Gar nicht bombig

Stefan Bollmanns Band über „Frauen und Bücher“ empfiehlt sich keinem der Geschlechter zur Lektüre

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt ein althergebrachtes Weiblichkeitsklischee, das da besagt, es entspreche dem Wesen von Frauen, zu empfangen. Gerne wird als paradigmatisches Beispiel dafür der weibliche Part beim Geschlechtsakt angeführt, bei dem, so das Geschlechterklischee in seinem Dualismus, der Frau der passive Part, dem Mann der aktive und gebende zukommt. Mit genauso viel oder wenig Recht ließe sich allerdings auch der Gebärakt für das Gegenteil anführen: Gebären ist weiblich, geboren werden männlich. Und schon sind die Rollen des aktiven und passiven Geschlechts ausgetauscht. In gendertheoretisch aufgeklärten Zeiten wie diesen sind derlei biologistische Argumentationen in wissenschaftlichen Kreisen allerdings längst überwunden – sieht man vielleicht einmal von einer Handvoll unbelehrbarer Evolutionsbiologen, diesem oder jenem Hirnforschern sowie dem sich allerdings nur mehr schlecht als recht als wissenschaftlich gerierenden Ehepaar Pease ab. Ansonsten sind nicht nur biologistische, sondern essenzialistische Pauschalaussagen über das Wesen der Geschlechter quer durch die Disziplinen längst als unhaltbar desavouiert.

Dennoch treiben Geschlechterklischees in diversen Medien noch immer ihr Unwesen. Das gilt nicht nur für die Werbung in Funk und Fernsehen, dem Internet und – so es sie noch gibt – den Printmedien oder für cineastische Blockbuster und Dokusoaps des Nachmittagsfernsehens, sondern auch für populär gehaltene Sachbücher für den gehobeneren Geschmack. Zumal wenn sie sich an ein weibliches Lesepublikum richten. Auch da feiert das Weiblichkeitsklischee von der passiv empfangenden Frau schon mal fröhliche Urstände wie etwa in dem von Stefan Bollmann verfassten Buch „Frauen und Bücher“. „Frauen passt das Kleid der Leserin wie angegossen“, denn es entspreche „ihrer Art, an der Welt teilzuhaben“, meint der Autor und zwängt sie in ein essenzialistisches Korsett passiver Weiblichkeit. Da kann auch die hinterhergeschickte Formel, sie hätten eben eine „indirekte Art und Weise, sich der Welt zu bemächtigen“ nichts mehr retten. Im Gegenteil.

Frauen, verkündet Bollmann weiter, lesen seit 300 Jahren „mehr als Männer und anders als Männer“. „Als Fernsehthema“ erklärt er denn auch, sei „Lesen“ nur „so lange attraktiv, wie die entsprechende Sendung eine weibliche Handschrift trägt“. Eine These, die  Reich-Ranickis „Literarische Quartett“ bekanntlich schlagend bewies.

Der Unterschied zwischen den lesenden Geschlechtern besteht Bollmann zufolge nun darin, dass sich Frauen bei der Lektüre „in fremde Welten“ versetzen, „ihre eigene Wahrheit“ in den Büchern entdecken und lesend ihre Gefühle „riskieren“. Diesen „Lesestil“, den Bollmann mit der „Leseforscherin“ Maryanne Woolf als „deep reading“ bezeichnet, stehe „im Gegensatz“ zu einer Lektüre, die „auf Informationen und Fakten aus“ ist, was wohl mithin der ‚männlichen‘ Art zu lesen entspreche. Dies lässt sich füglich bestreiten. Dabei liegt auf der Hand, dass die Art, wie ein Mensch etwas liest, weniger davon abhängt, welchen Geschlechts er ist, sondern welcher Art seine oder ihre Lektüre. Zu einem Liebesroman oder Action-Thriller werden sicher weder Männer noch Frauen greifen, um sich auf die Suche nach Fakten und Informationen zu begeben, während Angehörige beider Geschlechter bei der Lektüre eines Koch- oder Telefonbuchs schwerlich ihre Gefühle riskieren dürften.

Jedenfalls aber möchte Bollmann mit seinem Buch „Frauen und Bücher“ davon erzählen, „wie es dazu kam, dass die Frauen diese Art des Lesens“– nämlich die, bei der frau ihre Gefühle riskiert – „entdeckten“ und von den „vielen weiblichen Lese- und Lebensgeschichten“ berichten, „die dadurch möglich wurden“.

Damit ist auch schon deutlich, dass es ungeachtet des allgemein gehaltenen Titels „Frauen und Bücher“ gar nicht so sehr um die Vielzahl der Verhältnisse geht, die Frauen etwa als Leserinnen, Autorinnen, Verlegerinnen oder Buchhändlerinnen zu Büchern haben, sondern vor allem um erstere, die Leserinnen, also den passiv rezipierenden Teil all dieser Frauen. Oder genauer gesagt: um all diese Frauen im Hinblick auf ihre passiv rezitierende Tätigkeit des Lesens. Die Aktiven, die Autorinnen bleiben in dem Buch eine ganze Weile zunächst einmal außen vor und wecken auch später nur dann Bollmanns Interesse, wenn sie von ihren Geschlechtsgenossinnen gelesen werden. Und selbst dann noch interessieren sie den Autor weniger als Autorinnen denn als Leserinnen.

Zwar lesen Frauen Bollmann zufolge zunächst einmal ganz grundsätzlich „um zu leben, manchmal auch um zu überleben“, doch hat ihre „Leselust von Anbeginn an mit Liebeshunger zu tun“. Lust und Liebe sexualisieren das Lesen der Frauen also von der ersten Seite an, die ein junges Mädchen aufschlägt. „Doch“, so weiß der Autor, „hinter dem Bedürfnis nach Liebe steckt mehr – der Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit“. Das hätte man denn doch gerne näher erklärt bekommen. Vielleicht sieht Bollmann allerdings einen von ihm nicht näher dargelegten Konnex zwischen dem durch Lektüre befriedigten Liebesbedürfnis und der Lektüre als „Königsweg für Frauen um sich in das neu entstehende, ungezwungene Miteinander“ der Geschlechter „einzubringen“. Denn die Romane zeigen ihm zufolge ihren Leserinnen nicht nur, „wie die Gesellschaft funktioniert“, sondern die „Lektüre von Literatur verlieh den Frauen eine Stimme und einen sozialen Status.“

Bollmanns Buch gliedert sich in drei historische, jeweils einem Jahrhundert gewidmete Teile. „Die Leselust beginnt“ im 18. Jahrhundert, „die Macht des Lesens“ entfaltet sich im 19. und im 20. Jahrhundert machen „Bücherfrauen“ von sich reden. Den drei historischen Abschnitten folgt ein abschließender Blick auf die Gegenwart des 21. Jahrhunderts mit dem Titel „Weiter lesen“.

Der Autor hat sein Buch in einem Plauderton verfasst, der manchmal etwas angestrengt anbiedernd wirkt. So etwa, wenn er den im 18. Jahrhundert „einflussreichen Literaturtheoretiker, Kritiker und Professor für Helvetische Geschichte“ Johann Jakob Bodmer als „Spaßbremse“ tituliert. Auch betont Bollmann ein ums andere Mal, dass Autorinnen zunächst einmal Leserinnen gewesen sind, bevor sie selbst zur Feder griffen. Das ist zweifellos so. Vermutlich wäre allerdings auch mancher ihrer männlichen Kollegen nicht auf die Idee verfallen, ein Buch zu schreiben, wenn er nicht bereits zuvor das eine oder andere gelesen hätte.

In den ersten drei Abschnitte des ersten, das 18. Jahrhundert behandelnden Teils kommen Frauen fast nur am Rande und da vor allem als Leserinnen vor. Im Zentrum stehen hingegen diverse Autoren, deren Biographien von der Kindheit an nachgezeichnet werden. Dass es Bollmann dabei nicht zuletzt um die erotische Ausstrahlung geht, die sie und ihre Werke auf die Leserinnen ausüben, versteht sich angesichts der ‚weiblichen Leselust’ fast schon von selbst. Der „Heißsporn“ und „Starautor aller empfindsamen Leserinnen“ Friedrich Gottlieb Klopstock etwa wird in aller Ausführlichkeit als Mann gewürdigt, „der die Frauen liebte und durch seine Dichtung in sich verliebt zu machen verstand.“ Madeleine de Scudérys Unternehmen, „Liebe aus weiblicher Sicht neu zu definieren“, wird hingegen in gerade einmal zwei, drei Zeilen abgetan. Ansonsten kommen Schriftstellerinnen der Zeit erst einmal in der Rolle der Bewunderinnen ihrer männlichen Kollegen vor, wie etwa Anna Barbauld oder Lady Mary Wortley Montagu, von der man nicht einmal erfährt, dass sie zu den erfolgreichsten ReiseschriftstellerInnen ihrer Zeit zählte. Die erste weibliche Person, der sich Bollmann ausführlicher widmet, ist Pamela Andrews – und die ist bekanntlich eine Romanfigur des „Frauenbeobachters und Frauenverstehers“ Samuel Richardsons, der mit ihr eine der bekanntesten Männerfantasien der Literaturgeschichte schuf. Dass der hochgelobte Samuel Richardson für seine erfolgreichen Briefromane „Pamela“ und „Clarissa“ „ganze Absätze“ aus Briefen, die ihm seine Leserinnen zusandten, „beinahe wortwörtlich“ übernahm, wird von Bollmann nicht etwa als plagiatorische Aneignung weiblicher Schaffenskraft kritisiert, sondern im Gegenteil lobend als Beleg dafür vermerkt, wie eng „auf Autorenseite das Band zwischen Leben und Literatur geknüpft“ war. Während er die Berühmtheit des Autors der „Pamela“ anerkennend verzeichnet, gilt ihm Eliza Haywood, die Autorin der „Antipamela“ nur als „berühmt-berüchtigt“, hatte sie doch 1719 einen Roman mit dem ‚anrüchigen‘ Titel „Love in Excess“ publiziert. Auch dieses Buch ist Bollmann nicht weiter der Rede wert, öffnet sich hier eine Frau doch die Welt der Literatur, des Lebens und der Liebe nicht als passive Rezipientin, sondern als Autorin. Doch Bollmann schwört, auch die Leserinnen waren „keineswegs die passiven Rezipientinnen“ der Romane, die ihnen „ein so befreiendes wie unersetzliches Medium der Selbstverständigung“ gewesen seien und ihnen somit den „ersten Aufbruch hin zu Selbstbewusstsein und Emanzipation“ ermöglichten.

Dem Hohen Lied auf Richardson folgt ein Kapitel zu Goethes unvermeidlichem „Werther“, in das Bollmann nicht nur ein Abschnitt über Schillers „Kabale und Liebe“ eingebaut, sondern in dem er erstmals auch das Werk einer Autorin nicht mehr nur ganz beiläufig erwähnt: Marie Sophie La Roches „Geschichte des Fräulein Sternheim“.

Das erste Kapitel, das ganz einer Frau gewidmet ist, gilt allerdings einer Leserin, das heißt, einer Frau als Leserin. Bekanntlich las Caroline Schlegel-Schelling, von der hier die Rede ist, nicht nur, sondern schrieb auch. Wenngleich sie als Autorin zu Lebzeiten nicht berühmt wurde, sondern vielmehr ihre Ehegatten von ihrer Arbeit an und mit Büchern profitierten. An Schelling-Schlegel, „einer der berühmtesten Frauen des 18. Jahrhunderts“, stellt Bollmann seine These auf die „Probe“, dass „sich die Biographie eines Menschen anhand seiner Lieblingsbücher erzählen“ lässt, wobei er Schlegel-Schelling zwar als „kritische Leserin“ lobt, ihre Lektüren aber schon einmal abfällig als „Lesefutter“ apostrophiert. Zwar habe Schlegel-Schelling „ihren Freundinnen“ vorgeworfen „sich in ihrem Fühlen und Trachten zu sehr an rührseligen Liebesromanen zu orientieren“, dass sie sich selbst „frei von solchen Anwandlungen“ glaubte, sei aber „natürlich Selbsttäuschung“ gewesen. Hätten andere Frauen der Zeit, „die Romane nachleben“ wollen, so habe Schlegel-Schelling versucht, ihr „Leben zum Roman zu stilisieren“. In einem gewissen Spannungsverhältnis zu diesem Befund steht allerdings, dass Bollmann durchaus bemerkt, es sei für Schlegel-Schelling eine „Selbstverständlichkeit“ gewesen, „dass man Romane anders lesen kann als in identifikatorischer Absicht, ja, dass eine kritische Auseinandersetzung mit den dort geschilderten Lebensentwürfen womöglich zu einem Zuwachs an persönlicher Freiheit führt“. Relativ ausführlich befasst sich Bollmann in dem Schlegel-Schelling gewidmeten Abschnitt mit der zu ihrer Zeit gerne gelesenen Autorin Benedikt Naubert, die nicht nur die Freiheit genossen habe „zu schreiben was ihr beliebt (solange es dem Publikum gefällt)“, sondern Bollmann zufolge selbst noch die „Fantasyliteratur des 20. Jahrhunderts“ beeinflusste.

Beschlossen wird der erste Teil mit einem Kapitel über die englische Autorin und Feministin Mary Wollstonecraft. Selbst die Verfasserin der „Vindication of the Rights of Woman“ wird erst einmal als Leserin vorgestellt, die ihr „Konzept von Revolution aus dem Geist rebellischer Romane“ entwickelt habe. Eine Frauenrechtlerin wie Wollstonecraft mit dem Vornamen zu adressieren, wie es Bollmann bei den Frauen der Literaturgeschichte gemeinhin zu tun beliebt, wirkt besonders anstößig. Handelt es sich doch um eine plumpe Vertraulichkeit den Autorinnen gegenüber, die immer auch Geringschätzung signalisiert, zumal Bollmann Literaten oder auch die Gatten der Literatinnen selbstverständlich mit dem Nachnamen adressiert, so dass in einem Satz schon mal das Ehepaar Mary und Godwin vorkommen kann. Dieses fatale Signal der Geringschätzung mag nicht in Bollmanns Absicht liegen, lässt er Wollstonecraft doch ansonsten weitgehend Gerechtigkeit wiederfahren und würdigt sie auch als Autorin ausführlich.

Mit Wollstonecraftes wendet sich Bollmann fürs erste von den Autoren ab und den Autorinnen zu. Dabei bleibt er zunächst einmal auf der Britischen Insel. Denn es folgt ein Porträt der „unscheinbaren Austen“. Wie inzwischen kaum mehr anders zu erwarten, wird auch Jane Austen erst einmal als „begeisterte Romanleserin“ vorgestellt und in Augenschein genommen, was Bollmann zu der Behauptung veranlasst, die junge Leserin habe mit den zeitgenössischen Romanen „beinahe gnadenlos“ abgerechnet, um dann in einem zweiten Schritt etwas Besseres zu entwickeln, den Roman für die Belange der Leserinnen neu zu erfinden.“

Nach dem Zwischenspiel im „vorwiegend weiblichen Romanuniversum Jane Austens“, begleitet Bollmann Wollstonecrafts Tochter Mary Shelley an den Genfer See. Angesichts ihres dort verfassten Erfolgsromans „Frankenstein“ möchte Bollmann offensichtlich einmal eine steile These wagen und wirft die provokativ gemeinte Frage auf, ob es sich bei dem namenlosen Protagonisten des Romans womöglich um eine Frau handeln könnte. Die „geschlechtliche Identität“ des Monsters sei „von Anfang an diffus“, meint Bollmann und lässt sich auch nicht davon beirren, dass es „von seinem Schöpfer ein weibliches Gegenstück“ verlangt, „um der schrecklichen Einsamkeit zu entkommen“. Zwar lasse sich daraus schließen, „dass es sich um einen Mann handelt“, doch habe Shelley dem Wesen „die Seele einer Frau verliehen“. Derlei lässt sich natürlich überhaupt nur behaupten, wenn man auf ein essenzialistisches Geschlechterverständnis rekurriert. Bollmann kaschiert das notdürftig, indem er erklärt, Shelleys „Schilderung, wie das Geschöpf die Sprache durch das Belauschen anderer erlernt, liest sich wie ein Stück Autobiographie“, was zugleich mit dem althergebrachten Klischee korrespondiert, Frauen erzählten schlicht autobiografisch, da sie nicht wirklich schöpferisch sein könnten. Bollmann jedoch verallgemeinert das von ihm insinuierte „Stück Autobiographie“ in Shelleys Roman zu einer allgemein weiblichen Erfahrung der Zeit, wenn er ausführt, es beziehe sich auf „die seinerzeit charakteristische Situation der heranwachsenden Frau, die Bildung und Wissen nicht an Schulen und an der Universität erwirbt, sondern durch Zuhören und Nachahmen im häuslichen Bereich und als Zeugin männlicher Gelehrsamkeit.“ Eine Argumentation, die sich ganz offenkundig eines Taschenspielertricks bedient, der die Sprache, die das Monster durch Belauschen erlernt, verschwinden lässt und unter der Hand durch die Bildung ersetzt, die Frauen Bollmann zufolge erlangten, indem sie Männern zuhörten. Ein für den Argumentationsgang zum Beweis der weiblichen Seele des Monsters durchaus nicht zufälliger, sondern notwendiger Austausch, denn zu sprechen lernen nicht nur die Frauen, sondern alle Menschen inklusive der Männer durch Zuhören und Nachahmen. Auch Bollmanns zweiter Beleg ist nicht überzeugender. Denn, wenn er erklärt, „im sozialen Außenseitertum von Frankensteins Monster spiegelt sich der zeitgenössische Ausschluss der Frauen von elementaren Bereichen des gesellschaftlichen Lebens“, so hat das nichts mit der Geschlechtszugehörigkeit der Seele des Monsters zu tun.

Die anderen Romane und Kurzgeschichten Shelleys interessieren Bollmann wenig. Unterbrochen nur von Gustav Flauberts „Madame Bovary“ wendet er sich stattdessen alsbald einer weiteren Autorin zu, die ihm zufolge allerdings keinerlei literarischen Ambitionen hegte, sondern „einfach nur populäre Frauenromane schreiben und damit ihr Leben bestreiten wollte“: Eugenie Marlitt. Bei dieser Gelegenheit erklärt Bollmann, dass der „europäische Frauenroman (im Sinne eines Romans mit einer Frau als Heldin)“ überhaupt nur „zwei Grundmuster“ kenne: „Er ist entweder Verführungsroman mit einem in der Regel tragischen Ende“ oder er „folgt dem Mär vom Aschenbrödel.“ Man mag sich gar nicht erst damit aufhalten, all die Texte aufzuzählen, die in keines der beiden schlichten Grundmuster passen, die sich Bollmann hier der Einfachheit halber ausgedacht hat.

Kate Chopins berühmten Roman „Das Erwachen und Lou Andreas-Salomés „Fenitschka“ subsumiert Bollmann nicht etwa unter der Überschrift, „Das Erwachen der Frauen“ oder wenigstens „Das Erwachen der Autorinnen“, sondern – wie könnte es anders sein – unter dem Titel „Das Erwachen der Leserin“. Andere Autorinnen aus der Zeit um 1900 wie etwa Hedwig Dohm oder Franziska zu Reventlow muss man missen. Nicht dass Andreas-Salomé und Chopin keine bedeutenden Schriftstellerinnen gewesen wären. Und sicher wird man nicht alle Autorinnen der Zeit angemessen würdigen können. Dennoch wird Bollmanns Konzentration auf vor allem zwei Autorinnen der explodierenden und nicht selten explosiven Vielfalt weiblichen Schreibens um und nach 1900 allzu wenig gerecht. Nicht ohne Grund legte Hedwig Dohm 1909 der Protagonistin einer ihrer Novellen die rhetorische Frage „Welche Frau schriftstellert denn heute nicht?“ in den Mund.

In seiner Darstellung der Zeit zwischen den Kriegen konzentriert sich Bollmann in zwei Kapiteln zum einen auf Virginia Woolf und zum anderen auf „Joyce und die Frauen“, wobei er erstere einmal anders als all die anderen Autorinnen nicht so sehr als Leserin behandelt. Doch darum darf sie noch lange nicht gleich als die herausragende Autorin auftreten, die sie ist, sondern zunächst einmal als Mitbetreiberin eines Verlags. Auch vergisst Bollmann nicht, darauf hinzuweisen, „in Sachen Sex und Liebe“ habe der „Kreis“ um Virginia Woolf und ihre Schwester Vanessa „lange vor den Kommunen der 1968er Zeit in der Tat alles ausprobiert.“ Überhaupt seien „die meisten von ihnen bisexuell“ gewesen. „Einzigartig“ sei aber vor allem gewesen, „dass sich die Frauen die gleiche Freiheit in sexuellen Dingen herausnahmen wie die Männer“.

Vor allen Dingen um Erotik und Sex geht es nicht eben selten in Bollmanns Buch. So auch im nächsten Kapitel, in dessen Zentrum die Schauspielerin Marilyn Monroe steht. Bollmann zufolge ist Monroes „wichtigste Waffe im Kampf gegen das Image der dümmlichen Sexbombe“ das Lesen. Offenbar um sie in diesem Kampf noch postum zu unterstützen, verpasst er ihr stattdessen das Etikett „lesende Sexbombe“. Ob dümmlich oder lesend, eine ‚Sexbombe‘ bleibt Monroe in jedem Fall. Denn von diesem männliche Geilheit und gleichzeitig Angst vor der Sexualität der Frau ausdrückenden Terminus der sexistisch geprägten 1950er-Jahre mag er denn doch nicht lassen. Monroe „angetan mit nichts als einem Ausschnitt, der vom Hals bis zum Bauchnabel reicht“ lässt ihn ganz in Männerfantasien schwelgen. Sie habe „ihren Körper und ihre Sexualität mit damals unbekannter Freizügigkeit vorgeführt und dabei unschuldig wie ein nackter Engel gewirkt“. Und dass Monroe „die Verruchtheit wie die zur Schau getragene Naivität mit ihrem herausforderten Witz und ihrer Schlagfertigkeit konterkarierte“, macht sie offenbar gerade scharf.

Dazu passt, dass und wie Bollmann wenig später eine von Klaus Stiller überlieferte Anekdote um Peter Handke zum Besten gibt. 1966 nahm der junge Autor in Princeton an einem Treffen der „Gruppe 47“ teil. „Bewaffnet“ mit einer Flasche Whiskey lungerten er und einige seiner Kollegen auf den Bänken des Universitätsparks herum, als Handke „plötzlich einer vorrübergehenden Amerikanerin“ zurief: „,Hello, I want to fuck you.’ Alle lachten natürlich, selbst die junge Frau“, kommentiert Bollmann. Dabei ist die Reaktion natürlich keineswegs natürlich. Möglich allerdings, dass Bollmann gerne hätte, dass eine Frau auf sexuelle Belästigungen positiv reagiert. Jedenfalls lässt er sogleich seine Fantasie ins Kraut schießen: „Diese Frau hätte gut und gerne Susan Sonntag sein können“. Das darf bezweifelt werden. Nun mag sie zu dieser Zeit zwar in Princeton gewesen sein. Reagiert hätte sie jedoch vermutlich anders.

Bollmanns abschließendes, die Gegenwart behandelndes Kapitel steht unter dem Titel „Die Leserin als Grenzgängerin“ und ist Erika Leonards unter dem Pseudonym E. L. James erschienenem Sadomaso-Roman „Shades of Grey“ gewidmet. Bereits zuvor hatte Bollmann schon mehrfach anklingen lassen, dass er nicht eben ein Freund der Frauenbewegung ist. In dem Abschnitt über Mary Wollstonecraft etwa watscht er nicht nur die frühe Frauenrechtlerin, sondern alle Feministinnen und Rezensentinnen mit der Formulierung ab, „Mary, ganz Rezensentin und Frauenrechtlerin, sah alles von der negativen Seite und sparte nicht mit polemischen Urteilen“. Virginia Woolfs Essay über Wollstonecraft wiederum wird von ihm mit dem Galanterie und Verachtung verbindenden Begriff „bezaubernd“ belegt. Ein andermal merkt er ganz en passant an, der Feminismus habe „viele Ursprünge; einer davon ist auch die Gemeinschaft von Frauen und homosexuellen Männern.“ Gerade so, als würden die Frauen alleine nicht einmal den Feminismus auf die Reihe gebracht haben, hätten ihnen nicht Männer auf die Sprünge geholfen. Und „für die zweite Welle der Frauenbewegung“ der ausgehenden 1960er- und der 1970er-Jahre wiederum sei „eine extrem skeptische, nicht selten ablehnende Haltung zum Sex repräsentativ“ gewesen, gruselt er sich. Das Gegenteil ist wahr. Nicht wenige der Feministinnen dieser Zeit entdeckten und feierten beispielsweise lesbischen Sex wie kaum eine Frauengeneration zuvor. Aber für Bollmann mag das ja vielleicht kein richtiger Sex sein. Nun, im abschließenden Teil geißelt er die „über das Ziel hinausschießende Ablehnung jeder Form von Pornografie“, die „aus Sicht vieler Feministinnen das schlechthin Böse“ sei. Dabei versucht er den Roman „Shades of Grey“ gegen Alice Schwarzers Kritik der Pornographie in Anschlag zu bringen; ohne sich vorstellen zu können, dass Schwarzer das Buch in einem Interview – mit wie viel Recht auch immer – als „das Gegenteil von Pornographie“ und „eher emanzipiert“ verteidigen würde. Dazu hat er sich zu sehr auf alles, was sich Feministin nennt, eingeschossen, wenn es sich nicht gerade um ein handzahmes Exemplar vom Schlage der „Alpha-Mädchen“ Meredith Haaf, Susanne Klingner und Barbara Streidl handelt.

Bollmanns Zielgruppe ist vermutlich genau die Art von Leserinnen, über die er schreibt: Frauen, die das Lesen lieben. Damit dies auch so bleibt, sollten sie allerdings lieber zu anderen Büchern greifen. Bollmanns Buch aber empfiehlt sich keinem der Geschlechter zur Lektüre

Titelbild

Stefan Bollmann: Frauen und Bücher. Eine Leidenschaft mit Folgen.
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2013.
443 Seiten, 22,99 EUR.
ISBN-13: 9783421045614

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