bocks Fazit, dass die von der DDR propagierte Politik des Friedens zwar nach außen hin existiert habe, doch dass ihr die genaue Entsprechung in der Innenpolitik gefehlt habe und dass sich die sogenannte „Kommandowirtschaft“ der DDR nicht nur nicht bewährt, sondern zu Frustration geführt habe, mündet in die Umbrüche von 1989. Darin hätten sich, so Bock, „nicht wenige DDR-Bürger als Anhänger oder gar Parteigänger einer zweiten, diesmal „deutschen Oktoberrevolution“ verstanden.“ Leider wird auch hier die Dialektik dieser interessanten Anwendung eines vielleicht eher für 1917 reservierten Begriffes nicht weiter ausgeführt, ja steht vielleicht gar in einem gewissen Spannungsverhältnis zum Kapitel über 1989, für das Bock ja gerade die Friedlichkeit der Revolution hervorhebt. Dieses Kapitel in Bocks Band unterscheidet sich noch einmal von den übrigen, da der Autor hier in einer Art Selbstdokumentation eigene Texte aus den 1989er Herbsttagen versammelt und so den eigenen Standpunkt im Laufe der Umbrüche aufzeigt. Sichtbar wird daran (noch einmal), wie das Ende der DDR von angesehenen Wissenschaftlern dieses Landes betrachtet und diskutiert wurde. Spannend wäre an dieser Stelle (wie auch im DDR-Kapitel) vielleicht eine kontrastive Bezugnahme zum Beispiel auf Georg Fülberths „Finis Germaniae“ (2007) gewesen.

Helmut Bocks „Freiheit – ohne Gleichheit?“ ist kein Kompendium der Revolutionsgeschichte, sondern eine (auch persönliche) Zusammenstellung von essayistisch gehaltenen, zum Teil zugespitzten bis kämpferisch anmutenden Überblicksdarstellungen zu epochalen Ereignissen von 1789 bis 1989 und leicht darüber hinaus.

Der Text arbeitet mit zahlreichen Referenzen, berücksichtigt jedoch nahezu keine aktuelle Fachliteratur oder bezieht diese gar in eine mögliche Diskussion mit ein. Dies ist vielleicht Teil der Andersartigkeit, die Helmut Bock schon in seinem Kurzvorwort anklingen lässt und mit der er offenbar die „Geschäftsführer von Partei- und Staatsinteressen“ kritisiert, „die für die öffentliche Meinung eine Deutungshoheit beanspruchen“.

Der Band ist in seiner Alterität spannend, die sich als Gegen- oder zumindest Alternativdiskurs von den weit verbreiteten Geschichtsdarstellungen absetzt. Damit fallen der Ton dieses Buches (bloße Deskription, parolenhafte Sentenz, narrative Präzision, floskelhafte Bezeichnung) und auch die Perspektivierungen der betrachteten Ereignisse auf.

Bocks Auswahl an revolutionären Ereignissen als heterogen zu bezeichnen, ist kein (missverständliches) Werturteil, sondern der kritische Hinweis darauf, dass der Ansatz – soweit implizit erkennbar –, eine Sozialgeschichte der Revolutionen und eine Revolutionsgeschichte des Sozialen zu erarbeiten (und zu erzählen?), fraglos fruchtbar ist. Aber wäre es dann nicht geradezu nötig, auch Ereignisse wie Ungarn 1956 (was in Ungarn selbst als Revolution (forradalom) bezeichnet wird) oder die 1968er Bewegungen oder die polnische Solidarność in die Betrachtungen mit einzubeziehen, ganz zu schweigen von zeitgenössischen Bewegungen?

Titelbild

Helmut Bock: Freiheit - ohne Gleichheit? Soziale Revolution 1789 bis 1989 Tragödien und Legenden.
Karl Dietz Verlag, Berlin 2013.
413 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-13: 9783320022907

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