Basisliteratur für Artus-Interessierte

Ulrich Hoffmann hat eine auch für Studierende lesenwerte Studie über Mythizität verfasst

Von Jörg FüllgrabeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Füllgrabe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die vorliegende Publikation ist eine überarbeitete Fassung der Dissertation des Verfassers, die an der Universität Konstanz entstand. Auf knapp über 400 Seiten werden ‚Tradieren‘ und ‚Mythos‘ hinsichtlich eines ‚weltmodellhaften Erzählens‘ in Zusammenhang gebracht, wie es auf dem Buchrücken heißt.

Dass sich mit dem Namen Artus nicht erst seit erfolgreichen Hollywood-Adaptionen auch gewissermaßen transzendentierende Vorstellungen verbinden lassen, ist allgemein bekannt. In der deutschsprachigen Artus-Adaption ist es aber doch wohl eher Wolframs von Eschenbach „Parzival“, der im Sinne einer Verwebung verschiedener Mythenstränge präsent ist, und so mag es zunächst Wunder nehmen, dass sich Ulrich Hoffmann unter der Akzentsetzung des Mythischen den Bearbeitungen Hartmanns von Aue zuwendet.

In der Einleitung wird eine Erklärung dieses Umstandes insofern zumindest indirekt erkennbar, als der Autor unter Bezug auf die älteren und aktuelleren Forschungstendenzen eben auch insbesondere Veröffentlichungen zu Chrétiens beziehungsweise Wolframs „Parzival“ anführt und im Rahmen seiner Hinführung zu einer veränderten Basis mythenbezogener Forschungsansätze der Gegenwart in eine Art Basiserläuterung einbezieht. Und da die dann intensiv thematisierten „Iwein“ und „Erec“, die weniger oft zum Forschungsthema gemacht wurden, als das für den „Parzival“ gilt, neben der Einbindung in den ‚Überbau‘ des Artus- beziehungsweise Tafelrundenmythos auch eigenständige Ebenen des Mythischen aufweisen, ist der Ansatz Hoffmanns selbstverständlich stimmig. Dies wird auch durch die Erläuterung der Herangehensweise deutlich gemacht.

Neben der Einleitung gliedert sich die Publikation in fünf Unterpunkte: ‚Mythos und Materie‘, ‚Mythisches und Literatur‘, ‚Hartmanns Erec‘, ‚Hartmanns Iwein‘ sowie den die Arbeitsergebnisse zusammenfassenden Abschnitt ‚Literarisierung des Mythischen und Mythizität der Literatur‘.

Wesentlich sowohl für die literarische Tradierung der Artus-Motive im Allgemeinen wie auch in der vorliegenden Arbeit Hoffmanns ist die Transferierung des ursprünglich historischen Erzählens über den britannischen König Artus zum ‚Mythos Artus‘, der keiner historischen Grundlage bedarf. Dieser Prozess bzw. dieses Prozessbündel ist Leitlinie des ersten großen Unterpunktes vorliegender Publikation. Unter Zugrundelegung vornehmlich der Arbeiten Hans Blumenbergs werden einzelne Schritte dieser Transformation erläutert und die Entstehung eines literarischen Artus-Mythos dargestellt. Hoffmann geht dabei über das Werk Chrétiens insofern hinaus, als frühere – und im allgemeinen Bewußtsein weniger präsente – Artus-Bearbeitungen vorgestellt und in einen das Hauptthema betreffenden Kontext gebracht werden. Allein dieser Aspekt macht die Arbeit Hoffmanns lesenswert, lassen sich hier doch Ausgangspunkte finden, die im Rahmen einer eigenständigen Beschäftigung mit der Thematik ‚literarischer Artus‘ gute Dienste zu leisten vermögen.

Dies gilt grundsätzlich auch für einen Unterpunkt, in dem unter der scheinbar paradoxen Überschrift ‚Entmythisierung und Mythenpoetik – Chrétien und Hartmann‘ Ähnlichkeiten und Unterschiede in Rezeption und Bearbeitung von Artus-Stoffen aufgezeigt werden. Vornehmlich dient dieser Punkt der Hinführung zum eigentlichen Kernthema Hoffmanns, der ‚Mythenpoetik‘ in den beiden Hartmann-Romanen „Erec“ sowie „Iwein“.

Bevor der Autor sich jedoch diesen Kernpunkten widmet, wird auf knapp dreißig Seiten noch einmal und intensiver, als das in der Einleitung der Fall gewesen ist, der Rahmen der vorliegenden Untersuchung gesetzt und die verschiedenen Aspekte des Mythischen in und durch die Literatur thematisiert. Zwar ist bei dieser überschaubaren Seitenzahl nicht zu erwarten, daß eine vollständige Behandlung dieses übergreifenden Themas geleistet werden kann, gleichwohl erscheint mir dieser Abschnitt allein schon deswegen hervorhebenswert, weil der geleistete Überblick auch als knappe Hinführung zu diesem Aspekt außerhalb des Artus-Kreises allgemein und der Werke Hartmanns im Besonderen von Interesse ist bzw. gerade auch Studierenden die Möglichkeit zu einer entsprechenden weiteren Beschäftigung zu bieten vermag.

Diese eher theoretische bzw. die Begriffe definierende und vertiefende Sicht verfolgt Hoffmann auch im Abschnitt ‚Mythisches und Literatur‘. Hier werden grundlegende Parameter vorgestellt, wobei immer auch Rückgriffe respektive Verweise auf die ‚Klassiker‘ wie etwa Cassirer erfolgen. Gerade wegen seines umfassenden und grundlegenden Aufbaus ist dieser nochmals in die, wiederum unterteilten, Unterabschnitte ‚Die symbolische Form mythischen Denkens‘ sowie ‚Die mythische Form literarischen Erzählens‘ aufgegliederte Komplex äußerst lesenswert – auch wenn hiermit natürlich kein Grundlagenwerk zur Thematik ersetzt werden kann.

Wie bereits eingangs erwähnt, mag es – allerdings nur auf den ersten Blick – erstaunen, dass der „Parzival“ nicht zum Thema gemacht wurde; allerdings ‚entschädigen‘ die beiden Hauptwerke Hartmanns, „Erec“ und „Iwein“ dafür allein schon deshalb, weil sie hinsichtlich des Mythischen nicht so populär sind, wie das für Wolframs „Parzival“ gilt. Hybridität und die ‚Gegenwelt und Destruktion‘ um Brandigan führen im „Erec“, so erläutert Hoffmann überzeugend‚ von der Harmonisierung zur Gegenwelt. Im Zusammenhang mit dem „Iwein“ werden drei Aspekte in den Fokus gestellt: ‚Kontrastierung und Sukzession‘, ‚Harmonisierung und Integration‘ sowie Eigenwelt und Reflexion‘. Unter Heranziehung der jeweiligen Belegstellen aus beiden Romanen gelingt Ulrich Hoffmann eine überzeugende Argumentation, die in entsprechenden Resümees zu handhabbaren Ergebnissen verdichtet wird.

Dadurch wird überzeugend auf den Abschlussteil ‚Literarisierung des Mythischen und Mythizität der Literatur‘ hingearbeitet, in dem unter Rückgriff auch auf die bereits in der Einleitung erfolgten Metaaspekte eine anschauliche Ergebnissicherung erfolgt.

Die vorliegende Publikation ist aus mehreren Gründen lesenswert. Zum einen wird der Aspekt des Mythischen in der Literatur unter Rückgriff auf grundlegende Arbeiten theoretisch sowie anhand von an der Artusliteratur orientierten Beispielen auch praktisch vorgestellt. Zum anderen folgt darauf die auf die beiden Artusromane Hartmanns orientierte, textbezogene Behandlung des Themas. Beides ist mit Gewinn zu lesen – und vermutlich, wenngleich nicht ausschließlich – gerade auch für Studierende von Interesse. Überdies jedoch wird, und das ist meiner Einschätzung nach weit mehr als nur ein bloßer ‚Nebeneffekt‘, ein Anreiz gegeben, den „Erec“ sowie den „Iwein“ zu lesen, wobei entsprechende ‚mythische’ Blickrichtungen (wieder-)eröffnet werden. Dementsprechend sollte das Werk vor allem, wenn auch nicht ausschließlich, für die an den mittelhochdeutschen Artusromanen Interessierten zur Basisliteratur zählen. Bedauerlich ist hier der nicht eben günstige Anschaffungspreis.

Titelbild

Ulrich Hoffmann: Arbeit an der Literatur. Zur Mythizität der Artusromane Hartmanns von Aue.
Akademie Verlag, Berlin 2012.
400 Seiten, 99,80 EUR.
ISBN-13: 9783050058597

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